Hilfe auf Pump

Offizielle Entwicklungshilfe
Deutschland vergibt seine Entwicklungshilfe zunehmend in Form günstiger Kredite. Und rechnet sich damit seine ODA-Quote schön. Das wird sich bald ändern.

Es war der größte Blackout seit Menschengedenken. Zwei Tage standen Züge still, Flugzeuge verspäteten sich, Ampeln fielen aus. Für 600 Millionen Menschen im Norden Indiens ging gar nichts mehr. Die aufstrebende Wirtschaftsmacht war tief in ihrem Stolz getroffen. Seit 2012 ist es nationale Priorität, das Stromnetz zu stabilisieren. Effizienter soll es werden – und grüner. Bis 2022 will die Regierung die Kapazität zur Solarstromerzeugung auf 100 Gigawatt ausbauen.

Um erneuerbaren Strom aus dem sonnigen Süden in andere Landesteile zu leiten, hat sie den Plan der „Green Energy Corridors“ aufgelegt. Den Netzbetreiber Power Grid Corporation of India kosten diese Korridore 3,4 Milliarden US-Dollar, plus zehn Milliarden US-Dollar für den Ausbau interregionaler Verbindungen. Auf der Suche nach der besten Finanzierung wurden die Inder in Frankfurt am Main fündig: Die bundeseigene KfW-Entwicklungsbank ist neben der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) der größte Geldgeber. Sie fördert die „grünen Korridore“ mit einem zinsverbilligten Darlehen von zunächst 500 Millionen Euro; 1,15 Milliarden Euro sollen es insgesamt werden.

Deutschland steigt von Zuschüssen auf Darlehen um

Weltweit erfüllt die KfW den Auftrag der Bundesregierung, Entwicklungsvorhaben zu finanzieren und damit „Menschen Perspektiven für ein besseres Leben zu schaffen und Klima und Umwelt zu schützen“. Ihre Bedeutung wächst. Indien ist ein Beispiel dafür, wie Deutschland in seiner Entwicklungspolitik zunehmend von nicht rückzahlbaren Zuschüssen auf Darlehen umsteigt – mehr als alle anderen Staaten in der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), der vorwiegend Industrieländer angehören.

Über die Jahre ist das Volumen der Entwicklungshilfe auf Pump in beeindruckendem Tempo gewachsen. Die deutsche Hilfe in Form von Zuschüssen stieg nach der OECD-Buchführung zwischen 2005 und 2014 brutto von 10,88 Milliarden um rund ein Drittel auf 14,38 Milliarden US-Dollar. Im selben Zeitraum wuchs das Volumen ausgezahlter Darlehen um das Siebenfache – brutto von 712 Millionen auf 4,96 Milliarden Dollar.

Im Gegensatz zu Großbritannien, das fast nur Zuschüsse vergibt, hat Deutschland so seine Ausgaben für die offizielle Entwicklungshilfe (ODA) gesteigert, ohne den Bundeshaushalt in gleichem Maß zu belasten. Vor allem Schwellenländer, deren aufstrebende Volkswirtschaften schon höheren Wohlstand bescheren, erhalten große Summen – mit minimalem Einsatz von Budgetmitteln. Und dank der guten Bonität der KfW zu besseren Konditionen als sonst auf dem Kapitalmarkt.
Kritiker beobachten den Trend mit Argwohn. Zum einen schien es der Bundesregierung in den vergangenen Jahren darum zu gehen, die heimische Geberbilanz durch neue Darlehen aufzubessern. Denn die Zeit großer Schuldenerlasse im Zuge der Kölner Initiative von 1999, die als Entwicklungshilfe gutgeschrieben werden konnten, ging zu Ende. Zum anderen ist aus Sicht der Gegner das Argument entkräftet, wenn fortgeschrittene Entwicklungsländer Darlehen bekämen, würden mehr Zuschüsse für die Ärmsten frei. Dies sei entgegen aller Versprechen nicht eingetreten.

Die Prüfer des Entwicklungshilfe-Ausschusses der OECD weisen in ihrem jüngsten Bericht darauf hin, dass Deutschland bei weitem nicht so viel für die ärmsten Länder ausgibt, wie es das öffentlich anstrebe und auch tun sollte. So seien 2013 „trotz der ausdrücklichen Fokussierung auf Afrika“ nur 32 Prozent der bilateralen ODA in afrikanische Länder geflossen, stellt die OECD fest, 34 Prozent in asiatische. Nur 27 Prozent der bilateralen ODA gingen an Länder der unteren Einkommensgruppe, 73 Prozent dagegen an Länder mit mittlerem Einkommen. Der Grund: Große Volumen verbilligter, sogenannter konzessionärer KfW-Kredite gehen an weiterentwickelte Länder, hauptsächlich in Asien. Deutschland hat sich in einen Zielkonflikt hineinmanövriert, der sich verschärfen wird. Denn auch künftig sollen mehr Darlehen vergeben werden, bevorzugt an Länder, die ihre Schulden zurückzahlen können.

