Neue Bilder von Afrika

Zum Thema
Medien
Filme über Afrika vermitteln stets dieselben Eindrücke von Hunger und Gewalt. Höchste Zeit, die Geschichte einmal anders zu erzählen, findet der Filmemacher Sorious Samura aus Sierra Leone.

Geschichten formen, wer oder was wir zu sein glauben. Ich war 13 Jahre alt, als am 16. Juni 1977 Hunderte Kinder in Soweto in Südafrika massakriert wurden. Heute wird alljährlich mit dem Tag des Afrikanischen Kindes an das Massaker erinnert. Für die Südafrikaner aber war es der Tag, an dem die Jugend ihr Leben für die Freiheit gegeben hat. Zu dieser Zeit stand ich oft draußen vor dem Fenster unserer Nachbarn, wo im Fernseher die Bilder vom Ogadenkrieg zwischen Somalia und Äthiopien liefen. Die USA unterstützten Somalia, die Sowjetunion stand hinter Äthiopien. Zwei Jahre zuvor war der gleiche Stellvertreterkrieg noch in Angola ausgetragen worden. Dort dauerte der Bürgerkrieg nahezu drei Jahrzehnte. All das verfolgten wir auf dem kleinen Bildschirm unserer Nachbarn.

Diese kleine Box war ein erstaunliches Ding – sie war unser Fenster in die Welt. Jeden Abend saßen wir davor und schauten Berichte über Afrikaner, die sich gegenseitig töten und zerstückeln. Egal wo – Südafrika, Kongo, Somalia, Nigeria, Angola – alles, was wir von unserem offenbar gottverlassenen Kontinent sehen konnten, waren sinnloses Blutvergießen und Zerstörung. So wie der Fernseher afrikanische Brutalität zeigte, sendete er uns Bilder von Hoffnung, Frieden und Glück. Diese Bilder kamen aus einer fernen Welt – einer besseren – genannt USA und Großbritannien. Das überzeugte uns, dass diese Länder die einzige Quelle des Guten in der Welt waren.

Wen würde da nicht die Sehnsucht nach den reichen, fernen Ländern packen? Manchmal weinten wir Kinder, wenn wir die Bilder der Gewalt sahen, die niemals zu enden schienen. Die Erwachsenen sagten dann zu uns: „Ihr habt gerade erst angefangen zu heulen. Unser Kontinent ist längst am Ende.“ Afrika ist am Ende. Diese Botschaft setzte sich in meinem Kopf fest. In meiner Jugend dachte ich an nichts anderes mehr, als diesen deprimierenden, brutalen Ort zu verlassen. Ganz allmählich begann ich, meine Heimat zu hassen. Ich wollte unbedingt in eine schöne, aufregende und bessere Welt fliehen: nach England.

Irgendwann schaffte ich es. Und wie es das Schicksal wollte: Ich begann selbst, Inhalte für das Fernsehen zu produzieren, Programme für eine junge Generation von Afrikanern und Zuschauern aus aller Welt. Es war eine Verantwortung, mit der ich nie gerechnet hatte. Unser Team von „Insight TWI“ versuchte, Filme mit mehr Tiefe und mehr Zwischentönen zu machen, die näher dran waren an der afrikanischen Wirklichkeit. Wir haben Dokumentationen produziert, auf die ich sehr stolz bin. Es sind wichtige Filme mit Wirkung wie „Cry Freetown“, der die Gräueltaten der Rebellen und der Friedenstruppen während des Bürgerkriegs in meiner Heimat Sierra Leone aufdeckt; „Exodus from Africa“, der den Frust und die Träume zeigt, die Afrikaner zur gefährlichen Flucht nach Europa treibt. Oder „Living with Corruption“, der sich um das große Problem der Korruption am Beispiel Kenias dreht.

Diese Beiträge haben zu einem differenzierten Verständnis meines Kontinents beigetragen – und sie haben Preise gewonnen. Trotzdem fühlte ich mich zunehmend unwohl damit. In vielerlei Hinsicht berichteten wir noch immer über die gleichen alten Themen: Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung. Viele Afrikaner forderten mich auf, auch die anderen Seiten des Kontinents zu zeigen. Das erinnerte mich an den Jungen von damals, der vor dem Nachbarhaus kauernd nur Bilder des Elends im Fernseher flimmern sah. Mir fiel auf, dass ich trotz bester Absichten dieselben Stereotypen bediente, die mich in meiner Jugend so wütend gemacht hatten. Und diese Wut hatte mich damals nicht dazu gebracht, zu bleiben und etwas aufzubauen, sondern davonzulaufen.

Autor

Sorious Samura

ist ein Journalist und Dokumentarfilmer aus Sierra Leone
Dieser Gedanke erschütterte mich. Die Art, wie wir unsere Geschichten erzählten, war Teil des Problems. Internationale Medien berichteten eindimensional über Afrika. Abseits von Tod, Krankheit und Katastrophen gab es keine anderen Perspektiven. Die meisten Redakteure und Fernsehstationen sind nicht besonders interessiert an Afrika. Und selbst wenn sie es sind, folgen sie nur der abgedroschenen Erzählung von Afrika als hoffnungslosem Kontinent, auf dem entsetzliche Dinge passieren.

Genau deshalb bin ich so von meinem neuen Projekt begeistert: Ich will einen Film produzieren, der mir einen anderen Eindruck von Afrika vermittelt hätte, wenn ich ihn in meiner Jugend gesehen hätte. „Sierra Leone: An Artist’s Journey“ ist eine Dokumentation in Spielfilmlänge über einen gefeierten Künstler, der in meiner Heimat eine ganze Generation mit seinen visionären Theaterprojekten inspiriert. Für mich ist das eine seltene Gelegenheit, eine andere Geschichte über Sierra Leone zu erzählen, ein Land das heute als Synonym für das afrikanische Versagen gilt.

Es wird immer Bedarf geben an Filmen, die Verbrechen und Ungerechtigkeit entlarven. Aber ich bin dankbar, jetzt einen Film zu produzieren, der der Welt die Kunst und Fantasie meines Landes auf eine ganz andere Weise zeigt. Wir wollen unsere Geschichte oder die derzeitigen Verhältnisse nicht schönfärben. Der Film wird sich mit den vorhandenen Problemen auseinandersetzen, aber wir werden tiefer graben, um Geschichten über Hoffnung, Mut und Inspiration ans Licht zu bringen. Wenn wir es schaffen, dass nur eine Handvoll junger Sierra Leoner mit etwas mehr Stolz und Hoffnung aufwächst, dann haben wir einen guten Job gemacht.

Aus dem Englischen von Sebastian Drescher.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2016: Energie für alle
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