Drehscheibe für Islamisten

Das kleine Emirat Katar will auf der weltpolitischen Bühne mitspielen. Dabei übernimmt es sich – mit katastrophalen Folgen.

Hinter einer glitzernden Einkaufspassage liegt ein kleines Restaurant. Von hier aus befehligte Hossam seine syrische Rebelleneinheit. Während der Glanzzeiten des Bataillons 2012 und 2013 unterstanden ihm in der ostsyrischen Stadt Deir ez-Zor 13.000 Mann. „Sie gehörten zur Freien Syrischen Armee, aber sie hörten auf mich“, sagt er. „Sie waren eine gute Kampftruppe.“ Hossam, ein Syrer mittleren Alters, lebt in Katar und besitzt in Doha mehrere Restaurants, die vor allem von der Oberschicht besucht werden.

Einen Teil seiner Einkünfte verwendet er noch immer darauf, Zivilisten und Kampfbrigaden in Syrien mit humanitären Hilfsgütern zu versorgen – Decken, Lebensmitteln und Zigaretten. Keine Waffen mehr, wie er betont. Seine Brigade wurde teilweise auch von der katarischen Regierung finanziert, doch nicht regelmäßig: Dutzende neu gebildeter Brigaden bekamen eine Anschubfinanzierung, nur ein Teil davon erhielt in den folgenden Monaten kontinuierlich Geld. Als Hossams Männer Mitte 2013 auf dem Trockenen saßen, hielten sie nach anderen Finanzquellen Ausschau. „Das Geld spielt in der FSA eine wichtige Rolle, und bei uns fehlte es“, erklärt er.

Autor

Elizabeth Dickinson

ist freie Journalistin und lebt auf der arabischen Halbinsel. Sie schreibt unter anderem für die „New York Times“ und den „Economist“. Ihr Beitrag ist im Original bei „Foreign Policy“ erschienen.
Hossam ist nur eine Randfigur im Netzwerk der islamistischen Handlanger Katars, zu dem neben ehemaligen syrischen Generälen auch afghanische Taliban, somalische Al-Shabaab-Milizionäre und sudanesische Rebellen gehören. 1996 verließ er seine Heimat, nachdem das syrische Regime ihn wegen seiner Sympathien für die Muslimbrüder mehr als zehn Jahre lang drangsaliert hatte. In Katar fand er eine Zuflucht und baute sich nach und nach neue Kontakte auf. Er ging sehr vorsichtig vor, denn damals waren der junge Präsident Bashir al-Assad und seine elegante Gattin in Katars Hauptstadt Doha noch höchst willkommene Gäste.

2011 brach in Syrien der Bürgerkrieg aus und Katar ließ Assad fallen. Hossam schloss sich einer wachsenden Gruppe von Mittelsmännern an, die im Auftrag der Regierung in Doha die syrische Opposition unterstützten. Weil es anfangs noch keine etablierten Rebellengruppen gab, förderte Katar die Initiativen syrischer Geschäftsleute und anderer syrischer Emigranten, die Kampftruppen und Waffen organisieren wollten. Wie viele andere Sympathisanten der Rebellion, wollte Hossam der Opposition zunächst nur seine Ersparnisse zur Verfügung stellen. Mit den Zuwendungen aus Katar konnte er ehrgeiziger planen.

Das in Katar geknüpfte Netzwerk trug in allen Krisenherden der Region zur Destabilisierung bei und stärkte radikale und dschihadistische Organisationen. Das Geld aus Katar hat die Lage überall verschärft: In Libyen tobt ein Krieg zwischen verschiedenen Milizen, die aus dem Ausland finanziert werden. Die syrische Opposition ist durch interne Machtkämpfe geschwächt und kann sich gegenüber den Extremisten nicht mehr behaupten. Die humanitäre Not im Gazastreifen hat sich vermutlich aufgrund der starren Haltung der Hamas verfestigt.

