Fair vom Webstuhl bis zur Wäsche

Teppiche müssen unter Einhaltung ökologischer und sozialer Standards produziert werden, dazu zählen etwa faire Löhne. Lizenznehmer in Europa müssen das für die gesamte Lieferkette nachweisen – und das ist nicht ganz einfach. Bis die wertvollen Stücke in Deutschland oder Österreich im Schaufenster liegen, haben sie einen langen Weg hinter sich.

Pakistanische Frauen, die lächelnd und selbstbewusst in die Kamera oder auf die Bühne blicken. So sieht man sie auf einem Foto von der Teppichweberkonvention, die 2010 in der pakistanischen Metropole Lahore stattfand. Die meisten haben ihr Haar locker bedeckt, manche tragen es offen. Und in den Reihen dahinter sitzen die Männer – ungewöhnlich für streng islamische Gesellschaften. „Zu Beginn unserer Arbeit waren die meisten Frauen verschleiert“, sagt Tanveer Jahan, die Direktorin der Democratic Commission for Human Development (DCHD) in Lahore. Die Menschen- und Frauenrechtsaktivistin vertritt den Teppichzertifizierer „Label STEP“ in Pakistan und kennt die Probleme der Teppichknüpferinnen aus eigener Anschauung. Neben besseren Arbeitsbedingungen haben sie sich mehr Anerkennung und Freiraum erkämpft.

Anders als bei konventionellen FairTrade-Produkten werden beim Teppich-Label STEP nicht einzelne Produkte zertifiziert. Ein STEP-Lizenznehmer in Europa muss nachweisen, dass sich seine gesamte Lieferkette an die damit verbundenen Kriterien hält, und sein gesamtes Sortiment an handgefertigten Teppichen den Vorgaben des fairen Handels unterwerfen. Dazu gehören Schutz der Gesundheit und Sicherheit der Arbeitenden, faire Löhne, Verbot von missbräuchlicher Kinderarbeit und Schuldknechtschaft sowie eine Reihe arbeitsrechtlicher Standards. Besonders wichtig: Den Prüfern muss jederzeit Zugang zu Informationen und Werkstätten gewährt werden.

Autor

Ralf Leonhard

war bis zu seinem plötzlichen Tod im Mai 2023 freier Journalist in Wien und ständiger Korrespondent von "welt-sichten".

Die pakistanischen Exporteure müssen dafür sorgen, dass die Standards eingehalten werden. Anfangs sei es nicht leicht gewesen, sie von der Zusammenarbeit zu überzeugen. „Als wir 1997 mit der Arbeit für Label STEP begannen, haben sie gefragt, was sie davon haben“, berichtet Tanveer Jahan. Schnell hätten sie aber gemerkt, dass sie damit ihre Chancen auf dem europäischen Markt verbessern. Auch die 1,5 Prozent vom Einkaufswert, die die Teppichimporteure an Label STEP abführen müssen, sind gut investiert. Denn seit einer Kampagne gegen Kinderarbeit, mit der 1995 in Europa die Bedingungen in Fußball- und Teppichmanufakturen Südasiens angeprangert worden waren, seien die Verbraucher kritischer geworden, unterstreicht Jahan.

Die Einhaltung der Kriterien zu überprüfen, ist kompliziert. Bis ein zertifizierter Teppich in einem Geschäft in Deutschland oder Österreich eintrifft, durchläuft er eine mehrgliedrige Produktionskette von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Zulieferern. „Die Exporteure wissen oft gar nicht, wo ihre Teppiche hergestellt werden“, sagt Tanveer Jahan. Die typische Produktionsstätte ist ein Haus, in dem der Webstuhl oder Teppichrahmen das Wohnzimmer beherrscht. Vor allem Frauen arbeiten in diesem Gewerbe, erläutert Jahan: „In manchen Familien reicht die Tradition bis zu den Großeltern oder weiter zurück.“ Insgesamt leben in Pakistan mehr als zwei Millionen Menschen von der Herstellung von Teppichen.

