Gebt den Südsudan nicht auf!

Staatsbildung
Machtkämpfe, Krieg und Hunger: Der junge Staat kommt nicht zur Ruhe – und es könnte sogar noch schlimmer kommen. Doch es gibt einige Dinge, die hoffen lassen.

„Es kann noch hundert Jahre dauern, bis wir Frieden und Stabilität erreichen“, sagte der damalige Herausgeber der Tageszeitung „Khartoum Monitor“, Alfred Taban, im Jahr 2004 auf die Frage nach den Perspektiven des absehbaren Friedensabkommens zwischen der Regierung des Sudan und den südsudanesischen Rebellen des Sudan People’s Liberation Movement (SPLM). Dieses Abkommen sollte sieben Jahre später, im Juli 2011, zur Spaltung des Landes und zur Gründung der Republik Südsudan führen. Aber Tabans Einschätzung scheint sich leider zu bewahrheiten. Zwar nahm die SPLM zunächst mit ihr rivalisierende Milizen wieder auf und band sie in die Regierung des neuen Staates ein. Aber Ende 2013 entbrannte ein Bürgerkrieg in der SPLM zwischen Gruppen, die zu Präsident Salva Kiir Mayardit stehen, und Anhängern seines inzwischen abgesetzten Vizepräsidenten Riek Machar Teny. Nur unter größtem internationalem Druck unterzeichneten beide im August 2015 ein Friedensabkommen.

Jetzt sind auch in der Hauptstadt Juba neue Kämpfe ausgebrochen. Das Friedensabkommen von 2015 ist gescheitert – auch wenn einige, darunter die Regierung unter Präsident Kiir, noch so tun, als wollten sie es umsetzen. Alfred Taban hat in seinem „Juba Monitor“ klar geäußert, dass die Verantwortung für die Kämpfe bei den politischen Führern liege und sie jedes Recht auf Führung verwirkt hätten. Grund genug für die Sicherheitskräfte, ihn umgehend zu inhaftieren. Taban und andere Journalisten können auch im unabhängigen Südsudan, für dessen Freiheit sie sich stets eingesetzt haben, nicht frei berichten.

International herrschen nun Entsetzen, Hilflosigkeit, Resignation – und Wut auf die Unterzeichner des Friedensabkommens von 2015. „Ich weiß nicht, was wir jetzt machen sollen, aber noch einen failed state können wir uns definitiv nicht leisten“, sagte ein hochrangiger Diplomat Anfang August auf die Frage, ob eine afrikanische Schutztruppe zum Frieden im Südsudan beitragen könne. „Vielleicht kann sie wenigstens die Hauptstadt Juba sicher machen, während allerdings auf dem Land weiter gekämpft wird, so wie zwischen 2014 und 2015. Aber damit können wir dann leben.“ Wie bitte? Wer genau kann dann damit leben?

Die geringste Kleinigkeit löst Kämpfe aus

Schon 2015 hatte kaum jemand damit gerechnet, dass das Friedensabkommen halten würde. Lange hatten beide Kriegsparteien die Bildung einer Übergangsregierung verzögert, erst Ende April 2016 war Machar, nun Führer der bewaffneten „SPLM in Opposition“ (SPLM i.O.), mit seinen Leuten in die Hauptstadt geflogen, wo er erneut als Vizepräsident vereidigt wurde. Viele warteten seitdem darauf, dass die geringste Kleinigkeit neue Kämpfe nach sich ziehen würde. Genau das ist am 8. Juli 2016 passiert.

Nichts Neues also im jüngsten Staat der Welt, dessen Bürgerinnen und Bürger seit Jahrzehnten nichts anderes zu kennen scheinen als Versklavung, Flucht, Hunger und Krieg? Manche wenden sich nach den vielen Fehlschlägen und Enttäuschungen resigniert ab. Doch es wäre ein Kardinalfehler, Menschen, die nichts anderes wollen als ein friedliches Leben mit einem Dach über dem Kopf und Bildung für ihre Kinder, gleichzusetzen mit ihrer korrupten machthungrigen Führungselite.