Die Nachbarstaaten Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrain haben Katar im vergangenen Jahr öffentlich kritisiert, weil es in der ganzen Region den politischen Islamismus fördert. Sie drohten damit, ihre Grenzen zu schließen und seine Mitgliedschaft im Golfkooperationsrat zu suspendieren. Nach fast einjährigem Drängen zeigte sich Doha Mitte September erstmals zum Einlenken bereit: Sieben hochrangige Mitglieder der ägyptischen Muslimbruderschaft mussten das Emirat verlassen.

Hamas-Führer und syrische Oppositionelle steigen im Ritz-Carlton ab

Dann ging Katar selbst an die Öffentlichkeit. „Wir finanzieren keine Extremisten“, erklärte Tamim bin Hamad Al Thani Ende September in seinem ersten Fernsehinterview als neuer Emir. Eine Woche zuvor war ein neues Gesetz erlassen worden, mit dem Wohltätigkeitsvereine stärker überwacht und an politischer Arbeit gehindert werden sollen.

Wie ehrgeizig Katar seine Zukunft plant, lässt sich daran ablesen, dass selbst die Taxifahrer sich in Doha nicht mehr zurechtfinden. Überall wird gebaut, weil im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft 2022 rund 100 Milliarden Dollar in die Infrastruktur investiert werden, und bei den zahlreichen neuen Gebäuden und Projekten blickt niemand mehr durch. In der Weltpolitik will Katar eine ebenso grandiose Rolle spielen. Unter den Kronleuchtern in den Lobbys der Fünf-Sterne-Hotels in Doha sitzen Delegationen aus aller Herren Länder, die sich um Unterstützung durch Katar bemühen.

Regierungen, Parteien, Unternehmen und Rebellengruppen gehen hier aus und ein, und während sie ihren Tee trinken, warten sie, wie ihre Vorschläge von den Entscheidungsträgern aufgenommen werden. Ihre Erfolgsaussichten lassen sich daran ablesen, in welchem Hotel sie logieren. Die „Vier Jahreszeiten“ und das Ritz-Carlton sind bewährte Favoriten; der Hamas-Führer Khaled Mashal und die syrischen Oppositionsführer stiegen hier ab. Neu ist das vornehme W-Hotel, das europäische Delegationen bevorzugen, die sich um Investitionen oder Gaslieferungen bemühen. Das Sheraton dagegen – eines der ältesten Hotels in Doha – ist jetzt passé; dort wohnten die Rebellenführer aus Darfur während der Verhandlungen mit der sudanesischen Regierung.

Jeder will hier Kontakte knüpfen, denn wie es ein Syrer in Doha ausdrückte: „In Katar steckt viel Geld und Katar kann Gelder vermitteln.“ Die besten Erfolgsaussichten haben oft die mit den längsten Beziehungen zu diesem winzigen, durch seine Erdgasvorkommen reich gewordenen Land – wie die führenden Mitglieder der internationalen Muslimbruderschaft. Schon in den ersten Jahren nach 2000 entwickelte sich Doha zu einem Zentrum des islamistischen Extremismus. Damals finanzierte die Regierung viele neue Universitäten und Denkfabriken, in denen Islamisten den Ton angaben.

Der staatlich subventionierte Nachrichtensender Al Dschasira erreichte immer größere Teile der Region und verschaffte den Muslimbrüdern im ganzen Mittleren Osten Gehör. Viele enge Berater der Herrscherfamilie stammten aus den Nachbarländern und standen der Muslimbruderschaft nahe, etwa der umstrittene ägyptische Prediger Yusuf al-Qaradawi, der von Doha aus die Internationale Union muslimischer Gelehrter leitet.

