Handel allein hilft nicht

Afrikanische Freihandelszone
26 Staaten Afrikas wollen eine große Freihandelszone gründen. Wenn sie nicht gleichzeitig gezielt die Produktion modernisieren, droht das einen riesigen Absatzmarkt für Industrie- und Schwellenländer zu schaffen.

Die Africa Tripartite Free Trade Area (TFTA) ist ein erfreuliches Zeichen dafür, dass die Afrikaner Initiativen ergreifen, um Wirtschaftswachstums zu fördern. Die neue Freihandelszone vereint drei Wirtschaftsblöcke: den Gemeinsamen Markt für das Östliche und Südliche Afrika (COMESA), die Ostafrikanische Gemeinschaft (EAC) und die Entwicklungsgemeinschaft des Südlichen Afrika (SADC). Dazu gehören 26 Länder mit zusammen 640 Millionen Menschen, die gut die Hälfte des afrikanischen Bruttoinlandsprodukts erwirtschaften.

Die Gründung der TFTA wurde im Juni 2015 beschlossen. Bis Mitte Juni 2016 haben 17 der 26 Mitgliedsstaaten den TFTA-Vertrag unterschrieben; ratifiziert hat ihn noch kein Parlament der beteiligten Länder. Die TFTA soll einen gemeinsamen Markt schaffen, auf dem Waren und Dienstleistungen frei gehandelt werden, und so den Handel in der Region anregen. Die neue Freihandelszone soll auch Probleme beseitigen, die sich daraus ergeben, dass einige Länder zu mehreren Wirtschaftsgemeinschaften mit unterschiedlichen Zollregeln gehören.

Handel innerhalb Afrikas ist an sich nichts Neues. Schon vor der Kolonialzeit sorgte etwa eine Handelsstraße durch die Sahara für den Austausch zwischen Westafrika und dem Mahgreb. Doch damals kontrollierten die Afrikaner selbst die Wertschöpfungs- und Nachschubketten, während in der TFTA vermutlich überwiegend internationale Wirtschaftsinteressen prägend sein werden. Sowohl Industrie- als auch Schwellenländer wollen Afrikas Märkte für sich erschließen; dazu haben China, die USA, Japan, Indien, die Türkei und die Europäische Union (EU) jeweils Kooperationsforen gegründet wie das EU-Afrika-Forum. Sie erwarten gute Gewinnperspektiven auf einem vereinheitlichten afrikanischen Markt. So baut China Straßen und Eisenbahnlinien, um die Küsten von West- und Ostafrika miteinander zu verbinden mit dem Ziel, die wirtschaftliche Integration des Kontinents voranzutreiben.

Schon am Ende der Kolonialherrschaft propagierten Gründungsväter der unabhängig gewordenen Länder wie Kwame Nkruhmah, der erste Präsident Ghanas, die Idee eines vereinigten Kontinents. Jetzt bietet die TFTA eine hervorragende Chance, der panafrikanischen Einheit einen Schritt näherzukommen. Vermutlich wird sich der Handel zwischen den beteiligten Ländern nun weiter verstärken. 1994 wickelten die TFTA-Mitgliedsstaaten sieben Prozent ihres gesamten Außenhandels untereinander ab; bis 2014 hat sich dieser Anteil laut Soamiely Andriamananjara von der George Washington University auf 25 Prozent erhöht und der Wert der Warenexporte untereinander ist von 2,3 Milliarden auf 36 Milliarden US-Dollar gestiegen.

Überkommene Handelsmuster aufbrechen

Man hofft, dass die TFTA dringend benötigte Investitionen in Infrastruktur bringen wird. Sie eröffnet die Chance, mehr Produzenten an regionale und globale Wertschöpfungsketten anzubinden und so das wirtschaftliche Potenzial der Region zu erschließen und Wohlstand zu schaffen. Die TFTA bietet vor allem dann gute Erfolgsaussichten, wenn das Potenzial der jungen Bevölkerung mit ihrer guten digitalen Vernetzung genutzt wird. Mobiltelefone nutzen bereits 54 Prozent der Bevölkerung, das Internet 28 Prozent. Die TFTA gilt auch als ein wichtiger Schritt in die Richtung einer kontinentalen Freihandelszone. Bisher ist Afrika der wirtschaftlich am wenigsten integrierte Kontinent, der Binnenhandel macht nur etwa zwölf Prozent des gesamten Handels aus.

