„Es wird keine von Christen geführte Revolution geben“

Seit der deutschen Wiedervereinigung vor zwanzig Jahren haben sich die Kontakte zwischen deutschen und koreanischen Kirchen intensiviert. Mitte September besuchte eine Delegation der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sowohl Süd- als auch Nordkorea. Lutz Drescher, Ostasienexperte beim Evangelischen Missionswerk in Südwestdeutschland (EMS), war als Berater und Übersetzer dabei.

Wie ist die Lage der Christen in Korea heute?

Das Christentum ist in Korea relativ jung. Die Geschichte der katholischen Kirche begann 1784, und protestantische Missionare aus Amerika, Kanada und Australien kamen erst vor 125 Jahren. In Südkorea hat das Christentum in den letzten Jahrzehnten ein rasantes Wachstum erlebt. Mehr als ein Viertel der insgesamt 48 Millionen Südkoreaner sind heute Christen. Zwei Drittel davon sind Protestanten, die allerdings sehr zersplittert sind.

Und in Nordkorea?

Dort ist die Zahl der Christen verschwindend gering. Laut Schätzungen gibt es in Nordkorea nur noch 13.000 Protestanten und 4000 Katholiken – bei 26 Millionen Einwohnern. Vor sechzig Jahren lebten in Nordkorea noch etwa zehnmal so viele Christen. Die meisten sind mit Beginn des kommunistischen Regimes in den Süden oder ins Ausland geflohen. Während des Koreakriegs von 1950 bis 1953 verließ noch einmal eine große Zahl Nordkorea. Das Christentum ist in Nordkorea allerdings nicht verboten. Es gibt in Pjöngjang zwei Kirchen und nach dortigen Angaben im gesamten Land 500 Hausgemeinden.  Es ist jedoch äußerst schwierig, an unabhängige Zahlen und Informationen zu kommen. Kein Land auf der Erde ist stärker abgeriegelt als Nordkorea.

Ostdeutsche Christen haben vor zwanzig Jahren einen wesentlichen Beitrag zur Wiedervereinigung geleistet. Welche Rolle spielen die nordkoreanischen Christen in ihrem Land?

Man darf von einer so kleinen Minderheit nicht zu viel erwarten. Es wird in Nordkorea sicher keine von Christen angeführte friedliche Revolution im Kerzenschein geben.

Wie wird die deutsche Wiedervereinigung in Korea gesehen?

Wir haben Steine der Berliner Mauer überreicht und jedes Mal wurde die große Sehnsucht nach Wiedervereinigung deutlich. An der Grenze merkte man, wie nah und gleichzeitig fern sich die beiden Koreas sind: Von der nordkoreanischen Seite der Grenze bis nach Seoul sind es gerade einmal 70 Kilometer. Um dahin zu gelangen, mussten wir aber einen mehr als 3000 Kilometer langen Umweg über Peking machen.

Gibt es in Korea auch kritische Stimmen zur deutschen Wiedervereinigung?

Ja, und zwar zur Art und Weise, wie die beiden Teile Deutschlands wieder zusammengefügt wurden. Eine Assimilierung des einen Teils an den anderen ist in Korea gar nicht möglich. Der Bissen wäre zu groß, wie viele sagen. In Nordkorea leben 26 Millionen Menschen. Das ist mehr als die Hälfte der 48 Millionen Südkoreaner. Dagegen ist das Pro-Kopf-Einkommen in Südkorea fünfzehnmal so hoch wie im Norden.

Welche Alternativen gibt es?

Weder Südkorea noch China wollen, dass der Norden zusammenbricht. Beide Seiten fürchten die Flüchtlingsströme. Vor allem junge Leute in Südkorea plädieren mittlerweile für die Beibehaltung des Status quo. Aber es gibt auch Befürworter einer so genannten weichen Landung, die graduelle Reformen im Norden und ein langsames Auftauen der vereisten Beziehungen zwischen beiden Teilen vorsieht. Das ist das Prinzip der Sonnenscheinpolitik von Kim Dae Jung. Seit 1998 ist auf diese Weise einiges passiert. Man denke nur an die vor einigen Jahren eingerichtete Eisenbahnverbindung oder an die beiden wieder eröffneten Straßen, die Süd- und Nordkorea verbinden.

Wie können deutsche Christen die Aussichten auf eine koreanische Vereinigung verbessern helfen?

Seit 1989 hat es insgesamt sieben Besuche von nord- und südkoreanischen Christen in Deutschland gegeben. Die deutschen Kirchen wollten ihnen anfangs vor allem die Möglichkeit geben, sich zu treffen und auszutauschen. Seit einigen Jahren sehen wir uns aber durchaus auch als kritische Gesprächspartner und als Begleiter im Versöhnungsprozess. Seit 2006 gibt es das Ökumenische Forum für Frieden, Wiedervereinigung und soziale Entwicklung auf der koreanischen Halbinsel, das die Versöhnung in Korea fördern und zur Entwicklung in Nordkorea beitragen will. Daran beteiligen sich neben der EKD, dem EMS, dem EED und der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau auch der Ökumenische Kirchenrat, die Christian Conference of Asia sowie japanische und koreanische Kirchen.

Das Gespräch führte Katja Dorothea Buck.

Lutz Drescher ist Verbindungsreferent Ostasien im Evangelischen Missionswerk in Südwest­deutschland.

erschienen in Ausgabe 11 / 2009: Anders wirtschaften
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