Fehler prägen auch das Vorgehen der Staatengemeinschaft. Es ist abwegig anzunehmen, dass gerade militärische Führer, die jahrzehntelang unter Missachtung aller Menschenrechte Krieg geführt haben, die einem Menschenleben so viel Wert beimessen wie andere dem einer Stubenfliege und die sich auf jede erdenkliche Weise Geldquellen erschließen, sich zu integren demokratischen Führungspersönlichkeiten entwickeln könnten, die das Wohl ihrer Bevölkerung an erste Stelle setzen. Falsch ist auch zu meinen, dass zutiefst traumatisierte Menschen wie die im Südsudan jederzeit rationalen Argumenten zugänglich seien. Oder zu glauben, dass persönliche Kränkungen in der Politik keine Rolle spielen. Man darf auch nicht darauf bauen, dass ein Volk, das sich gerade aus jahrhundertelanger Unterdrückung befreit hat, sich nach fünf Jahren Unabhängigkeit von anderen vorschreiben lassen werde, was es zu tun und zu lassen habe.

Die Südsudanesen müssen sich neu finden

Der Kampf um Unabhängigkeit vom Nordsudan war Jahrzehnte die identitätsstiftende Klammer für Südsudanesinnen und Südsudanesen. Die ist 2011 erst einmal weggefallen und die einzelnen Gruppen müssen sich nun neu finden in dem, was sie für die Zukunft wollen. Tiefstes Misstrauen prägt mittlerweile die Beziehungen. Da ist es für machthungrige Politiker leicht, sie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und auszunutzen, dass viele Menschen eben nicht mehr Bevormundung und die Herrschaft einer einzelnen Volksgruppe wollen.

All das ist geschichtlich gesehen weder neu noch einzigartig. Es ist tragisch, zweifellos. Und es wird noch viele Opfer fordern. Das Schlimmste wird für die Menschen im Südsudan wahrscheinlich in den nächsten Monaten erst noch kommen; wir sollten uns sogar auf schlimme Jahre einstellen. Derzeit scheint es, als werde ein Krieg „Dinka gegen Alle“ und „Alle gegen Dinka“ vorbereitet. Dabei liegt der militärische Vorteil auf der Seite der regierenden Volksgruppe der Dinka, aber die andere Seite ist in der Mehrheit. Und selbst wenn es derzeit in der Hauptstadt weitgehend ruhig ist, wird an vielen anderen Stellen im Land gekämpft. Neue Allianzen werden gebildet, junge Männer mobilisiert.

Autorin

Marina Peter

ist Beraterin für Analyse und Advocacy Ostafrika und Horn von Afrika bei Brot für die Welt sowie Vorsitzende des Sudan und Südsudan Forum e.V.
Trotzdem ist es falsch, nur auf Fehlschläge zu schauen und zu resignieren. Was sich entscheidend geändert hat, sind der Friedenswille und die Versöhnungsbereitschaft. Sehr viele Menschen im Südsudan erheben deutlich ihre Stimme und rufen an vielen Orten zum friedlichen Miteinander auf. Nicht nur bekannte Intellektuelle, sondern Menschen, die sich im Laufe der vergangenen Jahre von Kirchen und Institutionen wie dem südsudanesischen RECONCILE in Friedens-, Versöhnungs- und Trauma-Arbeit haben ausbilden lassen. Junge Südsudanesen rufen in sozialen Netzwerken, in die man sich in weiten Teilen des Landes einklinken kann, gegen Hasstiraden auf, Geschäftsleute und Bauern wollen sich ihre Arbeit nicht erneut zerstören lassen.

Hinzu kommt: Die Nachbarländer haben kein Interesse mehr an einem instabilen Südsudan. China ist nach dem Verlust seines Ölgeschäftes durch die ständigen Kämpfe und nach dem Tod zweier seiner Blauhelmsoldaten im Juli 2016 bereit, Sanktionen und andere Maßnahmen der Staatengemeinschaft mitzutragen.

All dies mag wenig erscheinen angesichts des gegenwärtigen Gewaltszenarios. Mit der jetzigen Führungselite wird es kaum dauerhaften Frieden geben. Es ist also durchaus möglich, dass für viele Jahre im Südsudan fast anarchische Verhältnisse herrschen werden. Aber die Kraft der Bevölkerung, diese am Ende zu überwinden, darf nicht unterschätzt werden – wenn man sie denn lässt. Das eingangs erwähnte Zitat von Alfred Taban lautet vollständig: „Es kann noch hundert Jahre dauern, bis wir Frieden und Stabilität erreichen. Aber mit allem, was wir heute tun, legen wir die Grundlage, dass es eines Tages möglich wird.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.

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erschienen in Ausgabe 9 / 2016: Tourismus: Alles für die Gäste
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