Doch die Freihandelszone allein wird nicht Entwicklung vorantreiben. Eine große Aufgabe ist, die überkommenen Handelsmuster aufzubrechen. Die afrikanischen Länder haben lange vorwiegend mit den Ländern ihrer ehemaligen Kolonialherren Handel getrieben und sich in jüngerer Zeit vorzugsweise den asiatischen, vor allem chinesischen Märkten zugewandt. Unzureichende Transportmöglichkeiten behindern den innerafrikanischen Handel: Es gibt zu wenige Straßen, Eisenbahnen, Fluglinien und Häfen. Außerdem ist die Landwirtschaft noch immer der wichtigste Produktionszweig der TFTA-Länder. Sie bieten weitgehend dieselben Güter an, und so besteht kein besonderer Anreiz, Waren auszutauschen.  

Die TFTA wird zwar oberflächlich betrachtet Entwicklung bringen, da sie neue Waren und Dienstleistungen auf die Märkte bringt. Aber sie wird kaum dazu führen, dass Afrikaner selbst neue Waren und Dienstleistungen produzieren, sondern sie eher in die Rolle der Konsumenten drängen. Deshalb ist eine innovative Produktionsstrategie nötig, damit die Menschen in der TFTA selbst ihren 1,2 Billionen US-Dollar schweren gemeinsamen Markt bedienen können. Eine solche Strategie muss sich von der Förderung isolierter Einzelunternehmen lösen und darauf konzentrieren, wie Afrikaner eine sinnvolle Rolle in internationalen Wertschöpfungsketten spielen können. Man muss auch stärker versuchen, informelle Unternehmen in die offizielle Wirtschaft einzubinden und sie an internationale Märkte heranzuführen. Unsere Organisation Inter Region Economic Network (IREN) arbeitet seit zwei Jahren daran, Start­up-Firmen und kleine und mittlere Betriebe zu befähigen, zu exportieren, regionale und globale Wertschöpfungsketten zu nutzen und für Investoren interessant zu werden.

Der politische Wille zählt

Handel treibt nur dann wirtschaftliche und soziale Entwicklung voran, wenn auch die Produktivität zunimmt. Sonst bleibt die TFTA entweder ein Potemkinsches Dorf, oder sie hilft nur bereits etablierten Anbietern, besser im afrikanischen Markt Fuß zu fassen. Doch es gibt wenige Anzeichen dafür, dass die TFTA-Länder gezielt versuchen, die Voraussetzungen für eine verstärkte Industrialisierung und die Herstellung hochwertiger Produkte zu schaffen.

Die TFTA muss mit Industrialisierung einhergehen. Und die hängt in Afrika sehr stark vom politischen Willen der Regierungen ab. Äthiopien zum Beispiel fördert Entwicklung mit Zuschüssen für Pachtkosten in Industriezonen, großzügigen Krediten, Steuererleichterungen und vollständiger Zollfreiheit für importierte Kapitalgüter (wie Maschinen) und Rohstoffe, die man im Land nicht kaufen kann. Hier will eine Elite mit Weitblick der eigenen Bevölkerung neue Chancen eröffnen. Dies gilt leider nicht für die Mehrheit der TFTA-Länder, in denen die Eliten sich darum streiten, wer die Kontrolle über die gesamte Wirtschaft in der Hand behält.

Würde Afrika dem äthiopischen Beispiel folgen, dann müsste es die Produktions- und Lohnkosten senken, um Industriezweige aus Ländern mit hohen Wachstumsraten wie China anzuziehen. Je mehr in den Schwellenländern die Einkommen steigen, desto unrentabler wird es, arbeitsintensive Industrien zu behalten. Der Anstieg des Lebensstandards in Asien bietet afrikanischen Ländern eine große Chance, sich zu industrialisieren und für den einheimischen Markt wie für den Export zu produzieren. Doch dazu müssen die Afrikaner umdenken: Sie müssen  Entwicklungshoffnungen nicht mehr an einzelne politische Führer knüpfen, sondern an Institutionen. Sonst bleibt es beim heutigen Muster, dass Wahlen da, wo sie alle vier oder fünf Jahre stattfinden, jedes Mal die Entwicklungsprozesse bremsen.

Der Agrarmarkt ist politisch heikel

Damit die afrikanische Landwirtschaft Absatzmöglichkeiten auf den wachsenden heimischen und internationalen Märkten nutzen kann, muss ein leistungsfähiges Transportwesen geschaffen werden. In der TFTA bestehen gute Chancen für den Agrarsektor, da der Anteil der Bevölkerung in Städten von jetzt 36 Prozent auf rund 50 Prozent 2030 wachsen wird. Im Prinzip kann die TFTA auch helfen, die monopolistischen Strukturen in der Landwirtschaft zu beseitigen – der Sektor wird bisher entweder vom Staat oder von den herrschenden Eliten kontrolliert.

