„Missbildungen durch Glyphosat“

Argentinien
Die Europäische Union prüft derzeit die Zulassung von Glyphosat für weitere zehn Jahre. Der argentinische Arzt Medardo Avila Vazquez warnt: Das Herbizid sei gesundheitsschädlich – vor allem für Säuglinge.

Wie sind Sie darauf gekommen zu untersuchen, ob Glyphosat Gesundheitsschäden verursacht?
Ich bin Kinderarzt und leite eine Intensivstation für Neugeborene in Cordoba. Da musste ich feststellen, dass zu bestimmten Jahreszeiten alle unsere Plätze mit fehlgebildeten Säuglingen belegt waren. Viele sind gestorben, andere wurden operiert und haben überlebt, aber mit bleibenden Schäden. Das ist gehäuft immer sieben bis neun Monate nach der Zeit aufgetreten, zu der die Felder intensiv besprüht wurden. Wir haben gemerkt, dass das kein Zufall ist, sondern vom Kontakt mit Glyphosat verursacht wird.

Seit wann ist das so?
In unserer Klinik seit ungefähr 2002. Seitdem haben wir das jedes Jahr.

Um welche Missbildungen handelt es sich?
Bei manchen Säuglingen haben sich nicht alle Gliedmaßen ausgebildet. Andere haben schwere Herz- oder Gehirnschäden, eine Hasenscharte oder ein Loch im Rücken, wo sich der Körper nicht geschlossen hat.

Haben Sie und Ihre Kollegen auch bei Erwachsenen Gesundheitsschäden gefunden, die Sie auf Glyphosat zurückführen?
Bevölkerungsgruppen, die Glyphosat ausgesetzt waren, weisen andere Krankheitsmuster auf als die übrigen: Schwere Krebsarten findet man etwa drei Mal öfter. Auch Fehlgeburten und angeborene Missbildungen bei Kindern kommen häufiger vor, ebenso eine Schilddrüsen-Unterfunktion und Erkrankungen der Atemwege wie Asthma.

Was meinen Sie mit „ausgesetzt“?
Das heißt Menschen kommen in ständigen Kontakt mit Glyphosat, weil sie in Gebieten leben, in denen viele Glyphosat-haltige Herbizide verspritzt werden. Damit kommt man über die Luft, die Erde und über Nahrungsmittel in Berührung.

Was macht Sie sicher, dass die erhöhten Krankheitsraten darauf zurückzuführen sind?
Für die Krankheitsbelastung an einem Ort können natürlich verschiedene andere Umwelteinflüsse eine Rolle spielen. Daher muss man Studien an unterschiedlichen Orten machen und prüfen, ob die Ergebnisse übereinstimmen. Genau das haben wir über sieben, acht Jahre getan. Und wir fanden eine erhöhte Krankheitsbelastung an ganz unterschiedlichen Orten, deren einzige Gemeinsamkeit der starke Einsatz von Glyphosat ist. Auch laut den Daten des Gesundheitsministeriums tritt Krebs in Soja-Anbaugebieten deutlich häufiger auf als in Viehzuchtgebieten.

Sind im Wesentlichen arme Menschen betroffen?
Nein. Wir beobachten Krebs und Missbildungen bei Neugeborenen gehäuft in der Nähe von Sojafarmen – unabhängig von der sozialen Schicht und auch davon, ob es sich um Nachkommen von europäischen Einwanderern oder von Indigenen handelt. Die soziale Schicht und genetische Anlagen scheinen keinen entscheidenden Einfluss zu haben.

Wird Glyphosat in Argentinien im Wesentlichen im Soja-Anbau eingesetzt?
Vor allem da, außerdem beim Anbau von transgenem Mais. Das Saatgut ist resistent gegen Glyphosat, mit dem alle anderen Pflanzen abgetötet werden. Die Mittel werden teils aus Flugzeugen versprüht, teils aus großen Sprühanlagen an Traktoren.