Die Regierung in Doha schätzt an den Muslimbrüdern die Verbindung von Frömmigkeit und Effizienz, in der sie sich selbst wiedererkennt. Außerdem wollte sich die Herrscherfamilie gegenüber den konkurrierenden Monarchien in Saudi-Arabien und den VAE profilieren, die im politischen Islam eine Gefahr für ihre eigene Machtstellung sehen. Die Parteinahme für die Muslimbrüder erfolgte aus pragmatischen Gründen, meint Salah Eddin Elzein, der Leiter des Al -Dschasira-Studienzentrums, das mit dem Sender in Katar zusammenhängt. „Die Islamisten kamen in den 1980er Jahren auf, und Katar wollte sich mit den Kräften verbünden, die ihnen besonders zukunftsträchtig erschienen.“###Seite2###

Doch nicht nur mit den Muslimbrüdern pflegt Katar gute Beziehungen. Die Salafisten stehen der Herrscherfamilie näher. Sie erschienen in den 1990er Jahren auf der politischen Bühne und verbanden die in Saudi-Arabien herrschende puristische Ideologie mit den politischen Ambitionen der Muslimbrüder. Manche schlossen sich al-Qaida an, andere setzten sich in Kuwait fest und gründeten dort die erste salafistische Partei.

Doch vor allem in Katar wurden sie mit offenen Armen aufgenommen. In den vergangenen 15 Jahren hat sich Doha zur Kommandozentrale der international gut vernetzten salafistischen Bewegung entwickelt. Ihre Prediger wurden von den Ministerien eingeladen und durften zu wichtigen Anlässen als Redner auftreten. Wohltätige Stiftungen vertreten ihr Programm, darunter die vom Arbeits- und Sozialministerium geförderte Sheik Eid bin Mohammad al Thani Charity. Laut der US-amerikanischen Carnegie-Stiftung ist sie „wahrscheinlich die größte und einflussreichste von Salafisten beherrschte Hilfsorganisation der Welt“.

Schon 2003 wurde der amerikanische Kongress darauf aufmerksam gemacht, dass wohltätige Stiftungen mit Sitz in Katar Geld von al-Qaida wuschen und verschoben und dass sie führenden Mitgliedern Arbeitsplätze und Ausweispapiere verschafften. Doch zur gleichen Zeit gewann Katar weltweit an Einfluss: Die halbstaatliche Fluggesellschaft Qatar Airways expandierte gewaltig und kaufte ab 2007 viele neue Maschinen, um das ehemals abgelegene Emirat mit allen Teilen der Welt zu verbinden. Al-Dschasira hatte sich 2010 dank eines Jahresetats von 650 Millionen US-Dollar zum einflussreichsten Nachrichtensender der arabischen Welt entwickelt.

Der Arabische Frühling stimulierte die politische Klientel Katars kräftig. Als einziger Golfstaat hatte das Emirat keine Angst vor den Erschütterungen. Für Saudi-Arabien war es ein Schock, wie plötzlich Washington seinen jahrzehntelangen Verbündeten in Ägypten, Hosni Mubarak, fallen ließ.

Bahrain wurde von den Demonstrationen der mehrheitlich schiitischen Bevölkerung erschüttert, die mehr Einfluss auf die Politik des Landes forderte. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützten mit Katar gemeinsam die Luftschläge der NATO auf Libyen. Doch gegenüber dem Machtzuwachs der Muslimbrüder in Libyen und Ägypten hatten sie große Vorbehalte. Sie fürchteten, die Brüder könnten auch die Sympathisanten des Islamismus in ihrer eigenen Bevölkerung aufwiegeln.

Doha Helfershelfer haben Libyens Gaddafi zu Fall gebracht

In Katar ging man davon aus, dass die Unterstützung des radikalen Islam sich langfristig auszahlen würde. „In Doha akzeptiert man die Saudis nicht als die stärkste Macht im sunnitischen Teil des Mittleren Ostens“, sagt der kuwaitische Politologe Abdullah al-Shayji. „Und man will selbst eine wichtige politische Rolle in der Region spielen.“ Die gewaltigen Ambitionen blieben jedoch vorerst unerfüllt – denn die Außenpolitik stieß an ihre Grenzen. Das Land hat nur knapp 300.000 Bürger und die politischen Entscheidungen werden von wenigen hochrangigen Funktionären getroffen. Katar wollte sich deshalb auf das Netzwerk seiner Bündnispartner bei den Muslimbrüdern und den Salafisten stützen, um seine Außenwirkung zu verstärken.

