Frieden muss von unten wachsen

Zum Thema
Konfliktbearbeitung
Der EKD-Friedensbeauftragte Renke Brahms zu den Konflikten in Syrien und Mali und zur Korea-Politik von Donald Trump.

Seit 2008 ist Pastor Renke Brahms Friedensbeauftragter der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). In den zehn Jahren, in denen er dieses Amt bekleidet, ist die Welt eher unfriedlicher und unberechenbarer geworden. Die Lage in Syrien ist zerfahren, die Rolle der Bundeswehr in Mali unklar. Für Brahms steht fest: Frieden muss von unten wachsen. Und Kandidaten für den nächsten Friedensnobelpreis fallen ihm auch ein.

Herr Brahms, unlängst haben Politiker die Beteiligung Deutschlands an Luftangriffen in Syrien erwogen. Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie das gehört haben?
Spontan habe ich gedacht: Die wievielte Partei soll eigentlich noch in diesen Konflikt eingreifen? Die Kräfte, die in Syrien eine Rolle spielen wollen, sind mittlerweile kaum noch zu überblicken. Was sollte da nun Deutschland noch bewegen können, zumal mit einem Militärschlag?

Hätte sich der Westen früher stärker in Syrien engagieren sollen?
Was heißt früher? Der Westen hätte in der gesamten Region sehr viel früher etwas tun können. Die Konflikte dort haben ja viel damit zu tun, dass der IS so stark geworden ist. Und der hat sich hauptsächlich aus von Waffen strotzenden Gruppen im Irak gespeist, die nach der Intervention der USA 2003 übrig geblieben sind. Die Lehre aus dem Irak-Krieg muss sein: Ein militärischer Sieg ist keine Antwort. Entscheidend ist, wie es diplomatisch und mit dem Staatsaufbau weitergeht und wie Kämpfer integriert werden können. „Früher“ muss heißen: noch bevor es scheinbar keine Alternative mehr zum militärischen Eingreifen gibt.

Hätte also der Westen in Syrien von Beginn an die zivile Opposition stärker unterstützen sollen?
Ja, es wäre sicher gut gewesen, mit anderen Staaten zusammen die zivilen Gruppen in Syrien zu stärken – und gleichzeitig damals schon mit Präsident Assad da­rüber zu sprechen, wie mit der nach Veränderung drängenden Zivilgesellschaft ein Syrien der Vielfalt geschaffen werden kann.

Gibt es Konflikte, bei denen man von außen nichts bewirken, sondern nur noch zuschauen kann?
In Syrien stellt sich in der Tat diese Frage. Wobei nur zuschauen keine Alternative ist. Direkt einwirken kann man vielleicht nicht, aber möglicherweise über Verhandlungen mit Beteiligten, also etwa über eine deutsch-russische oder eine deutsch-türkische Initiative. Zugleich bleibt immer der Weg, die Zivilgesellschaft zu unterstützen, seien es die Weißhelme, seien es die Kirchen und Religionen in Syrien, seien es kleine Gruppen, die in einigermaßen friedlichen Regionen den Frieden bewahren wollen.

Hat die Drohung des Westens mit einem Militärschlag dazu beigetragen, dass die Situation in der letzten Rebellenhochburg in Idlib bislang nicht eskaliert ist?
Das ist schwer einzuschätzen. Manchmal setzen solche Drohungen Entwicklungen in Gang, das will ich gar nicht ausschließen. Aber es war ja eine russisch-türkische Initiative, die die Situation in Idlib entschärft hat. Und in Syrien wurden schon mehrere vom Westen gezogene rote Linien überschritten, ohne dass das Konsequenzen hatte.

Schauen wir nach Mali: Seit 2013 beteiligt die Bundeswehr sich dort an einer UN-Mission. Sie haben damals vor dem Einsatz gewarnt. Welche Bilanz ziehen Sie heute?
Meine Befürchtung war, dass die Bundeswehr immer stärker in den Konflikt hineingezogen wird. Das ist so nicht eingetreten. Allerdings hat auf einer Tagung unlängst eine Friedensfachkraft berichtet, dass vielen in Mali nicht klar ist, was eigentlich der Auftrag der UN-Mission ist. Manche erwarten offenbar, dass die Soldaten in Konflikte eingreifen sollen. Das ist aber nicht das Mandat der Bundeswehr, die in Mali einheimische Soldaten ausbilden soll. Das ist ein richtiger Schritt mit dem Ziel, dass die malischen Kräfte selbst für Sicherheit sorgen. Das gelingt im Land allerdings unterschiedlich gut: im Süden einigermaßen, im Norden eigentlich gar nicht.