Ist dieser Einsatz im Einklang mit den Gesetzen und Vorschriften?
Ja. In Argentinien stuft der Gesetzgeber Glyphosat als ungiftig ein. Deshalb gibt es keine Grenzwerte und keine staatlichen Vorschriften, welche Verfahren eingehalten werden müssen. Teilweise wird Glyphosat in Lagerhallen direkt neben Schulen gelagert.

Halten sich die Bauern an die Gebrauchsanweisungen, die Monsanto herausgibt?
Die Anwendungshilfen, die Monsanto bereitstellt, zielen darauf, die Produktion der Pflanzen zu erhöhen. Es geht vor allem darum, alle anderen Pflanzen abzutöten, die mit Soja oder Mais konkurrieren. Deshalb empfiehlt Monsanto, immer höhere Dosen einzusetzen und weitere Zusatzstoffe zusammen mit Glyphosat anzuwenden.

Hat der Einsatz von Pflanzenvernichtungsmitteln in Argentinien zugenommen?
Stark zugenommen: 1996 wurden noch drei Kilo pro Hektar versprüht, heute sind es ungefähr zwölf Kilo. Das liegt auch daran, dass Unkräuter mit der Zeit gegen Glyphosat Resistenzen entwickeln.

Haben Sie über Ihre Befunde mit Monsanto gesprochen?
Ja. Wir tauschen uns regelmäßig mit Ärzten und Agraringenieuren aus, die für Monsanto arbeiten. Die bezweifeln, dass Glyphosat die Ursache ist, weil es viele andere Umwelteinflüsse gebe. Das Argument ist das gleiche wie früher die Behauptung, Rauchen sei unschädlich: Da hat der Tabakkonzern Phillip Morris auch immer erklärt, Lungenkrebs könnte auf ganz andere Faktoren zurückgehen, etwa genetische Dispositionen in der Familie. Aber man kann ja kaum, um alle Begleitumstände zu kontrollieren, im Labor Menschen Glyphosat injizieren und die Wirkung beobachten.

Ist der Einsatz von Glyphosat politisch umstritten, zumal auch besser gestellte und gebildete Gruppen unter den Folgen leiden?
Kaum. Auch wo gut gestellte Argentinier wohnen, ist Soja ein riesiger Wirtschaftsfaktor. Es ist die wichtigste Quelle des Wohlstands. Deshalb sind die Interessen sehr stark, das fortzusetzen. Ärzte wie wir, die das Problem offenlegen, werden mit Entlassung bedroht.

Wer bedroht Sie als Angestellten einer staatlichen Universität?
Der Dekan der landwirtschaftlichen Fakultät zum Beispiel. Auch an der Universität gibt es Interessengruppen, die das Wirtschaftsmodell von Monsanto verteidigen.

Wird im Parlament über Glyphosat debattiert?
Ja, aber sehr eingeschränkt. Niemand wagt sich wirklich an das Problem, denn Soja ist nicht nur das Hauptexportgut, es ist auch die größte Einnahmequelle des argentinischen Staates: Er erhebt eine Steuer von 35% auf den Export von Soja. Proteste aus der Bevölkerung nehmen allerdings in betroffenen Orten zu – Demonstrationen, Straßenblockaden. Damit ist 2014 verhindert worden, dass Monsanto eine neue Fabrik in Argentinien baut.

Ist der Anbau von Soja in diesem Umfang auch ohne Glyphosat möglich?
Laut Agraringenieuren, die das herrschende Modell kritisch sehen, gibt es durchaus andere Möglichkeiten, mit Soja gute Erträge zu erzielen. Aber das Modell Monsanto ist für den Produzenten viel einfacher als die Alternativen: Er wirft zur Unkrautkontrolle eben das Gift auf den Acker. Schon allein die Größe der Flächen – manche Äcker sind 5000 oder 10.000 Hektar groß – ist widernatürlich. Da muss die Natur, die immer ein Gleichgewicht vieler Arten sucht, außen vor gehalten werden um den Preis einer riesigen chemischen Verschmutzung.

Das Gespräch führte Bernd Ludermann.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2015: Agrarindustrie: Vitamine aus der Tüte
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