„Die Katarer nutzen Kontakte mit Personen, die ihnen ideologisch nahezustehen scheinen”, sagt Andreas Krieg vom Londoner King’s College und Berater der katarischen Streitkräfte. „Dabei findet aber keine gründliche Überprüfung statt; man sagt sich einfach ‚Diesen Leuten können wir vertrauen.‘“ In Libyen wurde die katarische Stellvertreterkette ihrem ersten Stresstest unterzogen. Man war sich in der Region weitgehend einig, dass Muammar al-Gaddafi zu Fall gebracht werden sollte, und die Amerikaner unterstützten diese Absicht. Katar und die VAE befürworteten die Luftangriffe des Westens gegen das Regime, doch Doha wollte auch dazu beitragen, in Libyen eine Rebellenarmee aufzubauen.

„Sie mussten buchstäblich in ihren Adressbüchern blättern und nachschauen, wen sie in Libyen kannten”, sagt Krieg. „Auf diese Weise koordinierten sie ihre Intervention.“ In Doha machte man Geschäftsleute, alte Kontakte bei den Muslimbrüdern und ideologisch genehme Oppositionelle ausfindig und stellte ihnen zweistellige Millionenbeträge und 20.000 Tonnen Rüstungsgüter zur Verfügung, wie das „Wall Street Journal“ später errechnete. Nach monatelangen Kämpfen wurde Tripolis von den Rebellen erobert und Gaddafi umgebracht. Dohas Helfershelfer zählten nun zu den einflussreichsten politischen Drahtziehern im neuen Libyen.

In der anfänglichen Euphorie des Arabischen Frühlings hofften viele auf einen baldigen Sturz des Assad-Regimes in Syrien. In Tunesien und in Ägypten hatte es nur ein paar Wochen gedauert, bis die Präsidenten zurücktraten. Und um Gaddafi zu entmachten, hatte sich rasch ein internationales Bündnis zusammengefunden. Im August 2011 forderte Washington Assad zum Rücktritt auf. Wenig später begannen die Katarer in Syrien zu intervenieren – so ähnlich wie in Libyen.

"Schreibt uns einfach was ich braucht, und wir rüsten euch aus"

Wie bei der Ausschreibung eines Bauprojekts forderte Doha alle auf, sich zu melden, die beim Sturz des Regimes mitmachen wollten. Hossam, der syrische Restaurantbesitzer, erinnert sich: „Als wir 2012 unsere Truppe aufbauten, sagten die Katarer: ‚Schickt uns eine Liste eurer Mitglieder und schreibt auf, was ihr braucht, um sie zu bezahlen und auszurüsten.‘“ Er und Dutzende anderer potenzieller Rebellenführer legten ihre Angebote vor. Wie viel seine Brigade bekam, sagt er nicht, aber mit seiner eigenen Spendenkampagne will er „für humanitäre Zwecke“ hunderttausende Rials zusammengebracht haben.

Auch die Freunde Katars im Ausland ruhten nicht. In Kuwait taten sich von 2012 bis Anfang 2013 salafistische Aktivisten mit syrischen Emigranten zusammen; sie organisierten, finanzierten und belieferten radikalislamische Brigaden, aus denen schließlich Gruppen wie die Nusra-Front und die ihr nahestehende Ahar al-Scham hervorgingen. Kuwaitische Sunniten warben in den sozialen Netzwerken für ihr Anliegen und nutzten ihre Kontakte mit Geschäftsleuten, Geistlichen und anderen sunnitischen Prominenten. Kuwaits Gesetze sehen keine strenge Kontrolle der Finanzierung terroristischer Organisationen vor, sie konnten also problemlos dreistellige Millionenbeträge für ihre Kampftruppen sammeln.###Seite3###

