Je suis Baga!

Die falschen Freunde der Terroropfer
Die falschen Freunde der Terroropfer

Alle Welt ist plötzlich „Charlie“. Dabei war das französische Satiremagazin ein Außenseiterblatt – und wird es bald wieder sein. Die Solidarität hat etwas Verlogenes, findet „welt-sichten“-Redakteur Tillmann Elliesen und richtet den Blick lieber nach Nigeria.

Tote mit schwarzer Hautfarbe zählen in unseren Medien weniger als solche mit weißer Haut. Das ist nicht neu und es gibt Erklärungen dafür, die auch, aber nicht nur mit Rassismus zu tun haben. Dennoch: In der vergangenen Woche trat diese Ungleichbehandlung derart krass zutage, dass man sich schämen musste als Angehöriger der westlichen Journalistenzunft. Am selben Tag, an dem in Paris die Redakteure und Karikaturisten von „Charlie Hebdo“ ermordet wurden, überfielen islamistische Terroristen die Stadt Baga im Nordosten von Nigeria und töteten nach Regierungsangaben 140 Menschen. Zunächst war sogar von bis zu 2000 Toten die Rede, und trotz dieser unglaublichen Zahl kam dieser Anschlag in den deutschen Nachrichten praktisch nicht vor. In der Aufregung und der allumfassenden Trauer um die Opfer in Paris war es dann auch nur eine Randnotiz wert, dass in den folgenden Tagen in Nigeria noch das eine oder andere Kind als Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt wurde und weitere Dutzende Tote zu beklagen waren.

Die Krokodilstränen der Pegida

Ich will auch deshalb nicht Charlie, sondern lieber Baga sein, weil der allgemeinen Solidarisierung mit dem französischen Satiremagazin etwas Verlogenes anhaftet. „Charlie Hebdo“ war bisher ein Außenseiterblatt. Es steht für eine radikale Form der Meinungsfreiheit, der nichts und niemand heilig ist und mit der viele, die jetzt „Je suis Charlie“ sagen, bisher wohl eher wenig anfangen konnten. Die Redaktion musste sich ihre Freiheit, zu schreiben und zu zeichnen, was sie will, gegen allerlei gesellschaftliche Kräfte und Politiker vor Gericht immer wieder neu erstreiten. Sogar Barack Obama, der Präsident der selbst ernannten Weltzentrale der Liberalität, ließ vor zwei Jahren über seinen Sprecher an den französischen Satirikern herummäkeln, die Pressefreiheit stehe zwar außer Frage, aber die Publikation von Mohammed-Karikaturen müsse nun doch wirklich nicht sein. Einer der überlebenden Redakteure von „Charlie Hebdo“ sagte nach dem Anschlag sinngemäß, bis zum 7. Januar sei es eher einsam um sie herum gewesen. Er rechne damit, dass das in wenigen Wochen wieder genauso sein werde.

Besonders grotesk ist, dass ausgerechnet die Spießer von der Pegida in Dresden sich nun mit den anarchistischen Komikern aus Paris solidarisieren. Unter diesen Zukurzgekommenen, die seit Wochen für mehr Piefigkeit und mehr Intoleranz in Deutschland demonstrieren, sind vermutlich etliche, die selbst auf Mordgedanken gekommen wären, hätten sie gewusst, wie respektlos „Charlie Hebdo“ mit den Insignien des christlichen Abendlandes zuweilen umspringt. Und schlichtweg infam ist es, dass Pegida gestern in Dresden auch über die Terroropfer in Nigeria meinte Krokodilstränen vergießen zu müssen. Noch vor einer Woche hatte Pegida-Gastredner Udo Ulfkotte in Dresden zum Thema Flüchtlinge gesagt: „Flüchtlinge? Ich sehe nur kräftige junge Männer, die sich auch vorher möglicherweise an den Kriegen beteiligt haben.“

Tillmann Elliesen

 

 

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Einem unbefangenen Besucher vom anderen Stern würde beim Blick auf die Brennpunkte ab 2001 eines sicher auffallen: Der Angriff auf das WTC, die Taten der Taliban, die Selbstmordattentate im Irak, die Giftgasmorde Saddams, die Entführung und Vergewaltigung von Schülerinnen oder das Niederbrennen von Dörfern in Nigeria, die Fassbomben auf Wehrlose in Syrien (mehr Beispiele kein Problem), die Täter sind immer Muslime. Wer wollte das abstreiten? Als Folge dieser Tatsache geraten die Moslems als Glaubensgemeinschaft unter Generalverdacht. Sich von dieser Last zu befreien, ist nun vor allem ihre Aufgabe. Dem heutigen Christen muss unerklärlich bleiben, warum sich Sunniten und Schiiten unentwegt gegenseitig massakrieren. Solang diese Vorgänge nationale Angelegenheiten waren und sind, sind die meisten Europäer höchstens interessiert oder irritiert. Das ändert sich gerade, nun tragen die Islamisten den Unfrieden in die ganze Welt. Die Reaktionen der Besonnenen kommen in der für Demokratien typischen Langsamkeit und umfassen auch das Bemühen, die friedfertigen Moslems von den anderen zu trennen. Dazu müssen diese ganz schnell beitragen, sonst wird die Ansicht von Frau Merkel, der Islam gehört nun zu Deutschland, zum Damoklesschwert. Die Problematik des Zusammenlebens mit immer mehr Menschen, die offensichtlich nicht Gleichgesinnte sind, wird Deutschland und Europa noch Jahrzehnte beschäftigen. Das geht nur mit Nüchternheit und nicht mit Schaum vor dem Mund.

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