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Nachhaltige Entwicklungsziele
Ob die neuen globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung Afrika voranbringen werden, ist fraglich. Denn am neo­liberalen wirtschaftspolitischen Rahmen ändern sie nichts.

Vom 25. bis 27. September werden fast alle da sein: Kaum ein afrikanischer Staats- und Regierungschef dürfte beim Sondergipfel der Vereinten Nationen (UN) über die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) fehlen. Es wird darum gehen, das Auslaufen der im Jahr 2000 verabschiedeten Millenniums-Entwicklungsziele (MDGs) zu bestätigen und ein neues Kapitel aufzuschlagen. Allerdings nicht mit dem Gefühl, die Aufgabe der acht MDGs gelöst zu haben, sondern als Versuch, nach den Fehlschlägen in Afrika neu anzusetzen.

Die MDGs stehen in der Kontinuität der großen Weltkonferenzen der 1990er Jahre. Sie haben deren Empfehlungen in einem Leitfaden zusammengeführt. Doch zugleich ging es darum, die Katastrophen zu kaschieren, die der Internationale Währungsfonds (IWF) und die Weltbank in Volkswirtschaften des Südens verursacht hatten: Die hatten gerade ein Jahrzehnt gescheiterter Strukturanpassungsprogramme und Strategien zur Armutsreduzierung hinter sich.

15 Jahre nach Einführung der MDGs können in Afrika die Erfolge in einzelnen Bereichen nicht über die enormen Fehlschläge hinwegtäuschen; es fragt sich, was die SGDs hier ändern werden. Vor einem Jahr stellte der Koordinator des nationalen Rates für die Versorgung mit Wasser und Sanitäranlagen in Benin fest: „Afrika ist bei der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele in Verzug. Nur fünf Länder können die Teilziele bei der Abwasserentsorgung erreichen. Die übrigen werden erst 2048 so weit sein.“ Wenn nicht sofort umfassende Maßnahmen ergriffen würden, dauere es sogar noch länger. Diese Feststellung gilt für die meisten der acht MDGs.

Fortschritte wurden bei der Bildung sowie bei der Gesundheit von Müttern und Kindern erzielt. Das spiegelt aber kaum mehr als statistische Verbesserungen. Zwar gehen mehr Kinder zur Schule, aber es gibt zu wenig Schulgebäude und die Lehrer sind schlecht ausgebildet. Die allgemeinen Lebensverhältnisse haben sich nicht verbessert, Armut bleibt in Afrika ein tägliches Drama.

Wirtschaft stark beeinträchtigt

Angesichts eines Wirtschaftswachstums von bis zu zehn Prozent seit der Jahrtausendwende (2011 lag es in Ghana sogar bei 14,4 Prozent) könnte die Lage ganz anders aussehen. Doch die Finanz- und die Nahrungsmittelkrise in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts sowie der Klimawandel, die von den Auswüchsen des westlichen neoliberalen Wirtschaftssystems verursacht sind, haben die Wirtschaft Afrikas stark beeinträchtigt. Zudem hat das Wirtschaftswachstum die Lebensbedingungen für die breite Bevölkerung kaum verbessert, denn es beruhte hauptsächlich auf ausländischen Investitionen im Rohstoffsektor. Der wird von westlichen und chinesischen multinationalen Konzernen mithilfe von Knebelverträgen geplündert, die sie ohne jede Transparenz mit den Regierungen schließen und die vor allem die Korruption bedienen.

Das Ziel, die extreme Armut zu verringern, haben lediglich fünf afrikanische Länder erreicht, darunter der Senegal. Hier hat die Regierung nach dem Vorbild des brasilianischen Sozialprogramms „Bolsa Familia“ Familien Zuschüsse von umgerechnet 152 Euro pro Jahr gewährt, damit Eltern ihre Kinder impfen lassen und in die Schule schicken. Das hat die Situation verbessert, doch die Lebensbedingungen vieler Menschen sind dramatisch geblieben. In den Städten und auf dem Land fehlen wirtschaftliche Perspektiven.

Auch wenn die Statistiken auf Fortschritt hindeuten: Afrika ist weit davon entfernt, die Aufgabe der MDGs bewältigt zu haben. Das Wirtschaftswachstum hat die Kluft zwischen Stadt und Land, wo fast zwei Drittel der Bevölkerung leben, sowie zwischen der Elite und der breiten Masse weiter vertieft. Eine Umverteilung des Reichtums, um die soziale Kluft zu verkleinern, hat nicht stattgefunden.