Zu den Spendenbeschaffern gehörte der salafistische Prediger Hajjaj al-Ajmi, den die USA zum Terrorhelfer erklärt haben, weil er die Nusra-Front unterstützt. Er leitet die sogenannte People’s Commission for the Support of the Syrian Revolu­tion, die auf Twitter für wohltätige Projekte wirbt. Bedürftige und Vertriebene sollen mit Lebensmitteln und Medikamenten versorgt werden. Doch als er im Juni 2012 auf Einladung des katarischen Islam-Ministeriums in der Küstenstadt Al Khor einen Vortrag halten durfte, erklärte er, dass humanitäre Hilfe niemals ausreichen würde, das syrische Regime zu Fall zu bringen. Heftig gestikulierend saß er vor der alten syrischen Nationalflagge, zu der sich die Revolutionäre bekennen, und fragte: „Wisst ihr, dass es nicht mehr als zehn Millionen Dollar kosten würde, das Regime in Damaskus zu stürzen?“ Doch dafür müsse man die Dschihadisten unterstützen und sie bewaffnen.

In den folgenden Monaten dehnte Ajmi viele seiner Kampagnen auch auf Katar aus. Das Geld wurde von einem Mittelsmann namens Mubarak al-Ajji entgegengenommen. Auf Twitter erfährt man, er liebe die sunnitischen Dschihadisten, die „Schiiten und Ungläubige“ hassen. Seine Tweets sind voll des Lobes für Osama bin Laden. Einer von Ajmis kuwaitischen Kollegen, ein Geistlicher namens Mohammed al-Owaihan, agiert ebenfalls von Katar aus, das er in einem Tweet als seine zweite Heimat bezeichnete. Noch im April warb er in Katar darum, die Kämpfer für eine Schlacht an der syrischen Küste aufzurüsten. „Unser Dschihad dient dazu, Geld für Syrien aufzutreiben“, stand auf einem Spendenaufruf mit Kontaktadressen in Kuwait und Katar.

Die Regierung schiebt die Verantwortung auf Mittelsmänner ab

Die Spendenkampagnen sind professionell organisiert. Die Geldgeber werden nach der Höhe ihrer Beiträge verschiedenen Kategorien zugeordnet. 10.000 katarische Rials (gut 2000 Euro) waren ein „Goldgeschenk“, für Silber genügte die Hälfte. Über besonders großzügige Zuwendungen wurde auf Twitter berichtet. All diese Spendensammlungen wurden von Einzelpersonen organisiert, nicht von der Regierung in Doha. Das führte sie in den vergangenen Wochen zu ihrer Verteidigung an. Doch genau darum geht es: Katar setzt Mittelsmänner ein, um im Ausland zu intervenieren, und schiebt auch die Verantwortung auf sie ab. Die Regierung weiß Bescheid über Vorgänge, die sie nicht direkt veranlasst hat.

Viele Geistliche in der salafistischen Bewegung stellen sich ebenso wie Ajmi hinter Gruppen wie die Nusra-Front in Syrien, und ihre Ansichten werden von regierungsnahen Organisationen in Doha wohlwollend zur Kenntnis genommen. Der saudische Prediger Mohammed al-Arifi, der dazu aufrief, die Dschihadisten in Syrien und in Palästina zu bewaffnen, hielt mehrmals auf Einladung des katarischen Islam-Ministeriums in der Großen Moschee von Katar eine Freitagspredigt und einen Vortrag. Der kuwaitische Salafist Nabil al-Awadhy durfte, obwohl er für Gruppen im Umkreis der Nusra-Front Spenden sammelt, im Juli 2014 bei einem Ramadanfest in Katar sprechen, das von einem regierungsnahen Wohltätigkeitsverein ausgerichtet wurde.

