Warum die globale Regelsetzung versagt

Thomas Hale, David Held
und Kevin Young
Gridlock
Why Global Cooperation Is Failing When We Need It Most
Polity Press, Cambridge and Malden (MA) 2013, 357 Seiten, 21,60 Euro

Terrorismus, Finanzkrisen, Artensterben – viele Probleme lassen sich ohne Zusammenarbeit der Staaten nicht lösen. Doch die nötigen globalen Regeln zu schaffen, ist schwierig. Dieses wichtige Buch erklärt, warum.

Der Stillstand bei den Klimaschutzverhandlungen ist nur ein Beispiel: Überall in der globalen Zusammenarbeit herrscht laut den Autoren, drei Politikwissenschaftlern, der Trend zur Blockade. Die Ursachen sehen sie in erster Linie nicht in der Haltung einzelner Regierungen, sondern im System. Vier Veränderungen machten die Zusammenarbeit schwieriger als früher: Erstens der Aufstieg der Schwellenländer; solange die führenden Mächte fast alle Industrieländer waren, war es einfacher, ihre Interessen unter einen Hut zu bringen. Zweitens seien heutige globale Probleme schwerer zu lösen als frühere, denn man müsse dazu tief in die Innenpolitik einzelner Staaten eingreifen – zum Beispiel Kohlekraftwerke abschalten oder das Patentrecht ändern. Drittens funktionierten viele internationale Institutionen nicht mehr und seien nicht mehr zeitgemäß. Und viertens entstünden zahlreiche neue, spezialisierte globale Gremien, was die Gesamtarchitektur immer zersplitterter mache.

Die Blockade ist laut den drei Politologen paradoxerweise ein Ergebnis erfolgreicher globaler Regelsetzung: Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg seien in einer von den USA dominierten Welt Regeln und Institutionen für die internationale Sicherheit sowie für Handels- und Währungsfragen neu geschaffen worden. Sie hätten das Wachstum der Weltwirtschaft, die globale Vernetzung und den Aufstieg der Schwellenländer erst ermöglicht. Die Folge seien nun neuartige Probleme wie Finanzkrisen und globale Umweltgefahren, die bestehende Institutionen etwa der Vereinten Nationen (UN) überforderten.

Die These wird an drei großen Problemfeldern geprüft: Frieden und Sicherheit, Weltwirtschaft sowie globale Umweltprobleme. Für die zwei letzten überzeugt das. So wird erklärt, dass Konzerne länder­übergreifende Produktionsketten und damit den Bedarf geschaffen haben, nicht nur Zölle zu senken, sondern auch etwa Auslandsinvestitionen zu schützen. Die Liberalisierung des Kapitalverkehrs seit den 1970er Jahren ließ die Finanzmärkte explodieren. Versuche, für solche Folgeprobleme der Globalisierung globale Regeln zu schaffen, blieben Stückwerk; die Welthandelsgespräche etwa seien blockiert. Immerhin hätten aber Industrie- und Schwellenländer gemeinsam verhindert, dass die Finanzkrise von 2008 eine neue Weltwirtschaftskrise auslöste.

Wolkige Handlungsempfehlungen

Genauso zu empfehlen ist das Kapitel zum Problemfeld Ökologie. Warum die internationalen Organisationen dafür schwach sind, erklärt es aus der Geschichte – die Umwelt wurde erst in den 1970ern zum Thema – und aus Interessen der Industrie- und Entwicklungsländer. Sehr schön wird deutlich, warum der Erdgipfel in Rio 1992 nur Unverbindliches hervorgebracht hat und wieso ein funktionierendes Regime für den Schutz der Ozonschicht gefunden werden konnte, bisher aber nicht für den Schutz des Klimas oder der Wälder.

Schwächer ist das Kapitel zu Sicherheit und Frieden. Hier greift die Kernthese nicht richtig. Das Buch misst etwa den UN große Verdienste um die Bewahrung des Friedens nach 1945 zu; doch während des Ost-West-Konflikts hat eher das Gleichgewicht des Schreckens Kriege zwischen den Supermächten verhindert, während Kriege im Süden noch geschürt wurden. Erst nach dem Kalten Krieg konnten die UN ihre Aufgabe wahrnehmen, solche Kriege beizulegen. Heute, klagt das Buch, funktioniert das nicht mehr, weil der UN-Sicherheitsrat blockiert ist; doch das war er vor 1990 regelmäßig. Fraglich ist auch, ob heutige Kriege so neuartig sind oder Terrorismus und gescheiterte Staaten so große globale Sicherheitsprobleme, wie das Buch es darstellt.

Das letzte Kapitel sucht nach Wegen, die Blockaden aufzulösen. Hierzu sei entscheidend, dass Druck aus den Gesellschaften mit Regierungsinitiativen zusammenwirke. Die größte Hoffnung setzen die Autoren nicht auf Europa oder gar die USA, sondern auf demokratische Schwellenländer wie Brasilien. Anders als die Analyse bleiben die Handlungsempfehlungen aber etwas wolkig.

Dennoch ist dies ein sehr gutes Buch. Es erklärt komplizierte Vorgänge, ohne den Blick für das Wesentliche zu verlieren; im Grunde steckt eine knappe Geschichte der Globalisierung darin. Zu Beginn ermüdet etwas, dass die Hauptthese häufig wiederholt wird, doch insgesamt ist es erfreulich lesbar. (Bernd Ludermann)

Erschienen in welt-sichten 10-2013

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