Der Dschihad beginnt zu Hause

Islamischer Staat
Tausende Kämpfer aus verschiedenen Ländern haben sich dem Islamischen Staat (IS) in Syrien angeschlossen. Die Terrortruppe findet besonders da neue Kämpfer, wo ungelöste Konflikte mit dem Staat schwelen, legt eine neue Studie nahe.

Die Personalbögen von gut 3500 IS-Rekruten, die ein geflohenes IS-Mitglied bekannt gemacht hat, hat Nate Rosenblatt von der US-amerikanischen Denkfabrik „New America“ ausgewertet. Die Bögen enthalten persönliche Daten und Selbsteinschätzungen von Kämpfern, die Mitte 2013 bis Mitte 2014 über die Türkei nach Syrien kamen. In dieser Zeit lief die größte Rekrutierungskampagne des IS. Erfasst sind rund ein Zehntel der ausländischen Kämpfer, die sich seit 2012 der Truppe angeschlossen haben.

Wenig überraschend war die Mehrheit unverheiratet und das Durchschnittsalter lag bei gut 26 Jahren. Der Bildungsstand war jedoch höher und die religiöse Bildung schlechter, als man von fanatischen Gotteskriegern denken sollte: Über die Hälfte hatte mindestens einen höheren Schulabschluss, ein ebenso hoher Anteil bezeichnete sein Wissen über den Islam nur als „Grundkenntnisse“. Viele hatten nur in unqualifizierten Berufen gearbeitet. Handelt es sich um gebildete junge Leute, denen die moderne Gesellschaft keinen Platz bietet?

Das trifft auf einige Herkunftsregionen wie Tunesien zu, aber nicht auf alle. Der IS findet in Ländern wie Saudi-Arabien, Libyen, Russland oder Frankreich vor allem in einzelnen Provinzen Anklang, zeigt Rosenblatt. Dazu errechnet er den Anteil der Rekruten an der gesamten muslimischen Bevölkerung einer Region und färbt auf einer Karte ein, wo er mindestens 2 pro 100.000 beträgt. Das ergibt einzelne hell- bis dunkelrote Inseln auf großen weißen Flächen.

Einige Hotspots nimmt der Autor genauer unter die Lupe. Derna in Libyen habe eine lange Tradition des Dschihadismus; schon in den 1980er Jahren hatten Männer von dort in Afghanistan gegen die Sowjets gekämpft. Nach den Daten waren die IS-Rekruten aus Derna eher arm und ungebildet, aber überdurchschnittlich kampferfahren und religiös instruiert. Die Tunesier aus Kebili dagegen waren religiös unbedarft und ohne Kampferfahrung, aber gebildet – junge Männer, die keinen ihrer Qualifikation entsprechenden Beruf finden konnten.

Viele IS-Kämpfer aus Qassim im Zentrum Saudi-Arabiens waren noch höher gebildet. Not litten sie wohl nicht: In Qassim ist die Armutsrate niedriger als im Rest des Landes. Dafür kannten diese Dschihadisten den Islam und waren, vermutet Rosenblatt, von Theologen beeinflusst, die in der Region besonders konservativ, Schiiten-feindlich und kritisch gegenüber dem Königshaus sind.

Die Kämpfer aus Xinjiang in China dagegen kamen aus einer traditionellen ländlichen Gesellschaft: Sie waren kaum gebildet, ohne jede Kampferfahrung, im Durchschnitt älter und öfter verheiratet. Repressionen der chinesischen Regierung haben hier zur Radikalisierung geführt, vermutet Rosenblatt.

Den gemeinsamen Nenner dieser Herkunftsregionen findet er darin, dass sie von Konflikten mit der Zentralregierung geprägt oder im Staat an den Rand gedrängt seien. Das ist einleuchtend, passt allerdings nicht auf alle Beispiele: Für Bahrain „könnte“ so ein Konflikt vorliegen, schreibt Rosenblatt. Und im Fall Tunesien kommen Rekruten des IS aus vielen Landesteilen – die Marginalisierung der Provinz Kebili erklärt da nicht viel.

Rosenblatt fordert aber zu Recht, lokale Ursachen von islamischem Extremismus genau in den Blick zu nehmen. Und er belegt, dass keineswegs nur Fromme und Ungebildete zum IS finden. Schlussfolgerungen zum islamischen Extremismus insgesamt könne man aus den Daten aber nur bedingt ziehen, warnt er: Die Personalbögen sagen nichts zu anderen Gruppen wie Al-Qaida; und Kämpfer aus Pakistan und Nigeria sind im IS wahrscheinlich deshalb unterrepräsentiert, weil dortige Extremisten zu Hause morden können.

Link zur Studie "All Jihad is Local"

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