Katar und Saudi-Arabien lähmen die Opposition in Syrien

Doch Katars Hoffnungen auf den Arabischen Frühling zerschlugen sich am selben Ort, von dem sie ausgegangen waren: bei den Massenprotesten auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Am 3. Juli 2013 bejubelten die Demonstranten den Sturz des islamistischen Führers Mohammed Mursi durch das ägyptische Militär. Katar hatte fünf Milliarden US-Dollar in Mursis Regierung investiert. Doch innerhalb weniger Tage stellten sich Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Kuwait auf die Seite der neuen Militärregierung und versprachen ihr gemeinsam Hilfen in Höhe von 13 Milliarden US-Dollar. Kurz darauf übernahm Saudi-Arabien die Führung unter den Unterstützern der syrischen Opposition und stellte seinen eigenen Favoriten an deren Spitze.

Als der libysche Regierungschef im Oktober 2013 für einige Stunden entführt wurde, war klar, dass auch dieses Land im Begriff war, im Chaos zu versinken. In Doha, wo gerade ein neuer Emir an die Macht gekommen war, versprach man, sich jetzt auf die Lösung der Probleme im eigenen Land zu beschränken. „Die katarische Außenpolitik hat komplett versagt. Sie besteht aus einer ununterbrochenen Reihe von Katastrophen“, sagt Hussein Ibish, ein hochrangiges Mitglied der American Task Force on Palestine. „Aber da sie von ihren Helfershelfern umgesetzt wird, kommt Katar selbst stets heil davon.“

Am spektakulärsten ist das katarische Netzwerk in Syrien gescheitert. Die Rivalität zwischen den von Katar und von Saudi-Arabien protegierten Gruppen lähmt die Opposition, die von den Syrern als vom Ausland gesteuert wahrgenommen wird. Katar und andere ausländische Mächte unterstützten aufs Geradewohl Dutzende Brigaden, die sich dann um einen möglichst großen Anteil an den Spenden stritten. Sie wurden nicht motiviert, gemeinsam vorzugehen oder gar eine gemeinsame Strategie zu entwickeln. Auch ihren Sponsoren lag nichts daran, sie zu einigen, weil sie dann ihren Einfluss auf die Rebellen aufs Spiel gesetzt hätten.

Die Offerten aus Katar förderten zudem die Korruption, denn die Mittelsmänner übertrieben immer mehr bei der Darstellung ihrer Kompetenzen und Kontakte vor Ort. „Die Gruppen legten Listen mit 3000 Namen vor, obwohl sie eigentlich nur aus 300 oder 400 Leuten bestanden”, sagt Hossam, der Restaurantbesitzer. „Das zusätzliche Geld zweigten sie ab. Bei den Kampfeinsätzen war es dasselbe. Wenn sie eine Million Dollar brauchten, verlangten sie fünf Millionen und ließen dann vier Millionen verschwinden.“

All dies führte dazu, dass sich die Kämpfer zunehmend den Gruppen anschlossen, deren Finanzgebaren zuverlässiger und deren Ziele klarer umrissen schienen – etwa der Nusra-Front und schließlich dem Islamischen Staat (IS), der sich Anfang 2014 von der al-Qaida-gesteuerten Gruppe abspaltete. Im vergangenen Jahr liefen zahlreiche Kämpfer von den gemäßigten Gruppen zu diesen radikalislamischen Organisationen über. So erklärte Saddam al-Jamal, der ehemalige Kommandeur der Freien Syrischen Armee im ostsyrischen Deir ez-Zor, im Dezember 2013, er schließe sich dem IS an, „weil wir im Lauf der Zeit erkannt haben, dass die FSA aus dem Ausland, vor allem aus Katar, finanziert wurde.“

Der Islamische Staat, der allen mit den USA verbündeten Monarchien der arabischen Halbinsel den Krieg erklärt hat und von ihnen bekämpft wird, ist wohl kaum von der Regierung Katars oder einem anderen Golfstaat direkt unterstützt worden. Doch wie Jamal schlossen sich auch andere Personen, die von Katar finanziert wurden, den radikaleren Brigaden an und nahmen ihre Erfahrung und ihre Ausrüstung mit.###Seite4###

