Unpolitische Willkommenskultur

Flüchtlinge
Geflüchtete treten bislang kaum selbst für ihre Interessen und Rechte ein. Einige Initiativen wollen das ändern.

Auf lokaler Ebene sind seit dem vergangenen Jahr zahlreiche Programme entstanden, um Geflüchtete schneller in die deutsche Gesellschaft zu integrieren, ihnen eine Ausbildung zu ermöglichen sowie eine Wohnung und einen Arbeitsplatz zu verschaffen. Als Akteure mit der Fähigkeit, ihre Interessen selbst in die Hand zu nehmen und die eigene Geschichte zu erzählen, kommen sie jedoch bisher kaum vor. In Entwicklungsprojekte in ihren Heimatländern sind sie in der Regel nicht eingebunden.

Dabei äußern sie sich durchaus politisch: Mit Karawanen gegen die Residenzpflicht, Demonstrationen und Hungerstreiks gegen die Lebensbedingungen in den Asyllagern, Petitionen gegen Abschiebungen und Info-Veranstaltungen machen vor allem Flüchtlinge aus Afrika auf die Gründe für ihre Flucht und die Lebensbedingungen in ihren Herkunftsländern aufmerksam.

Das tut auch das kleine Netzwerk Afrique-Europe-Interact, das sich ausschließlich aus Spenden finanziert. Die 2009 gegründete Initiative verbindet die Kontinente: Zu den Aktivisten gehören auch Afrikaner aus Mali oder Togo, die aus Europa abgeschoben wurden und sich in ihren Heimatländern zusammengeschlossen haben. Afrique-Europe-Interact thematisiert Fluchtursachen und politische Hintergründe in den Herkunftsländern und informiert über das EU-Grenzregime in Afrika.

Kritik an den Unterkünften in Deutschland

Das Netzwerk hat in Deutschland und in Mali Proteste gegen die Abkommen zwischen der Europäischen Union und afrikanischen Staaten für besseren Grenzschutz und die geplante Einrichtung von Asylzentren in Nordafrika organisiert. Auch die Bedingungen in Deutschland wie Sammelunterkünfte fernab der Ballungsräume vor allem im Osten werden immer wieder kritisiert. Ähnlich engagiert sich The Voice aus Jena, eine weitere Bewegung von Geflüchteten.

Wenn Flüchtlinge selbst aktiv werden, sei bei den Engagierten aus den Willkommensinitiativen die Bereitschaft, mitzumachen, eher verhalten, meint Olaf Bernau von Afrique-Europa-Interact. In den Städten sind selbstorganisierte Flüchtlingsinitiativen noch zu wenig mit anderen Organisationen vernetzt. Afrikaner stoßen auf größere Vorbehalte als die Neuankömmlinge aus dem Krisenherd in Syrien und seinen Nachbarländern.

Den Neuen gegenüber zurückhaltend

Die Selbstorganisation von Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak steht noch am Anfang. „Das ist ein langer Prozess“, sagt Ruben Cárdenas vom Netzwerk MigraNET in Mecklenburg-Vorpommern, dem Zusammenschluss von derzeit rund 40 Vereinen und Gruppen von Migranten in dem Bundesland. Die Organisation aus Rostock berät Flüchtlinge unter anderem dabei, wie sie einen Verein gründen können. Das haben etwa einige Kurden aus Syrien vor. Andere Flüchtlinge wollen sich bereits bestehenden Vereinen anschließen. In den vergangenen Jahren sind zwar vielerorts Netzwerke von Migrantenorganisationen entstanden, die zum Teil auch in kommunale Strukturen eingebunden sind. Flüchtlinge gehören ihnen jedoch selten an. Berührungsängste gebe es aber nicht, betont Cárdenas.

Ein Gutachten der Servicestelle Kommunen in der Einen Welt vom November 2015 kommt zu einem anderen Schluss. Es hat die Teilhabe von Flüchtlingen an der internationalen Zusammenarbeit von Kommunen untersucht und bescheinigt den Migrantenorganisationen eine gewisse Zurückhaltung gegenüber den Neuen. Hilfsaktionen von Flüchtlingen für ihre Landsleute in den Herkunftsländern wie eine Initiative kurdischer Studenten in Osnabrück für die autonomen Gebiete im Nordirak fänden zu wenig Resonanz in der Öffentlichkeit.

Laut dem Gutachten ist das Bild von Flüchtlingen als passiven Empfängern von Hilfe weit verbreitet. Die Autoren empfehlen als Gegenmittel kommunale Dialogforen, in denen Geflüchtete ihre Geschichte erzählen können. Das könnte die öffentliche Wahrnehmung verändern.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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