Auf vermintem Gelände

In schwachen Staaten können private Unternehmen zum Friedensstifter werden, tragen aber möglicherweise auch mit ihren Geschäften zur Verschärfung von Konflikten bei. Zahlreiche internationale Verpflichtungen haben zum Ziel, das verantwortliche Handeln von Unternehmen zu fördern. Häufig sind solche Leitlinien jedoch freiwillig - das erschwert ihre Umsetzung erheblich.
Fragilen Staaten und Ländern in oder nach einem Bürgerkrieg mangelt es häufig an staatlicher Autorität, Legitimität und Rechtsstaatlichkeit. Es fehlt die Bereitschaft oder die Fähigkeit, die Prinzipien guter Regierungsführung einzuhalten. In einem solchen Umfeld haben die private Unternehmen und Konzerne das Potenzial, die ökonomische Entwicklung voranzutreiben. Sie können den Wiederaufbau unterstützen, sich mit internationalen Geldgebern und Hilfswerken vernetzen, das Unternehmertum fördern und gesellschaftspolitischen Initiativen den Rücken stärken. Doch trotz dieses Potenzials ist die Rolle des Privatsektors in fragilen Staaten keineswegs unproblematisch.
 

Autor

Rina M. Alluri

ist Forschungsstipendiatin beim Schweizer Friedensforschungsinstitut swisspeace. Ihre Doktorarbeit über die Rolle des Privatsektors im Friedensprozess in Sri Lanka ist Teil einer auf drei Jahre angelegten Untersuchung zum unternehmerischen Engagement bei der Förderung von Frieden.

Einerseits setzen sich Unternehmen für friedensstiftende Maßnahmen ein, indem sie Rahmenbedingungen fördern, die auch andere Firmen darin bestärken, ihren Geschäften mit der nötigen Sorgfalt nachzukommen. Andererseits können sie durch ihre Strategien, ihr Handeln und ihre Präsenz unmittelbar und mittelbar zur Destabilisierung fragiler Staaten beitragen. So wurde Konzernen in der Vergangenheit häufig vorgeworfen, bestehende Konflikte zu verschärfen, Menschenrechte mit Füßen zu treten, die Umwelt zu schädigen, Misstrauen bei der lokalen Bevölkerung zu säen und Regierungen zu unterstützen, die sich über die Rechte ihrer eigenen Bürger hinwegsetzen. In Sierra Leone und Angola zum Beispiel forcierten Rohstoffkonzerne den Abbau und den Verkauf von Diamanten und gaben so Rebellen die Mittel an die Hand, Bürgerkriege gegen ihre Regierungen zu finanzieren. Um den Handel mit solchen „Blutdiamanten" zu verhindern, wurde der Kimberley-Prozess mit der Ausstellung von Herkunftszertifikaten ins Leben gerufen. Andere Fälle belegen, dass ein Konzern durch die Unterstützung einer Regierung, die die Bürgerrechte missachtet, auch indirekt zur Destabilisierung und zu möglichen Konflikten beitragen kann.

1994 etwa richtete die nigerianische Regierung den bekannten Aktivisten Ken Saro-Wiwa und acht seiner Ogoni-Mitstreiter hin, die gegen Umweltschäden im Ogoniland infolge der von Shell betriebenen Erdölförderung protestiert hatten. Da Erdöl für die nigerianische Regierung eine bedeutende Einkommensquelle ist, gab es einen öffentlichen Aufschrei, weil angenommen wurde, dass Shell unmittelbar auf die Hinrichtungen und nachfolgenden Auseinandersetzungen Einfluss genommen hatte. Außerdem regte sich öffentliches Misstrauen gegenüber dem Konzern und dem korrupten Staat, der mit den Hinrichtungen unbehelligt davon kam.

Ein weiterer solcher Fall ist der des Ölkonzerns Talisman im Sudan, der beschuldigt wurde, technische Ausrüstung an die Regierung in Khartum zu verkaufen - in einem Land, dessen amtierendem Präsident unter dem Vorwurf von Kriegsverbrechen ein Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof droht. Infolge der anhaltenden Kritik nahmen Shell und Talisman die Zusammenarbeit mit Menschenrechtsorganisationen auf, um Berichte über ihre gesellschaftliche Verantwortung (Corporate Social Responsibility, CSR) zu erstellen und darin die Menschenrechtslage, die Beziehung zwischen Unternehmen und Gesellschaft und den Einsatz privater Sicherheitsfirmen zu beleuchten. Diese Beispiele zeigen, dass das öffentliche Anprangern von schlechten Geschäftspraktiken schon mehrfach geholfen hat, Unternehmen zu einer Verbesserung ihrer Strategien und Handlungen zu bewegen.

Als Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen durch Unternehmen in Konfliktzonen begannen nichtstaatliche Organisationen (NGO) in der ersten Hälfte der 1990er Jahre mit bewusstseinsbildenden Kampagnen, der Bereitstellung von Leitfäden und der Umsetzung von Maßnahmen, um Firmen zur Rechenschaft zu ziehen. Der verstärkte Ruf nach verantwortungsvollen Geschäftspraktiken führte zu zahlreichen gesetzlichen Vorschriften und freiwilligen Standards wie den Freiwilligen Grundsätzen zur Wahrung der Sicherheit und der Menschenrechte (Voluntary Principles for Security and Human Rights, VPSHR), der Transparenzinitiative der Rohstoffindustrie (EITI) und dem bereits erwähnten Kimberley-Prozess mit der Herkunftszertifizierung von Diamanten.

