Der Sahel braucht ganz neuartige Hilfe

Zum Thema
Wolfgang Ammer
Grundeinkommen
In Ländern wie Mali oder Burkina Faso im westafrikanischen Sahel wachsen Unsicherheit und Gewalt. Die Hilfe der westlichen Geberländer ändert daran kaum etwas, weil sie zu zersplittert und wenig durchdacht ist. Ein Plädoyer für eine Art Grundeinkommen für Bauern und Viehhirten in der Region.

Ein Kernproblem in den Ländern der afrikanischen Sahelzone ist nach wie vor die extreme Armut vieler Haushalte. Zwischen Mauretanien und Äthiopien muss die große Mehrzahl der Menschen mit einem Bruchteil der von der Weltbank als Armutsgrenze definierten 1,90 US-Dollar am Tag auskommen. Dazu kommt der ständig schlechter werdende Zustand der Böden (Degradation) durch Abholzung, Bodenerosion und als Folge Ausbreitung der Wüste. Das liegt nicht zuletzt am Wachstum der Bevölkerung: Die Menschen haben kaum eine andere Möglichkeit, als Hänge zu roden und zu bepflanzen, die letzten Bäume abzuholzen, um daraus Holzkohle zu gewinnen, diese zu verkaufen und aus dem Ertrag wenigstens einige Grundnahrungsmittel zuzukaufen. Ein weiteres Problem sind die übergroßen Herden der Wanderviehhirten, aber auch sesshafter Bauern: Sie fressen die letzten Pflanzen und verhindern, dass die Natur sich regenerieren kann. Beides führt zudem dazu, dass der Streit zwischen Ackerbauern und Viehhalter um die knappen Ressourcen zunehmend eskaliert.

Die Sicherheitslage verschlechtert sich rapide, vor allem in Ländern wie Mali und in Burkina Faso. Und zu alledem macht eine sehr schlechte Regierungsführung vielerorts Entwicklungsvorhaben zunichte. Die Förderung konzentrierte sich bislang allerdings ohnehin vor allem auf die urbanen Zentren, während die ländlichen Räume vernachlässigt wurden. Das bereitet islamistischen Terroristen geradezu das Feld: Frustrierte junge Männer, die in ihren armen Heimatdörfern oder als Wanderhirten keine Zukunft mehr sehen, lassen sich leicht für geringes Handgeld rekrutieren.

Flickwerk von Tausenden isolierten Projekten

Vor diesem Hintergrund rufen viele nach mehr Entwicklungshilfe. Tatsächlich haben die Geberländer aber bereits Milliarden Euro in den Sahelländern unter anderem in den Ressourcenschutz investiert. Dieses Geld wurde jedoch in sehr vielen Fällen schlecht und ohne nachhaltige Wirkung angelegt. Die ungenügende Entwicklungsorientierung der Sahelstaaten geht mit einer Entwicklungszusammenarbeit zusammen, bei der jeder Geber für sich arbeitet, ohne sich mit den anderen abzustimmen oder zu kooperieren. Resultat ist ein Flickwerk von Tausenden voneinander isolierten Projekten, die der überall voranschreitenden Degradierung der Umwelt nichts entgegenzusetzen haben. Selbst die wenigen räumlich größeren Projekte werden dabei aufgesplittert in Hunderte Maßnahmen in einzelnen Dörfern, die relativ willkürlich ausgesucht werden und über riesige Gebiete verstreut liegen.

