Dschihadismus als Pop-Kultur

Anhand von Gesprächen mit Sympathisanten, Opfern und Beobachtern des IS-Terrors untersucht Petra Ramsauer die Frage, warum sich junge Menschen dem IS anschließen. Ihre These: Die Anhänger kommen eher aus Shisha-Bars und Parks als aus den Moscheen.

Denis Cuspert und Mohamed Mahmoud sind zwei typische moderne Gotteskrieger. Cuspert, Sohn aus einer gescheiterten Ehe zwischen einem Ghanaer und einer Deutschen, wächst in Berliner Heimen auf, schließt sich Straßengangs und Drogenbanden an, beginnt zu rappen. Nach einem Autounfall konvertiert er zum Islam und nennt sich fortan Abu Talha al-Almani. Mahmoud, Sohn ägyptischer Eltern in Wien, fällt schon in der Schule durch radikale Sprüche und seine Verehrung von Osama bin Laden auf. Mit 17 wird er an der irakisch-iranischen Grenze festgenommen und nach Wien zurückgeschickt. Dort übersetzt er Propaganda des Kalifats ins Deutsche und verbreitet IS-Propagandavideos. Weder Cuspert noch Mahmoud haben militärische Erfahrung. Dennoch gelangen beide schließlich nach Raqqa, in die syrische Hauptstadt des Kalifats. Vor allem Mahmoud entwickelt dort als Gotteskrieger einen ungeahnten Blutdurst. Ein Video zeigt, wie er  eigenhändig zwei „Ungläubigen“ den Kopf abschlägt.

Für Petra Ramsauer sind diese beiden Gotteskrieger bemerkenswerte Vertreter der Generation Dschihad. Die in Europa geborenen jungen Männer haben nicht durch Studium des Korans zur Religion gefunden, sondern durch eine von radikalen Predigern verbreitete „reine Lehre“, die ihr Bedürfnis nach Radikalität und Reinheit anspricht. „Unsere Waffe ist das Internet“, sagt Mahmoud in einem Interview mit dem Spiegel, bevor sich der Verfassungsschutz an seine Sohlen heftet und er in Ägypten untertaucht. Die Autorin selbst hat die beiden nicht getroffen. Sie, die seit vielen Jahren aus dem Nahen Osten berichtet und auch während des Bürgerkrieges Syrien bereist hat, sieht den modernen Dschihadismus als eine Art Pop-Kultur, die vor allem entwurzelte junge Menschen anspricht, die in Europa keinen Platz in der Gesellschaft und keine Perspektiven für ihr Leben finden. Etwa ein Drittel der Dschihadisten, die nach Syrien reisen, sind nach ihren Recherchen Konvertiten. Vor allem sie zeichnen sich durch besondere Grausamkeit aus.

Ramsauer ortet die radikalen Prediger weniger in den Moscheen, die längst vom Verfassungsschutz beobachtet werden, als vielmehr in Parks und Shisha-Bars. Sie hat mit Salafisten, Dschihad-Rückkehrern, Nahost-Experten und Verfassungsschützern gesprochen, um ihre These zu entwickeln. Ihr Buch ist auf dem Stand von Mitte 2015. Seither hat sich viel getan: Das vom IS beherrschte Territorium ist geschrumpft und die Zahl der Gotteskrieger, die nach Raqqa und Mossul reisen, um für die Utopie eines rein muslimischen Staates zu kämpfen, hat abgenommen. Die Protagonisten Cuspert und Mahmoud könnten im Oktober bei einem Drohnenangriff schwer oder sogar tödlich verletzt worden sein.

Aber die Gefahr, die von Rückkehrern ausgeht und von denen, die IS-Parolen übernehmen und die „Ungläubigen“ in Europa vernichten wollen, bleibt akut. Professionell gemachte Propagandavideos rekrutieren weiterhin Dschihadisten, die ohne konkreten Befehl auf eigene Faust Bomben basteln, Massaker planen oder Messerattentate begehen. Die Medien, so die Autorin, unterstützten sie dabei: Ein Bericht in der New York Times über ein Attentat erhöht laut einer Studie des Wirtschaftsprofessors Michael Jetter die Gefahr der Nachahmung um bis zu 15 Prozent.

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