Ein Beispiel ist Marokko: Erst vor wenigen Monaten wurde dort das „Leuchtturmprojekt“ eines neuen Solarkomplexes gefeiert, den Deutschland unterstützt. Empfänger ist die marokkanische Solaragentur MASEN. Gebaut wird unter anderem ein Solarturmkraftwerk in Ouarzazate, einem heißen Ort zwischen dem Atlasgebirge und der Wüste. Verbilligt durch eine halbe Million Euro Zuschuss aus dem Bundeshaushalt, „hebelt“ die KfW 654 Millionen Euro Kredit. Trotz des geringen Anteils an öffentlichen Mitteln kann das Darlehen voll auf die ODA angerechnet werden.

Diese Praxis rief in der Vergangenheit viele Kritiker auf den Plan: Einen Strohfeuereffekt in der nationalen ODA-Bilanz beklagte etwa die Welthungerhilfe. Wird ein Darlehen mit staatlichen Mitteln bezuschusst, um es für den Kunden günstiger zu machen (im Durchschnitt im Verhältnis eins zu 16), schlägt das Kreditvolumen komplett als ODA zu Buche. Am Ende steht die Regierung großzügiger da, als sie tatsächlich ist.

Allerdings ist damit nun bald Schluss. Nicht nur Entwicklungsorganisationen protestierten lange gegen den „Missbrauch“. Auch andere Geberländer nahmen das Aufblähen der Hilfsstatistiken nicht länger tatenlos hin. Im Herbst 2014 beschloss der Geberclub der OECD in Paris eine Reform – die nun, so warnt Tobias Hauschild von Oxfam, „für Deutschland zum Bumerang werden kann“.

Künftig wird gerechter gezählt

Sobald die neuen Regeln 2018 greifen, schmelzen fünf Prozent der deutschen Hilfe ab. Zu diesem Ergebnis kommt eine von Oxfam mitfinanzierte Studie der Dachorganisation VENRO von Ende Februar. Für 2013 hätte sich Deutschland danach 600 Millionen Euro weniger ODA anrechnen können als nach den bisherigen Regelungen. Künftig wird also gerechter gezählt. Bisher gilt: Enthält ein Kredit für ein Entwicklungsland einen nicht rückzahlbaren „Zuschussanteil“ von mindestens 25 Prozent, darf das Geberland den Kredit in voller Höhe auf seine ODA-Quote anrechnen. Der Zuschussanteil errechnet sich aus mehreren Faktoren: darunter die Laufzeit, die Verzinsung und ein „Abzinsfaktor“, der Barwert vom Zins nach Rendite des Kreditnehmers.

Auch künftig müssen Darlehen, die auf das ODA-Konto gehen, vergünstigt vergeben werden. Den Empfängern muss ein wirtschaftlicher Vorteil entstehen, wenn sie Entwicklungsdarlehen anstelle eines kommerziellen Darlehens annehmen. Allerdings wird nur noch dieser wirtschaftliche Vorteil in die ODA aufgenommen. Für jedes Projekt wird der barwertige Vorteil – genannt Schenkungselement – im Vergleich zu einem kommerziellen Darlehen errechnet. Dabei berücksichtigt wird auch das Kreditausfallrisiko, das für ärmere Länder höher liegt. Je höher also dieses „Zuschussäquivalent“ – der Teil des Darlehens, der einem Zuschuss gleichkommt –, desto höher der Betrag, der auf die ODA angerechnet werden darf.

Hinter der neuen Methode steht der Gedanke, Anreize für möglichst weiche Konditionen zu schaffen. Um in den ODA-Topf zu kommen, muss der Schenkungsanteil an die bedürftigsten Länder mindestens 45 Prozent erreichen. In dieser Gruppe sind allein 32 afrikanische Länder. Für Länder mittleren Einkommens, darunter Indien und Marokko, liegt die Schwelle bei mindestens 15 Prozent, zehn Prozent sind es für die obere mittlere Einkommensgruppe mit Brasilien, China, Kuba oder der Türkei.