Natur regenerieren, Wälder wiederherstellen, Grundwasserhorizonte nachhaltig auffüllen und damit letztendlich auch das Wetter beeinflussen – dafür braucht es aber mehr, als in einem Dorf ein paar Hundert Bäume zu pflanzen, im nächsten ein paar Steinreihen zu setzen, (um die Erosion aufzuhalten), im dritten gar nichts zu machen und im vierten nur den Bau von Latrinen zu fördern. Eine sinnvolle Bezugseinheit für solche Projekte wären nicht die einzelnen Dörfer, sondern ganze Wassereinzugsgebiete über teilweise mehrere Dutzend, wenn nicht hundert und mehr Quadratkilometer. Das würde ebenfalls Hunderte Dörfer und ihr gesamtes Land einschließen. Da Umweltveränderungen sich nicht an Landrechtsfragen orientieren, müssten sowohl alles Privatland als auch sämtliche staatlichen Flächen in Schutzmaßnahmen einbezogen werden. Hinzu kommt ein weiterer Grundfehler vieler entwicklungspolitischer Maßnahmen: die Annahme, Projekte seien nur dann nachhaltig, wenn die lokale Bevölkerung sich daran beteiligt, etwa mit ihrer Arbeitskraft. Die Idee ist zwar richtig, dass Projekte von den Menschen vor Ort gewollt und unterstützt werden müssen, um erfolgreich zu sein. Allerdings gibt es gerade in der Sahelzone sehr viele extrem arme Haushalte, die kaum über Arbeitskraft verfügen. Von jemandem, der selbst täglich um die Basisernährung ringen muss, kann man nicht verlangen, zusätzlich zum eigenen Land Tausende Hektar staatlicher Flächen zu schützen und zu rekultivieren. 

Entwicklungszusammenarbeit muss reformiert werden

Autor

Frank Bliss

ist Professor für Ethnologie (Schwerpunkt Entwicklungsethnologie) an der Universität Hamburg und Senior Research Fellow am Institut für Entwicklung und Frieden (INEF) der Universität Duisburg-Essen. Der Artikel beruht auf einer Studie für das INEF.
Die bisherige Entwicklungszusammenarbeit ist also kaum in der Lage, das Problem der Armut und der Bodendegradation zu lösen und damit den Lebensraum vieler Millionen Menschen zu retten und dem Wachsen des Terrorismus Einhalt zu gebieten. Sie muss deshalb grundlegend reformiert werden. In einem ersten Schritt sollten Vorhaben im Ressourcenmanagement nicht mehr im Hinblick auf einzelne Dörfer, sondern auf sinnvolle geografische Einheiten wie ganze Wassereinzugsgebiete geplant werden. Das würde einen systemischen Wiederaufbau der Vegetation beziehungsweise die Wiederherstellung von Grundwasserleitern ermöglichen. Im zweiten Schritt müssten sämtliche Vorhaben der Geber einschließlich privater Hilfsorganisationen in einer solchen geografischen Einheit zusammengeführt werden mit dem Ziel, dass geschlossene Gebiete mit einer gemeinsamen Strategie rehabilitiert werden und nicht lediglich eine Vielzahl von Projekten in Hunderten Dörfern durchgeführt werden. Wenn unbedingt nötig, um die Beiträge der einzelnen Geber zu erkennen, könnte das so organisiert werden, dass sich Verantwortlichkeiten weiterhin zuordnen ließen.

Regelmäßige Geldzahlungen als Entschädigung

Der dritte Schritt wäre die eigentliche Revolution: Die Haushalte in den von Übernutzung und Verwüstung besonders betroffenen Gebieten erhalten regelmäßige Geldzahlungen, die sie für zwei Leistungen entschädigen sollen. Zum einen reduzieren sie ihre Tierbestände, holzen keine Bäume mehr ab und bauen keine Nahrungsmittel mehr auf ökologisch sensiblen und der Erosion besonders ausgesetzten Flächen an. Zum anderen setzen sie nicht mehr bloß so wie in vielen Projekten bislang ein paar Baumpflänzlinge auf ihrem eigenen Land oder im engeren Dorfbereich, sondern bepflanzen Tausende von Quadratkilometern mit Millionen Bäumen und legen weitere Zehntausende Kilometer Konturlinien und Terrassen an – so wie das der tunesische Staatspräsident Bourguiba in den 1960er Jahren vorgemacht hat, um gleichzeitig Arbeitslosigkeit und Desertifikation in seinem Land zu bekämpfen.

Die Kosten dieser „Revolution“ dürften kein erhebliches Problem darstellen. Sie könnte mit den Milliarden Euro finanziert werden, die die Geber bislang für Tausende wirkungslose Projekte verschwendet haben. Länder wie Deutschland und Frankreich könnten im Rahmen eines Kassensturzes außerdem durchrechnen, was sie die militärischen Interventionen in Mali und anderen Sahelländern kosten und was andauernde Fluchtbewegungen aus der Region sie künftig kosten könnten, wenn sie nichts dagegen unternehmen.

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erschienen in Ausgabe 7 / 2022: Das Zeug für den grünen Aufbruch
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