Krise als Neuanfang

Die Weltreporter um Marc Engelhardt dokumentieren in diesem Sammelband unterschiedliche Wege Geflüchteter in eine neue Heimat. Dabei wird klar: Die ganze Welt ist von Völkerwanderungen betroffen – und wird sich dadurch verändern.  

Die Autoren erzählen von Flüchtlingen, die vor Krieg, Klimawandel, Verfolgung oder Armut geflohen sind, ebenso von Heimkehrerinnen und Heimkehrern. Die Stärke der Texte liegt in ihren verschiedenen Blickwinkeln auf Fluchtgründe und Weltregionen. So lernt man Sigeo Alesana und seine Frau kennen, die ersten anerkannten Klimaflüchtlinge. Ihre Heimat, der Inselstaat Tuvalu, ist dem Untergang geweiht. Oder die Lehrerin Fatima – deren richtiger Name anders lautet – aus Pakistan, die wie viele andere schon über Jahre im Transitland Indonesien lebt, weil Australien die Grenzen dicht machte.

Dabei muss sie fast noch froh sein, dass sie nicht in einem der extraterritorialen Internierungslager Australiens strandete, wo Geflüchtete wie Gefangene gehalten werden. Die Kinderkrankenschwester Alana Maycock aus Sydney hat nach einer Stippvisite von unfassbaren Zuständen berichtet. So vergewaltige das private Sicherheitspersonal die Frauen und schlage die Männer. Die sanitären Bedingungen seien katastrophal und es gebe keine Privatsphäre, wenn man sie sich nicht – etwa durch sexuelle Gefälligkeiten – erkaufe. Australiens Politiker halten jedoch weiterhin an den Überseelagern fest. Um Flüchtlinge abzuschrecken, müssen die Zustände noch schlimmer sein als die Zustände vor denen sie fliehen, so die Logik. 

Auf der anderen Seite des Globus kehrt die in Süddeutschland aufgewachsene Juristin Halima Olad im Sommer 2015 in ihr Geburtsland Somalia zurück. Sie will dabei helfen, die Infrastruktur des Landes wiederaufzubauen, in dem sie als Mitarbeiterin der Regierung arbeitet. Dafür nimmt sie viele Einschränkungen und Gefahren in Kauf, da Regierungsmitarbeiter ganz oben auf der Todesliste der Shabaab-Miliz stehen. Die Familie Demir ist dagegen nach fast 30 Jahren in Deutschland 2006 zurück in den Südosten der Türkei gezogen, weil die Eltern Angst hatten, dass ihre Kinder ihre Kultur, Sprache und Identität verlieren. Nach zehn Jahren blicken sie aber mit Sorge in die Zukunft: Die Rückkehr in die alte Heimat erwies sich als kaum leichter als die Flucht daraus.

Die Geschichten unterscheiden sich qualitativ. Manche sind etwas zu sentimental geschrieben, doch ist das Buch im Ganzen sehr lesenswert. In dem leicht lesbaren und verständlichen Buch kommen die Weltreporter zu dem Fazit, dass sich Veränderungen nicht aufhalten, aber gestalten lassen. Demnach erleben wir derzeit keine Flüchtlingskrise, sondern eine Flüchtlingsrevolution, die frei nach Hannah Arendt ein neuer Anfang sei.

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