Vor einigen Monaten hat der Bundestag den Einsatz verlängert. Eine richtige Entscheidung?
Ich wäre nicht dafür, den Einsatz von jetzt auf gleich zu beenden. Aber man sollte den Fokus auf zivile Maßnahmen verschieben, etwa auf den Staatsaufbau und die Dezentralisierung in Mali. Das wird in Debatten über militärische Mandate immer vernebelt.

Im Südsudan herrscht seit fünf Jahren Bürgerkrieg. Was kann man dort mit ziviler Konfliktbearbeitung erreichen?
Es gibt ein Projekt des Zivilen Friedensdienstes, das Vertreter verfeindeter ethnischer Gruppen miteinander ins Gespräch bringt, um gewaltfreie Wege aus den Konflikten zu finden. In einem anderen Projekt wird ein katholischer Radiosender unterstützt, der die guten Nachrichten verbreitet. Es ist wichtig, dass man berichtet, wo und wie es auf lokaler Ebene gelungen ist, Konflikte gewaltfrei zu bearbeiten. Wenn nicht an der Basis, in den Regionen, in den Dörfern ein Fundament geschaffen wird, dann nutzt es nichts, oben auf politischer Ebene einen Friedensvertrag nach dem anderen zu schließen.

Mit Blick auf den Konflikt in der Ukraine haben Sie gesagt, die Kirchen könnten dort zur Entspannung beitragen. Wie zum Beispiel?
Einige orthodoxe Kirchen haben eine nationalistische Ausrichtung. Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist, dass an der kirchlichen Basis Kirchenvertreter in umkämpften Regionen unterwegs sind und versuchen, die Zivilgesellschaft zu stärken und Feindbilder aus den Köpfen der Leute zu kriegen. Auch hier finde ich wie in der zivilen Konfliktbearbeitung im Südsudan besonders wichtig, was an der Basis passiert – neben dem, was auf der Ebene der offiziellen Kirchen geschieht. 

Welche friedenspolitischen Entwicklungen aus jüngerer Zeit machen Ihnen Hoffnung?
Mir macht Hoffnung, wenn sich Menschen vor Ort jenseits der großen Diplomatie für Frieden engagieren. Wenn es zum Beispiel in Gao im Norden von Mali gelingt, junge Menschen, die sich vorher bekämpft haben, ins Gespräch miteinander zu bringen. Die zivile Konfliktbearbeitung auf dieser Ebene hat sich stark weiterentwickelt und ist heute sehr professionell. Das ist wichtig. Auch Kolumbien macht mir Hoffnung: Der Friedensprozess dort ist zwar fragil, aber er zeigt, dass auch langjährige Konflikte entschärft werden können.

Was ist mit Nordkorea?
Da muss man abwarten, ob Süd- und Nordkorea sich tatsächlich einander annähern und inwieweit die USA das unterstützen und nicht wieder zerstören.

Hat Donald Trump etwas richtig gemacht?
Manchmal bewirken auch unkonventionelle Vorstöße an allen diplomatischen Konventionen vorbei etwas. Ob seine Drohungen maßgeblich waren, da bin ich mir nicht so sicher. Ich denke eher, dass die Entwicklung in einem Punkt mit der deutsch-deutschen Geschichte vergleichbar ist, in der die DDR irgendwann einfach pleite war. Ähnlich merkt die Führung in Nordkorea jetzt, dass es so nicht weitergeht.

Also kein Friedensnobelpreis für Trump?
Nein.

Wer hätte den Preis verdient?
Zum Beispiel das weltumspannende Netzwerk Religions for Peace oder der Ökumenische Rat der Kirchen mit seiner Präsidentin Agnes Abuom. Und die Dörfer der Versöhnung in Ruanda. Die Geschichten, die mich von dort erreichen, beeindrucken mich immer wieder.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen.

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erschienen in Ausgabe 11 / 2018: Eingebuchtet
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