Nachdenken von oben

Inzwischen richtet sich der Blick auf die SDGs, ohne dass bisherige Erfolge und Misserfolge wirklich ausgewertet worden wären. Im Senegal sind die MDGs nie einer offenen Evaluation unter Beteiligung der Betroffenen unterzogen worden. Man hält an dem technokratischen Ansatz fest, der bereits ihre Festlegung bestimmt hatte. Ein weiteres Mal kommt das Nachdenken von oben statt aus dem Versuch der Gemeinschaften, ihre eigenen Prioritäten für das Streben nach einem höheren Lebensstandard zu setzen, ihren Entwicklungsbedarf auszuloten und am Bau ihrer Zukunft teilzuhaben.

Bei den 17 SDGs, die Ende September von der UN-Generalversammlung beschlossen werden sollen, stellt sich erneut die Frage nach den Besonderheiten Afrikas. Anlässlich ihres 50. Geburtstages im Jahr 2013 hat die Afrikanische Union sich über die Zukunft des Kontinents Gedanken gemacht. Unter dem Titel „Das Afrika, das wir in Zukunft haben wollen“ hat sie für den Kontinent einen Entwicklungsrahmen skizziert. Unter anderem solle er ein „verlässlicher und einflussreicher Partner auf der Weltbühne“ werden. Von diesem Willen Afrikas ist in den SDGs nichts zu finden.

Die afrikanische Zivilgesellschaft hat bei den Diskussionen über die MDGs nur als Fassade gedient. Bei den SDGs hat sie sich eingebracht und Empfehlungen und Gegenvorschläge formuliert. Ihre Überlegungen sind in der „Beyond 2015“-Kampagne wie auch im Rahmen der Offenen Arbeitsgruppe der UN zum Ausdruck gekommen. Verstärkt wurden sie durch die Diskussionsforen und die Teilnahme an Verhandlungen. Beim Weltsozialforum 2015 in Tunis erkannten zivilgesellschaftliche Organisationen aus Afrika zwar an, dass sich der Ansatz im Vergleich zu den MDGs geändert hatte. Sie forderten aber gleichzeitig, dass der „Prozess so offen wie möglich verläuft“, und machten ihren Anspruch geltend, in jeder Phase „einschließlich der Umsetzung und Überwachung“ beteiligt zu werden. 

Auch wenn man von acht MDGs zu 17 SDGs übergegangen ist, liegt das Entscheidende nicht in den Zielen. Es liegt im politischen und ökonomischen Rahmen, in dem sie umgesetzt werden. Der entfesselte Neoliberalismus, der als Leitschnur der Globalisierung dient, kann keinen Rahmen bieten, um eine inklusive, soziale und solidarische Wirtschaft aufzubauen. Im vorherrschenden System wird Entwicklung weiterhin auf ständig wachsenden Unterschieden in der Gesellschaft gegründet sein, statt deren Verringerung zu erleichtern.

Autor

Tidiane Kassé

ist Journalist im Senegal und Chefredakteur der französisch­sprachigen Ausgabe des Informationsdienstes Pambazuka News (www.pambazuka.org).
Die SDGs als universelle, für alle Länder gültige Ziele zu konzipieren, zeugt von Streben nach Solidarität. Doch bezeichnen Begriffe wie Hunger und Ernährungssicherheit in Afrika und in den Ländern des Nordens nicht dieselbe Realität. Außerdem ist das Ziel 13, „umgehend Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und seiner Auswirkungen (zu) ergreifen“, ein Vorhaben, bei dem nicht alle Länder in derselben Weise oder mit derselben Intensität gefordert sind. Wenn Europa sich bemüht, die Ausbeutung seiner Naturschätze zu beschränken oder zu beenden, dann wird die Logik des Bedarfs den Blick automatisch gen Süden lenken. Aus genau dieser Logik resultieren die Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Union und den Ländern Afrikas.

Die Plünderung der Bodenschätze des afrikanischen Kontinents wird niemals über die Entwicklungshilfe rückvergütet werden können. Im Übrigen ist es eine trügerische Illusion zu glauben, diese künstliche Mildtätigkeit bringe Entwicklung. Ihre Früchte fließen vielmehr über bekannte Mechanismen wie Lieferbindung, Ausschreibungen, Korruption und Kapitalflucht zu den Gebern zurück. Und gerade jetzt, da die Rücküberweisungen von Migranten die staatliche Entwicklungshilfe bei weitem übersteigen, greifen die Nationen Europas zu einer repressiveren und restriktiveren Migrationspolitik.

Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2015: Entwicklung - wohin?
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