Zertifikate ohne Wert

Klimaschutz
Noch vor wenigen Jahren galt der unter dem Kyoto-Protokoll eingerichtete Clean Development Mechanism (CDM) als das wichtigste Instrument, um Klimaschutz und Anpassung in Entwicklungsländern zu finanzieren. Doch seine Bilanz für Klimaschutz und nachhaltige Entwicklung ist sehr gemischt. Und seit die Preise für Emissionsrechte zusammengebrochen und wichtige Industriestaaten aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen sind, ist die Zukunft des CDM ungewiss.

Der Clean Development Mechanism (Mechanismus für saubere Entwicklung, CDM) wurde 1997 kurz vor Verhandlungsschluss in das Kyoto-Protokoll aufgenommen. Unter dem Mechanismus erhalten Klimaschutzprojekte in Entwicklungsländern Zertifikate für die damit eingesparten Treibhausgasemissionen. Diese Zertifikate können an Regierungen oder Unternehmen in Industriestaaten verkauft werden, die damit zusätzliche Emissionsrechte erhalten und so ihre Pflichten zur Emissionsbegrenzung leichter erfüllen können.

Die Grundidee ist, dass beide Seiten profitieren: die Entwicklungsländer von Investitionen in nachhaltige Technologien und die Industriestaaten von geringeren Kosten beim Klimaschutz. Denn oft sind Klimaschutzmaßnahmen in Entwicklungsländer kostengünstiger als in Industriestaaten. Die Vereinten Nationen haben bisher 5000 CDM-Projekte genehmigt, die bis 2020 etwa drei Milliarden Klimaschutzzertifikate je einer Tonne CO2-Gutschrift generieren könnten. Zum Vergleich: Deutschland stößt jährlich etwa 0,8 Milliarden Tonnen an Treibhausgasen aus.

Autor

Lambert Schneider

hat für das Öko-Institut und das UN-Klimasekretariat gearbeitet. Er war Mitglied der deutschen Verhandlungsdelegation bei den Klima­verhandlungen und hat in verschiedenen Expertengremien den CDM mitgestaltet. Zurzeit ist er freiberuflich tätig.

Vom CDM haben vor allem Schwellenländer profitiert. China ist mit Abstand das wichtigste Projektland: 51 Prozent der genehmigten Projekte und sogar 65 Prozent der Klimaschutzzertifikate entfallen auf China, gefolgt von Indien mit 19 Prozent der Projekte und elf Prozent der Klimaschutzzertifikate. Daneben wurden Projekte vor allem in stärker entwickelten Ländern umgesetzt, wie Brasilien, Südkorea, Mexiko, Indonesien oder Vietnam. Die 48 am wenigsten entwickelten Länder konnten bisher gerade einmal ein Prozent der Projekte verbuchen.

Am meisten haben bislang Chemiefirmen profitiert

Wind- und Wasserkraft sind mit 57 Prozent der genehmigten Projekte die wichtigsten Projekttypen im CDM. Weitere typische CDM-Projekte sind die Vermeidung von Methanemissionen in der Abfallwirtschaft und beim Kohlebergbau, die Nutzung energieeffizienter Technologien wie Energiesparlampen oder die Verwendung von Erdgas an Stelle von Öl oder Kohle. Am meisten haben jedoch wenige Chemieunternehmen profitiert: Sie konnten zu sehr niedrigen Kosten besonders schädliche Treibhausgase, die bei der Herstellung von ozonschädlichen Kältemitteln und Adipinsäure anfallen, zerstören und so Gewinne in Milliardenhöhe einfahren. Etwa 60 Prozent der bisher ausgegebenen Klimaschutzzertifikate stammen aus diesen gerade einmal 23 Projekten. 

Die chinesische Regierung wollte einen Teil dieser Gewinne abschöpfen und hat diese Projekte in China mit einer hohen Steuer belegt. Die Einnahmen fließen in einen Fonds für Klimaschutzprojekte in China.Was hat der CDM bewirkt? Zunächst hat er einen Milliardenmarkt geschaffen. Viele tausend Arbeitsplätze sind für die Entwicklung, Umsetzung und Überwachung von Klimaschutzprojekten, die Beratung von Unternehmen und Regierungen und die Regulierung des Marktes entstanden. Ein nicht zu unterschätzender Erfolg des CDM ist deshalb der Kapazitätsaufbau. Viele Unternehmen und Regierungen sind durch den CDM viel besser über den Klimawandel und die Entstehung und Vermeidung von Treib-hausgasemissionen informiert.