Im Dezember 2012, als die syrische Opposition bereits immer extremer wurde, meinte man in Katar, vorerst brauche die Welt sich über die Radikalen keine Sorgen machen. „Ich finde es ganz falsch, zum jetzigen Zeitpunkt irgend jemand auszuschließen oder dem Terrorismus oder al-Qaida zuzuordnen“, sagte Außenminister Khalid bin Mohammed al-Attiyah bei einer Sicherheitskonferenz. Genauso äußerte sich anderthalb Jahre später auch Emir Tamim bei seinem TV-Interview. Er sagte, es sei ein großer Fehler, alle islamistischen Gruppen in Syrien als Extremisten in einen Topf zu werfen. Und alle Verlautbarungen, mit denen sich Doha in jüngster Zeit vom Extremismus distanzierte, beziehen sich zwar auf den IS, aber nicht auf die Nusra-Front.

Salah Eddin Elzein vom Al-Dschasira-Studienzentrum äußert Verständnis dafür, dass Katar Islamisten im ganzen Mittleren Osten unterstützt. Er bezeichnet den Zwist zwischen Doha und den anderen Golfmonarchien als Ausdruck der Rivalität „zwischen Mächten, die am Status quo festhalten, und denen, die eine Veränderung wollen“. Katar engagiere sich für den Wandel. Zwar sei seine Außenpolitik höchst umstritten, „aber vielleicht liegt das in der Natur der Sache“, sagt er. „Wenn man in einer sehr konservativen Region Neuland betreten will, wird man zwangsläufig kritisiert und missverstanden.“

Katar erhielt lange Zeit Rückendeckung von den USA

Katar konnte sich in den vergangen drei Jahren vor allem deshalb so ungestört als Drahtzieher betätigen, weil Washington beide Augen zudrückte. 2011 gaben die USA Doha praktisch einen Freibrief, im Mittleren Osten zu intervenieren, weil sie es selbst nicht tun wollten. Libyen ist dafür ein gutes Beispiel. Als die Obama-Regierung im Frühjahr 2011 eine „Koalition der Willigen“ um sich scharte, die das Land aus der Luft angreifen sollte, stützte sie sich auf eine Strategie, die später „leading from behind“ genannt wurde. Frankreich und Großbritannien richteten eine Flugverbotszone ein, und die Beteiligung Katars und der VAE diente als Nachweis, dass die arabischen Länder das unterstützten. Dohas Angebot, bei der Organisation der Rebellen mitzuwirken, war höchst willkommen, wie ehemalige amerikanische Regierungsbeamte sagen.

Genauso lief es in Syrien ab. Zwar wurden innerhalb der US-Regierung Bedenken geäußert, vor allem von Leuten, die mitbekommen hatten, wie es in Libyen zugegangen war. Dennoch erschien es als die akzeptabelste Option, den Bündnispartner Katar einen regionalen Konflikt lösen zu lassen, in den das Weiße Haus nicht hineingezogen werden wollte. Washington wollte nur nicht, dass Doha die Rebellen mit Flugabwehrraketen und Panzerabwehrlenkwaffen belieferte, aber gelegentlich geschah das trotzdem.

Mit den Katarern zusammenzuarbeiten war nicht nur politisch opportun, sondern auch sehr einfach. In Doha entscheidet man sich schnell und lässt sich von Risiken nicht abschrecken. „Ihre Entscheidungskette besteht aus drei Leuten“, erklärt ein ehemaliger amerikanischer Regierungsbeamter. Während die Saudis erst nach und nach Waffen nach Syrien schafften, ließen die Katarer in den Jahren 2012 und 2013 um die 3500 Tonnen militärischer Ausrüstung einfliegen, dem Vernehmen nach mit Rückendeckung durch den US-amerikanischen Geheimdienst CIA.

