„Gefährliches Spiel mit der Demokratie“

Im kommenden Jahr soll Tschads ehemaliger Diktator Hissène Habré vor Gericht stehen. Der jüngste Abgeordnete des Landes, der Musiker Béral Mbaikoubou, berichtet, wie es um die Menschen- und Bürgerrechte unter Habrés Nachfolger Idriss Déby bestellt ist.

Sie sitzen seit 2011 für die oppositionelle Partei Mouvement des Patriotes Tchadiens (MPTR) im Parlament und sind der jüngste Abgeordnete dort. Wie haben Sie das Mandat errungen?
Als Musiker bin ich für kritische politische Texte bekannt; das hat mir natürlich geholfen, ein Direktmandat zu bekommen. Meine Partei hatte kein Geld für den Wahlkampf, aber aus der Gesellschaft kam viel Unterstützung: vom Motoradtaxifahrer bis zum gut verdienenden Beamten. Alte wie junge Leute haben uns spontan geholfen – mit Papier für Wahlplakate oder mit Benzin, uns ihre Motorräder, ihre Fahrräder oder ihre Zeit zur Verfügung gestellt. Beim Verteilen der Flugblätter halfen uns fliegende Händler, die überall unterwegs sind. In N‘Djamena hat aber die Regierungspartei die meisten Wahlbezirke gewonnen.

Welche politischen Ziele verfolgen Sie?
Ich habe zwei große Ziele für diese Legislaturperiode. Zum einen das Bildungswesen: Wir brauchen mehr Schulen, und wir müssen ihre Qualität verbessern. Ich setze mich für eine strikte Kontrolle des privaten Bildungssektors ein. Das ist ein großes Pro­blem im Tschad: Irgendwelche Leute eröffnen Bildungseinrichtungen, die sie Schule, Gymnasium, Hochschule oder Institut nennen. Aber die Qualität stimmt oft nicht, da geht es nur ums Geldverdienen. Auch das öffentliche Bildungswesen ist katastrophal. Im vergangenen Jahr haben nur acht Prozent der Schüler unseres Landes die Hochschulreife abgelegt. Mein zweites großes Anliegen sind die Grund- und Menschenrechte: Pressefreiheit, Redefreiheit und ein Rechtssystem, das nicht aufgrund der Herkunft oder sozialen Stellung einer Person entscheidet, sondern auf Grundlage der Gesetze.

Die Organisation Amnesty International hat die Menschenrechtslage im Tschad im vergangenen März als besorgniserregend bezeichnet.
Der Tschad hat sehr schön ausformulierte Gesetze, die die Menschenrechte und grundlegende Freiheitsrechte garantieren. Die Praxis sieht jedoch völlig anders aus. Wenn die Regierung ihre Interessen in Gefahr sieht, werden Oppositionsabgeordnete verhaftet und der Verschwörung oder der sogenannten Destabilisierung staatlicher Institutionen bezichtigt. Die jüngste Verhaftungswelle fand zwischen April und Juni 2013 statt. Teilweise wussten die Familien nicht einmal, wo ihre Angehörigen inhaftiert waren. Nach einiger Zeit wurden die meisten auf Bewährung entlassen mit der Auflage, dass sie sich nicht öffentlich äußern dürfen bis zum Abschluss des Verfahrens. Zur Untersuchung wurde eine parlamentarische Kommission eingesetzt, die nach mehr als einem Jahr kein Ergebnis gebracht hat. Dieses Regime arbeitet mit Hilfe von Einschüchterung. Das ist ein gefährliches Spiel mit der Demokratie.

Wie steht es um die Pressefreiheit?
Sie ist stark eingeschränkt. Nur die privaten Medien bemühen sich, ihre Rolle als Kontrollinstanz der Politik wahrzunehmen. In ihrer Arbeit werden sie jedoch behindert, bis hin zu strafrechtlicher Verfolgung, während die staatlichen Medien konsequent im Sinne der Regierung berichten. Bis 1990, also unter Präsident Hissène Habré, waren die Repressionen brutal und ziemlich offen. Heute haben sie subtilere Formen angenommen, man gibt sich eine demokratische Fassade. Wer zu kritisch ist, der kommt nicht weiter – ihm wird das Studium oder der Zugang zu einem Arbeitsplatz verweigert.

Wie gehen Sie selbst damit um?
Mich beschäftigt das bislang nicht so sehr, vermutlich weil ich noch nicht persönlich bedroht wurde. Problematisch ist, dass die Mitarbeiter des Geheimdienstes im Alltag sehr präsent sind. Man erkennt sie an ihrer Kleidung und an ihrem Auftreten. Die Bürger haben mehr und mehr Angst, sich kritisch über politische Themen zu äußern, und meiden derartige Gespräche. So entsteht eine Fassade der Stabilität: Es ist keine Kritik im Land zu hören, also ist alles in Ordnung. Wenn dazu ein paar Erfolgszahlen kommen, etwa die steigende Zahl neuer Schulen, macht das im Ausland einen guten Eindruck.