Die Multistakeholder-Initiative VPSHR gibt multinationalen Konzernen, die Rohstoffe abbauen, Standards vor, die verhindern sollen, dass öffentliche und private Sicherheitsdienste sich an Menschenrechtsverletzungen beteiligen, und um sie notfalls zur Verantwortung zu ziehen. Im Rahmen von EITI sollen Bestechung, Korruption und Menschenrechtsverstöße in der Rohstoff fördernden Industrie mit Hilfe transparenterer Verfahren verhindert werden. Der im November 2010 von verschiedenen Firmen unterzeichnete internationale Verhaltenskodex für private Sicherheitsdienste (International Code of Conduct for Private Security Service Providers, ICoC) hat zum Ziel, konkrete Kontroll- und Überwachungsmechanismen zu schaffen.

All diese Initiativen sind Beispiele für Standards, die zur Stabilisierung in Ländern beitragen, in denen die Regierungen nicht bereit oder nicht fähig sind, angemessene Arbeits-, Gesundheits- und Sicherheitsstandards vorzugeben und ihre Einhaltung zu überwachen. Solche Rahmenvereinbarungen zielen nicht nur darauf ab, Zivilisten vor Menschenrechtsverstößen zu bewahren. Sie können auch den Unternehmen helfen, Mechanismen zur Selbstregulierung zu schaffen, die sie selbst vor den (häufig korrupten) Praktiken von Behörden in fragilen Staaten schützen.

Initiativen wie VPSHR und EITI geben zwar Impulse für die Entwicklung verbesserter Richtlinien, die sicherstellen, dass sich private Unternehmen in Konfliktgebieten verantwortungsvoller verhalten, aber ihre Umsetzung ist nach wie vor schwierig. Obwohl der Aspekt der „Freiwilligkeit" bei Verhaltenskodizes wichtig ist, um zur Teilnahme zu motivieren, ist es angesichts fehlender gesetzlicher Vorschriften und Überwachungsmöglichkeiten schwierig, Verstöße zu ahnden. Außerdem reicht es nicht aus, ausschließlich auf zivilgesellschaftliche Organisationen zu bauen, die als „Watchdogs" Firmen beobachten und Druck auf Unternehmen und Regierungen ausüben, um die Einhaltung bestimmter (oft normativer) Vorgaben zu fordern. Die Rolle anderer Akteure sowie die Entwicklung von Märkten und Vorschriften, die „gutes Verhalten" fördern, sind hier ausschlaggebend.

Wenn der Staat nicht bereit oder nicht in der Lage ist, bestimmte Dienstleistungen zu erbringen, und seine eigenen Gesetze nicht einhält, kann der Privatsektor dazu beitragen, diese Lücken zu schließen. Unternehmen können aber auch über rein wirtschaftliche Aktivitäten hinaus auf Friedensprozesse einwirken. In Mosambik zum Beispiel unterstützte der Geschäftsführer des Rohstoffkonzerns Lonrho die Konfliktparteien, indem er sie den Verhandlungen transportierte und ihnen damit die Teilnahme ermöglichte; er trat auch während der Gespräche als Vermittler, Moderator und Berater auf. Sein Engagement trug entscheidend dazu bei, dass es den Konfliktparteien gelang, eine Brücke zu bauen und den Prozess in Gang zu halten.

In Nepal zeigt sich am Aufkommen lokaler privater Geschäftsbanken, wie der Finanzsektor in einer Region nach einem Konflikt zur Konsolidierung des Friedens und zur Schaffung eines guten Geschäftsklimas beitragen kann - und das in einem Land, wo Banken und Finanzinstitutionen zu den Hauptangriffszielen der Aufständischen im Bürgerkrieg zählten. Mit seinem Beitrag zur Armutsbekämpfung, mit der Verbesserung der Finanzdienstleistungen und dem Angebot von Krediten für benachteiligte Bevölkerungsgruppen hat der Finanzsektor bewiesen, dass er das Potenzial zur Unterstützung des Friedensprozesses hat.

In Ruanda wurde der Tourismus zum Schlüsselsektor: Er treibt die wirtschaftliche Entwicklung voran, schafft Arbeitsplätze und fördert die gesellschaftspolitischen Grundlagen für Versöhnung und Gerechtigkeit. Die gemeinnützige Frauenorganisation Association de Solidarité des Femmes Rwandaises (ASOFERWA) zum Beispiel betreibt ein Gästehaus im Norden des Landes. Das Einkommen aus diesem Projekt verwendet sie für Förderprogramme für Frauen und Familien mit einem minderjährigen Haushaltsvorstand, die 1994 schwer unter dem Völkermord der Hutu-Mehrheit an der Minderheit der Tutsi gelitten haben. Damit aber der Tourismus noch stärker an der Friedensförderung beteiligt werden kann, sind weitere Forschungsarbeiten und Analysen nötig. Es muss untersucht werden, welche Akteure eine größere Rolle spielen könnten, welche Ansätze für das Engagement gewählt werden sollten, aber auch wie der Tourismus den Friedensprozess eventuell destabilisieren könnte.

Unternehmen haben demnach das Potenzial, sowohl zur Destabilisierung als auch zur Stabilisierung fragiler Staaten beizutragen. Internationale Verhaltenskodizes schaffen Standards, die den Repräsentanten vor Ort einerseits rechtlichen Rückhalt und andererseits praktische Anleitung geben. Spezifische Branchen und Unternehmen besitzen aber auch selbst das Potenzial, ihren Blick nach innen zu richten und zu prüfen, welche Rolle sie nicht nur bei der wirtschaftlichen Stabilisierung eines Landes, sondern auch im breiter angelegten Friedensprozess spielen können.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2010: Staatsaufbau - Alles nur Fassade?
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