„Es kommt auf die Flexitarier an“

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Ernährung
Zu viel Fleisch schadet dem Klima und belastet die Umwelt. Bis 2050 sollen die Deutschen deshalb ihren Fleischkonsum halbieren, fordert Greenpeace. Agrarfachmann Martin Hofstetter erklärt, wieso das nicht komplett unrealistisch ist.

In einer Studie zur Agrarwende entwerfen Sie ein Zukunftsszenario, bei dem der Fleischkonsum ein entscheidender Hebel ist. Warum?

Die Landwirtschaft der Zukunft muss mehrere Ziele erfüllen: die Bevölkerung ausreichend und gesund ernähren, die Artenvielfalt wieder herstellen und Luft und Böden weniger belasten. Es ist möglich, die Landwirtschaft ökologischer zu gestalten, aber dafür braucht es mehr Flächen als bei der Intensivlandwirtschaft. Um das Klima zu schützen, müssen wir auch bestimmte Flächen aus der Nutzung nehmen, etwa Moore. Die Rechnung kann nur aufgehen, wenn wir unseren Konsum ändern. Fleisch ist entscheidend, weil die Tierhaltung viele Ressourcen verschlingt und zugleich Klimagase produziert. Dazu trägt auch die Überdüngung mit Gülle bei, die zudem das Grundwasser belastet.

Sie fordern deshalb, dass die Deutschen bis 2050 nur noch halb so viel Fleisch und Wurst essen wie heute. Wie soll das gelingen?

Ein Faktor ist der demografische Wandel. Ältere, vor allem Frauen, essen durchschnittlich weniger Fleisch als junge Menschen. Zudem gibt es nicht mehr so viele Leute, die eine körperlich fordernde Arbeit verrichten. Wer den ganzen Tag im Büro sitzt, verbraucht weniger Energie als ein Bauarbeiter oder Holzfäller und kommt mit einer fleischarmen Ernährung gut zurecht. Hinzukommen gesundheitliche Bedenken und ethische Motive, kein Fleisch mehr zu essen: Tierschutz, Klimawandel, die Auswirkungen auf Entwicklungsländer.

Menschen essen aber nicht nur das, was vernünftig und moralisch ist. Geschmack und Gewohnheiten spielen eine große Rolle. Sind die Ziele nicht unrealistisch?

Natürlich gibt es bestimmte Bevölkerungsgruppen, die ihre Essgewohnheiten nicht ändern werden, vor allem ältere Männer. Wir berücksichtigen das in unseren Szenarien. Entscheidend sind nicht die Veganer oder Vegetarier, sondern die sogenannten Flexitarier, die deutlich weniger Fleisch und Wurst essen – nicht mehr als die von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung empfohlenen 23 Kilogramm pro Jahr. Wir glauben, dass sich in Zukunft deutlich mehr Menschen so ernähren. Schon heute gelten 12 Millionen Deutsche als Flexitarier. Außerdem gibt es immer mehr vegane und vegetarische Ersatzprodukte, die fast wie Fleisch schmecken.

Müssten wir nicht auch weniger Milchprodukte essen?

Um das Klima zu schützen und weniger Flächen zu verbrauchen, wäre das sinnvoll. Aber es ist auch eine Frage der gesunden Ernährung – und dazu gehört eine bestimmte Menge an Käse und Milchprodukten.

Was könnte die Politik tun, um den Fleischverbrauch zu reduzieren?

Fleisch ist viel zu billig, die Kosten für Umwelt und Klima sind nicht im Preis enthalten. Eine Abgabe auf tierische Produkte wäre eine Möglichkeit. Die Erlöse könnten direkt in die Landwirtschaft und eine gesündere Ernährung in Kitas fließen. Für die Verbraucher hilfreich wäre auch eine verpflichtende Haltungskennzeichnung für Fleischprodukte, ähnlich wie heute schon bei Eiern. Die Vorschläge von Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, angeblich irreführende Bezeichnungen vegetarischer Gericht zu verbieten und mehr Schweinefleisch in Schulmensen anzubieten, gehen jedenfalls in die falsche Richtung. 

Stattdessen den „Veggy-Day“ an öffentlichen Kantinen einführen?

Ja, natürlich. Ich sehe nicht, wo da das Problem sein soll, an einem Tag in der Woche kein Fleisch anzubieten.

Obwohl der Konsum in Deutschland leicht rückläufig ist, hat die Fleischproduktion in den vergangen Jahren zugenommen. Hilft der ganze Verzicht überhaupt?

Die Überschüsse sind für den Export. Das ist ein großes Problem. Es hätte sich aber schnell erledigt, wenn die Produktionskosten in Deutschland steigen und die wahren Kosten abbilden würden. Dafür muss die Politik sorgen und strengere Regeln für Tierhaltung und Umweltschutz durchsetzen. Ich sehe da Chancen, weil ja selbst die Landwirte nicht von dem jetzigen System profitieren und Veränderungen wollen.

Das Gespräch führte Sebastian Drescher

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