Inwiefern können Sie öffentlich Kritik äußern?
Privaten Medien kann ich durchaus ein kritisches Interview geben. Aber die haben nur eine geringe Reichweite. Nur das staatliche Radio kann landesweit empfangen werden. Ein weiterer Nachteil für kritische Abgeordnete: Man wird nicht zu bestimmten Treffen eingeladen, etwa mit wichtigen Mitgliedern der Regierung oder mit ausländischen Diplomaten. Demonstrationen der Opposition werden nicht genehmigt. Meine parlamentarischen Anfragen an die Regierung werden unter Vorwänden abgewiesen oder immer wieder verschoben.

Was kann die Opposition unter diesen Umständen erreichen?
Im Tschad gibt es ungefähr 200 Parteien, im Parlament sind zwölf von ihnen vertreten. Ich gehöre dem Teil der Opposition an, der gar nicht mit der Regierung zusammenarbeitet. Wir glauben nicht daran, dass wir mit dieser Regierung Kompromisse finden können. Ein anderer Teil der Opposition ist moderater. Dann gibt es noch die sogenannten Satellitenparteien, die mit der Regierung kooperieren, ihr aber nicht angehören. Dafür genießen sie gewisse Vorteile, erhalten Posten in Ministerien oder in der Verwaltung. Es ist schwierig, innerhalb der Opposition zusammenzuarbeiten, weil jeder der Anführer sein möchte und einige Politiker nicht zusammenzubringen sind.

Gegen Expräsident Hissène Habré könnte 2015 ein Prozess im Senegal beginnen, wo er im Exil lebt. Die Beweislage für zahlreiche Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist erdrückend. Ist das im Tschad ein Thema?
Das ist ein großes Thema bei uns. Die Leute haben verfolgt, dass der Prozess gegen Habré mehrfach vom damaligen senegalesischen Präsidenten Abdoulaye Wade aufgeschoben wurde. Nun scheint es aber im kommenden Jahr loszugehen. Das wäre für die Opfer des Regimes eine enorme Genugtuung. Einige ehemalige Vertraute und Mitstreiter Habrés leben allerdings noch immer im Tschad und besetzen wichtige Ämter in Politik, Justiz oder Verwaltung. Die Justiz hat sich zuletzt sehr beeilt, Prozesse gegen sie vorzubereiten und sie in Untersuchungshaft zu nehmen.

Weshalb plötzlich die Eile?
Die Zeugen der Herrschaft Habrés sollen möglichst schnell hier im Tschad verurteilt werden, damit sie nicht im Senegal vor Gericht gestellt werden können. Für uns Oppositionelle ist das inakzeptabel, weil allgemein bekannt ist, dass Déby ein enger Vertrauter und Mitarbeiter von Habré war. Wir befürchten, dass so ein Teil der Wahrheit vertuscht werden soll. Es spricht für sich, dass die Justiz all die Jahre nichts unternommen hat und erst jetzt überstürzt tätig wird, da der Prozess im Senegal näher rückt. Ein für die Opfer der Diktatur faires Verfahren gegen die Mittäter ist im Tschad höchst unwahrscheinlich, solange Déby Präsident ist.

Welche Rolle könnte die Afrikanische Union bei der Aufarbeitung solcher Regime spielen, von denen es in Afrika einige gab und gibt?
Da mache ich mir keine Hoffnung, aus den meisten afrikanischen Staaten ist kein politischer Druck zu erwarten. Viele afrikanische Präsidenten sympathisieren ja mit einem Modell der Präsidentschaft auf Lebenszeit. Sie wollen lebenslange Immunität, weil sie wissen, dass sie sonst nach dem Ende ihrer Amtszeit angeklagt werden könnten. Deshalb sprechen sich so viele Mitgliedsstaaten auch dafür aus, die für ehemalige Präsidenten zuständige Justiz bei der Afrikanischen Union anzusiedeln. Die AU fürchten sie nicht – im Gegensatz zum Internationalen Strafgerichtshof.

Außer Politik machen Sie auch Musik. Welche Art?
Schwierig. Es ist eine Form von Chanson, denn die Texte stehen im Vordergrund, die Gitarre begleitet. Anfangs habe ich versucht, Liebeslieder zu schreiben – herausgekommen sind aber allein politische Texte.

Das Gespräch führte Felix Ehring.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2014: Hoffen auf die Mittelschicht
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