Früher sei Kinderarbeit weit verbreitet gewesen. Es war normal, dass die ganze Familie sich an der Knüpferei beteiligte. Aber zumindest in der Provinz Punjab, in der Label STEP aktiv ist, sei sie in der Teppichbranche weitgehend ausgerottet. Die bezahlten Prüfer und die Freiwilligen, die sich für Label STEP engagieren, achten genau darauf, dass die Minderjährigen in die Schule gehen. Es spreche allerdings nichts dagegen, so Jahan, wenn Jugendliche nach dem Unterricht am Teppich arbeiteten: „Sie lernen ja ein Handwerk, statt sich auf der Straße herumzutreiben.“ Nach der Kampagne gegen Kinderarbeit in Europa habe Label STEP Programme für Kinder entwickelt, die arbeiten mussten, statt in die Schule zu gehen. Man habe sie auf die Eingliederung ins formale Schulsystem vorbereitet und über begleitende Sozialprojekte Schulplätze für diese Kinder geschaffen.

Wichtig sei natürlich, dass die Erwachsenen mit ihrer Arbeit genug verdienen, um die Familie zu erhalten. Das Einkommen von zwei Personen muss reichen, die Grundbedürfnisse zu decken und zehn Prozent für Notfälle auf die Seite zu legen. Aber derzeit ist das Teppichgewerbe nicht als Handwerk anerkannt. „Teppichknüpfen gilt als ungelernte Arbeit“, klagt die Expertin, die sich für ein Gesetz einsetzt, das diesen Zustand ändern soll. Erst wenn die Regeln für formale Gewerbe gälten, müsse der Staat einen Mindestlohn festsetzen. Als Hausarbeiter, für die weder Arbeitszeiten noch Sozialstandards festgesetzt sind, seien die Teppichknüpferfamilien der Willkür der Händler ausgeliefert, erläutert Tanveer Jahan. Geregelte Löhne werden derzeit nur in der Wäscherei gezahlt. Vor dem Export müssen die Teppiche gewaschen, geschoren und endgefertigt werden. Das wird zu 90 Prozent in Fabriken erledigt.

Label STEP kann bei der Überprüfung seiner Standards kaum auf staatliche Unterstützung zählen. Die Organisation hat deshalb das Konzept „Participatory Verification and Monitoring“ (PVM) entwickelt. Damit können die Knüpfer und Knüpferinnen die Arbeitsbedingungen und die Einhaltung der Standards selbst überprüfen. Ergänzend zur Beurteilung der professionellen Auditoren decken sie oft Mängel in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit am Arbeitsplatz, Hygiene oder Löhne auf. Dank dieses Systems konnten hunderte Arbeiter eine Lohnerhöhung von 40 Prozent durchsetzen. Wenn in einer Produktionskette die Standards über einen längeren Zeitraum hinweg nicht eingehalten werden, kann ein Exporteur seine Lizenz wieder verlieren. Die Zahl der Partner in Pakistan variiere zwischen 15 und 35, berichtet Jahan. Derzeit seien es knapp 30. Nur sieben Prozent der pakistanischen Teppichexporte gehen nach Europa. Davon stammt ein großer Teil bereits aus von Label STEP kontrollierten Produktionsstätten, versichert Magdalena Stranner, Direktorin des Gütesiegels, das bei der Max Havelaar Stiftung in Basel angesiedelt ist. In Österreich werde bereits die Hälfte der Importteppiche bei zertifizierten Lizenzpartnern eingekauft, in der Schweiz immerhin mehr als 40 Prozent. In Deutschland hingegen kommen kaum zehn Prozent der handgefertigten Teppiche aus überprüften Betrieben.

Der Aufschwung des militanten Islam in Pakistan hat sich auch auf das Teppichgeschäft ausgewirkt. Händler aus Europa fahren nun lieber an den Umschlagplatz Dubai, als nach Pakistan, an die Quelle, zu reisen. Aber Pakistan, so Jahan, sei keine homogene Gesellschaft. Sie selbst ist das beste Beispiel dafür, dass nicht alle Frauen ihr Haar mit dem Hijab verhüllen und die Öffentlichkeit meiden.

Dafür nimmt Tanveer Jahan Drohungen in Kauf. Die halten sie nicht davon ab, Frauen in friedlicher Konfliktlösung zu schulen und über ihre Rechte zu informieren. Und sie hat Erfolg: Frauen, die mit Label STEP zusammenarbeiten, seien selbstbewusster geworden, betont Jahan. „Früher waren sie nur in der Produktion beschäftigt.“ Inzwischen arbeiteten einige von ihnen als Zwischenhändlerinnen, und sie würden von den Männern respektiert. „Sie sind in der Produktionskette aufgestiegen. Außerdem treten sie aktiv für bessere Bezahlung ein.“

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erschienen in Ausgabe 9 / 2012: Südliches Afrika: Wohlstand nur für wenige
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