In einigen Sektoren konnte der CDM die Treibhausgasemissionen in Entwicklungsländern erheblich senken. So wird inzwischen bei vielen großen Mülldeponien in Entwicklungsländern das austretende Methan im Rahmen von CDM-Projekten aufgefangen. Die Lachgasemissionen aus der Herstellung von Salpetersäure sind aufgrund des CDM inzwischen in Entwicklungsländern deutlich niedriger als in einigen Industriestaaten wie den USA, die diese Emissionen nicht regulieren.

Doch jetzt steht der CDM möglicherweise vor dem Ende. Denn das Angebot an Zertifikaten übersteigt deutlich die Nachfrage. In der Folge sind die Preise ins Bodenlose gefallen, alleine in 2012 um mehr als 90 Prozent. 2008 wurden noch bis zu 24 Euro für ein Klimaschutzzertifikat an der Börse gezahlt, 2011 waren es nur noch etwa 13 Euro. Im Oktober dieses Jahres erreichte der Preis einen historischen Tiefstand von 71 Cent. Mit diesen Preisen können gerade die Kosten für die Ausgabe der Zertifikate gedeckt, nicht jedoch Klimaschutzprojekte finanziert werden. Die Entwicklung neuer Projekte ist fast vollständig zum Erliegen gekommen, bestehende werden zum Teil nicht fortgeführt. Viele Projektentwickler haben inzwischen Mitarbeiter entlassen. Da zwei Prozent der CDM-Zertifikate an den globalen Anpassungsfonds gehen, steht auch für die Anpassung an den Klimawandel weniger Geld zur Verfügung.

Viele Industrieländer haben keine ambitionierten Obergrenzen für Emissionen

Die Nachfrage ist niedrig, weil neben den USA inzwischen auch andere wichtige Industriestaaten wie Japan, Kanada und Russland aus dem Kyoto-Protokoll ausgestiegen sind und die verbleibenden Länder keine ambitionierten Obergrenzen für ihre Emissionen angesetzt haben. Die EU ist mit über 90 Prozent der wichtigste Käufer von CDM-Zertifikaten. Sie benötigt aber nur noch wenige neue Zertifikate, um ihre Klimaschutzziele bis 2020 zu erfüllen. 

Doch der Preisverfall bei den CDM-Zertifikaten ist nicht nur auf die geringe Nachfrage zurückzuführen, sondern auch auf ein Überangebot infolge laxer Kriterien für die Genehmigung von Projekten. Hinter vielen Zertifikaten stecken gar keine tatsächlichen Emissionsreduktionen. Verschiedene wissenschaftliche Studien und journalistische Recherchen kommen zu dem Schluss, dass viele Projekte auch ohne den CDM umgesetzt würden. Projektentwickler bestätigen, dass in vielen Fällen die Einnahmen aus dem CDM nicht ausschlaggebend für die Investition sind. Durch solche Mitnahmeeffekte wird die Klimawirkung des CDM untergraben, denn jedes Klimaschutzzertifikat berechtigt einen Industriestaat, eine Tonne mehr an Treibhausgasen auszustoßen.

Wenn im Gastland keine Treibhausgase eingespart werden, während in den Industriestaaten mehr ausgestoßen werden darf, können sich die globalen Treibhausgasemissionen durch den CDM sogar erhöhen. Viele Jahre haben Projektentwickler gemeinsam mit den Regierungen der Käuferländer und Entwicklungsländer auf relativ weiche Kriterien für die Genehmigung von CDM-Projekten gedrungen. Die laxe Genehmigungspraxis rächt sich nun auch für die Projektentwickler und Gastländer. Denn das Überangebot an Zertifikaten hat erheblich zu dem Preisverfall beigetragen. Leidtragende sind vor allem die Projekte, die auf die Einnahmen aus dem CDM angewiesen sind und tatsächlich Emissionen verringern.

Vorschläge zur Rettung des CDM liegen auf dem Tisch

Ein hochrangiges Gremium, der „High-Level Panel on the CDM Policy Dialogue“, hat im September dieses Jahres Vorschläge gemacht, wie der CDM reformiert und gerettet werden sollte. Eine zentrale Empfehlung ist, eine Art Zentralbank einzurichten, die CDM-Zertifikate aufkauft, um die Preise zu stabilisieren – ähnlich dem Ankauf von Staatsanleihen durch die Europäische Zentralbank. Angesichts des immensen Überschusses an Zertifikaten müssten für den Ankauf allerdings viele Milliarden Euro aufgewendet werden, ohne diese je zurück zu bekommen.

Es wird diskutiert, ob der Grüne Klimafonds diese Rolle übernehmen könnte. Dieser wurde ins Leben gerufen, um mit bis zu 100 Milliarden US-Dollar jährlich Klimaschutzmaßnahmen und Anpassung an den Klimawandel in Entwicklungsländern zu finanzieren. Angesichts der fragwürdigen Umwelteigenschaften vieler CDM-Zertifikate scheint fraglich, ob dieses Geld gut in CDM-Zertifikaten angelegt wäre und nicht besser in strukturelle Veränderungen in Entwicklungsländern.