Doch der Agrarmarkt ist politisch sehr heikel. Alle 26 Mitgliedsländer sind nämlich stark von der Landwirtschaft abhängig, in der fast 70 Prozent der Einwohner beschäftigt sind. Und keines der beteiligten Länder hat gegenüber den anderen eindeutige komparative Vorteile, die Spezialisierung und Arbeitsteilung nahelegen würden. Dass sie alle Ähnliches herstellen, spiegelt sich an hohen Zöllen: Im Durchschnitt gelten südlich der Sahara Schutzzölle von 14,4 Prozent, für Agrargüter sind es aber 24 Prozent. Wenn es einzelnen TFTA-Ländern gelingt, ihre Agrarproduktion in Zusammenarbeit mit internationalen Partnern zu modernisieren und gut ausgebildete junge Leute für die Steigerung der Produktivität dort zu gewinnen, dann können sie sich damit einen Vorsprung vor anderen in der Region verschaffen.

Autor

James Shikwati

ist Gründer und Leiter des Inter Region Economic Network (IREN) mit Sitz in Kenia und Herausgeber von „The African Executive Online Magazine“.
Zu den größten Problemen für die TFTA gehören die schwachen Institutionen. In den Mitgliedsländern ringt das Rechtsstaatprinzip noch immer mit der Herrschaft einzelner Machthaber. Aber eine Freihandelszone braucht unabhängige Gerichte, die den Gesetzen Geltung verschaffen und Unternehmern Rechtssicherheit bieten. Hinzu kommen die Mängel der Infrastruktur. Es fehlt auch eine charismatische Persönlichkeit, die TFTA vorantreibt und dabei politische und wirtschaftliche Konflikte umschiffen hilft. Und schließlich wird die TFTA auch nicht von einheimischen Unternehmern vorangetrieben, die die neuen Chancen nutzen können. So lange dieser Druck von innen fehlt, schleppt sich die TFTA ohne die nötige Aufbruchstimmung dahin. 

Die 26 beteiligten Staaten unterscheiden sich stark in ihrer Größe, ihrer Wirtschaftskraft, ihren Währungen und ihren politischen Zielen. Es mag daher sein, dass nicht alle der TFTA zustimmen, zumal die Eliten in manchen Ländern den Status quo bevorzugen. Das unterschiedliche Entwicklungsniveau macht es zudem enorm schwer, die Strukturen und Gepflogenheiten zu vereinheitlichen. Das betrifft nicht nur offizielle Zollschranken, sondern auch andere Handelshemmnisse wie schleppende Zollabfertigung und Straßensperren, an denen Polizisten Schmiergelder verlangen. Die TFTA kann nur Erfolg haben, wenn umfangreich investiert wird: In die Infrastruktur, die Qualifikation der Beschäftigten und ein internationalen Maßstäben entsprechendes Handelssystem.

Zunächst werden die neuen Möglichkeiten der TFTA wahrscheinlich hauptsächlich Kenia, Ägypten und Südafrika zugute kommen. Doch angesichts der Geschwindigkeit, mit der Länder wie Äthiopien und Ruanda in letzter Zeit ihre Produktivität erhöhen, ist schwer vorauszusagen, welche Länder von einer gesamtafrikanischen Freihandelszone profitieren könnten.

Dass viele Industrie- und Schwellenländer auf eigene Faust Beziehungen zu Afrika knüpfen, wird Folgen dafür haben, wie regionale Freihandelszonen in Afrika funktionieren. China hat als erstes Land begonnen, in Afrika Sonderwirtschaftszonen zu schaffen, dank derer Länder wie Äthiopien in kurzer Zeit zu Industrieproduzenten werden. An sich bietet die TFTA die Möglichkeit, dauerhaft Arbeitsplätze zu schaffen, neue Technologien schneller einzuführen und Investoren anzulocken. Doch dem Plan der TFTA stehen die Interessen von Ländern mit gut etablierter Industrie gegenüber, die den afrikanischen Markt von über einer halben Milliarde Menschen für sich erschließen wollen.

Die TFTA ist ein erfreuliches Zeichen, dass afrikanische Länder auf der Basis einer innerafrikanischen Handelsplattform die Weltmärkte in den Blick nehmen. Doch das muss begleitet werden von Anstrengungen, um die Produktivität ihrer Arbeitskräfte zu erhöhen und einheimische Unternehmen größer und wettbewerbsfähiger zu machen. Sonst wird die TFTA nur zu einem riesigen Absatzmarkt für die etablierten globalen Produzenten.

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erschienen in Ausgabe 10 / 2016: Welthandel: Vom Segen zur Gefahr?
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