Doch schon bald wurden die vermeintlichen Vorzüge Katars zum Problem. Doha schlitterte von einer Krise in die nächste und schaffte es nicht, zuverlässige Helfershelfer auszuwählen und sie an der Kandare zu halten, nachdem sie einmal Geld und Ausrüstung erhalten hatten. Doch erst als der Islamische Staat in Syrien immer stärker wurde, kam in Washington Unruhe auf. Im März warf David S. Cohen, Terrorismusexperte im amerikanischen Finanzministerium, Katar öffentlich vor, günstige Bedingungen für die Terrorfinanzierung geschaffen zu haben. Solche harten Vorwürfe werden üblicherweise hinter geschlossenen Türen vorgetragen. Dass sie öffentlich erhoben wurden, lässt darauf schließen, dass Doha auf interne Kritik aus Washington nicht reagiert hatte.

PR-Agenturen und Stiftungen kümmern sich um den guten Ruf

In Washington beginnt der Wind sich zu drehen. Bei einer Anhörung im Repräsentantenhaus Anfang September traten Experten und Abgeordnete dafür ein, die Beziehungen zwischen den USA und Katar auf eine neue Basis zu stellen. Jonathan Schanzer von der Foundation for Defense of Democracies befürwortete Maßnahmen, die Schockwellen durch die katarische Finanzwelt schicken würden: Man könnte Wohltätigkeitsorganisationen und Einzelpersonen in Katar an den Pranger stellen, Rüstungslieferungen in Höhe von elf Milliarden US-Dollar einfrieren und sogar Berechnungen darüber anstellen, was es kosten würde, den amerikanischen Militärstützpunkt aus dem Emirat zu verlegen.

Doha reagiert, wie es die Golfstaaten in ihrer Rivalität um die Gunst Washingtons schon lange tun: Seit einigen Jahren ist Katar in Washington zunehmend präsent und bezahlt dafür PR-Agenturen wie Patton Boggs, Barbour Griffith & Rogers und BGR Government Affairs. Mit seinem weitgespannten Netz wohltätiger Stiftungen unterstützt Katar alle möglichen Projekte von Austauschprogrammen für Studenten bis zum jährlichen Baseballspiel, das der amerikanische Kongress für karitative Zwecke veranstaltet. Seit der internationalen Finanzkrise kaufen katarische Investmentfirmen Immobilien in Washington, Chicago und anderen großen Städten.

Doch der wichtigste Grund, weshalb Washington Katar seine Gunst vermutlich nicht entziehen wird, ist weder diese Einflussnahme noch das Geld. Es sind schlicht die Sachzwänge. Für ihre Koalition gegen den IS sind die USA dringend auf den Luftwaffenstützpunkt in Katar angewiesen, denn von hier aus werden die Kampfeinsätze koordiniert. Und wie immer müssen sie ihre Intervention mit der Zustimmung von Seiten der Araber rechtfertigen.

Ist die Strategie der USA wirklich durchdacht?

Washington will mit den Radikalen in Syrien und im Irak nicht verhandeln – in beiden Ländern herrscht das Chaos. Doch Doha ist dazu bereit: Vor kurzem vermittelte Katar die Freilassung der 45 Blauhelm-Soldaten, die von der Nusra-Front gefangen gehalten wurden. Vielleicht konnte die Regierung Druck auf die Nusra-Front ausüben, weil so viele ihrer Geldgeber in Doha sitzen. Oder vielleicht ging es dieser al-Qaida nahestehenden Gruppe auch um etwas viel Wichtigeres.

„Ich glaube, Katar kann ihnen Legitimität verschaffen“, meint Andreas Krieg vom Londoner King’s College. So forderte die Nusra-Front als Gegenleistung unter anderem, dass sie von der Liste der vom UN-Sanktionsausschuss aufgestellten Liste der Terrororganisationen gestrichen wird. „Nusra will als offizieller Partner im Kampf gegen den Islamischen Staat anerkannt werden, und in Katar könnten sie in Zukunft eine Plattform finden“, sagt Krieg.

Und genau das bietet Katar seinen Partnern seit langem: Eine Plattform für den Zugriff auf Geld, die Medien und politischen Einfluss. Bislang haben die USA mitgespielt. Aber es fragt sich, ob sie tatsächlich mitspielen oder sich nur an der Nase herumführen lassen.

Aus dem Englischen von Anna Latz.

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