Auch die Entwicklungswirkung des CDM wird kontrovers diskutiert. Viele Studien kommen zu dem Schluss, dass CDM-Projekte nur wenig zur nachhaltigen Entwicklung in den Gastländern beigetragen haben. Der Nutzen vieler Projekte im ländlichen Raum, wie beim Einsatz von effizienten Holzkochern, Kleinwasserkraftwerken oder Solarenergie, ist unbestritten. Allerdings ist der Anteil solcher Projekte am CDM insgesamt gering. Umso unverständlicher ist, dass auch Projekte wie der Bau von neuen Kohlekraftwerken mit Klimaschutzzertifikaten gefördert werden.

In zwei Fällen wurden im Zusammenhang mit CDM-Projekten auch schwere Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Obwohl die Regeln für den CDM vorsehen, dass die Bevölkerung angehört wird, werden immer wieder Fälle bekannt, in denen sie nicht über die Projekte informiert wird oder Beschwerden nicht berücksichtigt werden.

Eine weitere wichtige Empfehlung des „High-Level Panel on the CDM Policy Dialogue“ betrifft die Verbesserung der Aufsicht und Steuerung; eingeführt werden sollten ein Bewerbungsverfahren und ein robuster Verhaltenskodex für Mitglieder des CDM-Exekutivrats, des Aufsichtsgremiums über den CDM. Ihm wird vorgeworfen, sich nicht auf strategische Entscheidungen zu konzentrieren, sondern in technischen Einzelentscheidungen zu verzetteln.

Erhebliche Mängel bei der Überprüfung der CDM-Projekte

Einige Mitglieder des Gremiums haben kaum Fachkenntnisse zum CDM, andere erhebliche Interessenkonflikte. Lange Zeit gab es überhaupt keinen Verhaltenskodex für sie, und auch der jetzt gültige Kodex erlaubt erheblichen Interpretationsspielraum, wann ein Interessenkonflikt besteht. Auf der anderen Seite beschweren sich viele Projektentwickler zu Recht über zu viel Bürokratie und hohe Transaktionskosten, die mit der Genehmigung von Projekten und der Ausgabe von Zertifikaten verbunden sind.

Ein Schwachpunkt des CDM ist auch die Überprüfung der Projekte durch unabhängige Zertifizierungsunternehmen, zu denen auch die deutschen TÜVs gehören. Immer wieder hat der CDM-Exekutivrat erhebliche Mängel bei der Zertifizierung festgestellt, darunter nicht ausreichend qualifiziertes Personal. In der Folge wurde mehreren Zertifizierungsunternehmen die Zulassung zeitweise entzogen, etwa dem deutschen TÜV-Süd in 2010.

Die Zertifizierungsunternehmen stehen auch unter dem Druck der Projektentwickler, die sie bezahlen und ihnen vorwerfen, bei der Überprüfung von Projekten zu bürokratisch, zu langsam und zu teuer zu sein. Die Prüfer verweisen hingegen darauf, dass sich die Regeln des CDM-Exekutivrats ständig ändern und die Praxis bei der Zweitprüfung der Projekte durch die Vereinten Nationen rigide ist. Derzeit wird kontrovers diskutiert, inwieweit Zertifizierungsunternehmen für Mängel bei der Zertifizierung haftbar gemacht werden sollen. Erst kürzlich haben einige gedroht, ihre Arbeit niederzulegen, wenn sie in vollem Umfang für fälschlich ausgegebene Klimaschutzzertifikate haften sollen.

So ist die Gesamtbilanz am Ende der ersten Verpflichtungsperiode des Kyoto-Protokolls gemischt. Einigen guten Projekten stehen viele fragwürdige gegenüber. Aber vor allem sind die Aussichten für die nächsten Jahre düster. Bei der hohen Anzahl der schon registrierten Projekte ist es wahrscheinlich, dass die Preise für Klimaschutzzertifikate viele Jahre auf sehr niedrigem Niveau bleiben und kaum neue Projekte initiiert werden. Hoffnungsvoll stimmt, dass Schwellenländer immer mehr Anstrengungen zum Klimaschutz unternehmen. Zahlreiche Länder planen die Einführung von nationalen Emissionshandelssystemen, wodurch etwa bei der Stromerzeugung der CO2-Ausstoß erheblich reduziert werden könnte. Diese Systeme werden aller Voraussicht nach wesentlich wirksamer sein als der CDM.
 

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erschienen in Ausgabe 12 / 2012: Leben mit dem Klimawandel
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