Eine Ausnahme für die Bundesregierung

Weil Deutschland viele Darlehen an die besser gestellten Entwicklungsländer vergibt – und dies für die Klimafinanzierung tendenziell noch stärker tun wird –, hat sich die Bundesregierung in Paris eine Ausnahme zubilligen lassen. Für Auszahlungen an diese Gruppe wird der Schenkungsanteil auch berücksichtigt, wenn die Zehn-Prozent-Schwelle nicht erreicht ist. Offiziell begründet Deutschland dies mit dem hohen Umfang von Darlehen an Schwellenländer. Da die KfW verpflichtet sei, bei der Kreditvergabe „schonend“ mit Haushaltsmitteln umzugehen, wäre eine zusätzliche Verbilligung, um die Mindestschwelle zu erreichen, eine Verbilligung „über Gebühr“, heißt es KfW-intern. In den meisten Fällen lägen die Darlehen aber sowieso über der Schwelle.

Als Ergebnis der Reform ist damit zu rechnen, dass die bei 0,4 Prozent herumdümpelnde deutsche ODA-Quote eine Delle bekommen wird. Andererseits könnte die im Finanzplan des Bundes bis 2019 vorgesehene Budgetsteigerung schon als Ausgleich gedacht sein. Die niedrigere Anrechenbarkeit wäre dann schon eingepreist. Befürworter von Entwicklungskrediten, wie der CDU-Abgeordnete Volkmar Klein, sehen die Folgen der OECD-Reform ohnehin gelassen. Die angestrebte ODA-Quote von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsproduktes werde künftig nicht mehr die einzige Leitplanke sein, an der Geber ihre Leistungen messen. Es sei an der Zeit, die starre Fixierung auf die Ausgaben zu lassen und stattdessen mehr auf die Wirksamkeit zu achten, meint Klein.

Und hier hätten sich Darlehen in der Vergangenheit bewährt. Besonders für Infrastrukturvorhaben wie Strom- und  Wasserversorgung, die Einnahmen für die Tilgung generieren, seien sie äußerst sinnvoll. „Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht“, sagt Klein, im Haushaltsausschuss für den Entwicklungsetat zuständig. „Geld, das verschenkt wird, kommt bei denen an, die die besten Verbindungen haben. Geld, das verliehen wird, kommt da an, wo die besten Ideen sind, weil es zurückgezahlt werden muss.“

Autorin

Marina Zapf

ist Berlin-Korrespondentin von „welt-sichten“.
Mit dieser Haltung steht er nicht alleine da. Am schärfsten formulierten es wohl die Unterzeichner des „Bonner Aufrufs“ von 2008. Darin wollten pensionierte Entwicklungspolitiker und „Cap Anamur“-Gründer Rupert Neudeck die Entwicklungszusammenarbeit komplett auf Kredite umstellen, weil Zuschüsse „Bettlermentalitäten“ verstärkten und „zu einer massenhaften Vergeudung“ führten. Geschenktes werde nicht gepflegt.

Was damals in der Zivilgesellschaft als „Krawall“ und „Populismus“ abgetan wurde, gewinnt weiter an Fahrt. Längst wird in den Ressorts für Entwicklung und Umwelt mit der KfW über neue Zielkorridore für Darlehen nachgedacht. Der CDU-Politiker Klein wünscht sich beispielsweise Kredite auch als Anschub für private Technologie- oder Gründerzentren. Konkret stehen demnächst im Sekretariat des „Grünen Klimafonds“ Entscheidungen an.

Auch dort tut sich ein Zielkonflikt auf. Es geht darum, in welchem Maß die zugesagten zehn Milliarden Euro für Klimaprojekte auf Pump vergeben werden. Schwellenländer wehren sich dagegen, dass nur ärmere Länder in die Gunst von Zuschüssen kommen, während sie selbst Geld leihen sollen. Im Sekretariat des Fonds hätte man gern eine solche starre Kategorisierung gehabt. Doch es gab Streit, vermutlich wird es auf eine Einzelfallprüfung hinauslaufen.

„Auf keinen Fall sollten Darlehen ein Ersatz sein für Verpflichtungen, die Industrieländer für Klimafolgen haben“, sagt David Eckstein, Klimaexperte bei der Organisation Germanwatch. Konzessionäre Kredite seien sinnvoll etwa für einen Solarpark, der über den Stromverkauf tilgen kann. Für ein Anpassungsprojekt wie einen Schutzwall gegen Fluten sei dagegen ein Zuschuss geeigneter. In jedem Fall gebe es die Gefahr, dass Schwellenländer wie China oder Brasilien vorpreschten mit Vorhaben, die sie bereits in der Schublade haben, warnt Eckstein. Kleinere und ärmere Länder könnten dann schnell das Nachsehen haben. 

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erschienen in Ausgabe 4 / 2016: Entwicklungsbanken: Geld mit Nebenwirkungen
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