„Die Strategie der Regierung ist nicht zu Ende gedacht“

Die äthiopische Regierung verfolgt ein ehrgeiziges Entwicklungsprogramm und hat in den vergangenen Jahren viele neue Universitäten gebaut. Die auf das ostafrikanische Land spezialisierte Ethnologin Sophia Thubauville ist skeptisch, ob die vielen Akademiker, die dort ausgebildet werden, überhaupt gebraucht werden. Die deutsche Beteiligung an dem Vorhaben ist ihrer Ansicht nach „nicht nachhaltig“.

Was macht den Hochschulsektor in Äthiopien interessant für ein Forschungsprojekt?
An der Universität Frankfurt gibt es seit März das Forschungsprojekt „Afrikas Asiatische Optionen“, AFRASO. Darin geht es um Beziehungen zwischen Afrika und Asien. Es soll aber nicht das übliche Bild entstehen, dass China in Afrika lediglich Rohstoffe ausbeutet. Auch andere asiatische Länder  und Möglichkeiten, die sich dabei für Afrika auftun, kommen in den Blick. Mir ist schon während früherer Äthiopienaufenthalte aufgefallen, dass im ganzen Land Universitäten wie Pilze aus dem Boden schießen, an denen vor allem Inder als Lehrpersonal beschäftigt sind. Ich will herausfinden, wohin das führt, welche Probleme damit verbunden sind und was es dem Land bringt.

Seit wann baut Äthiopien seinen Hochschulsektor aus?
Seit gut zehn Jahren. 1950 wurde in Addis Abeba die erste Universität gegründet. Die war lange Zeit die einzige Hochschule im Land. Nach dem Sturz der Mengistu-Diktatur 1991 wurde dann noch ein College in eine Uni umgewandelt – und seit dem Jahr 2000 hat sich die Zahl auf 31 erhöht.

Was bezweckt die Regierung damit?
Äthiopien hat ein enormes Wirtschaftswachstum und verändert seit einigen Jahren stark sein Image. Die Regierung will Grundlagen für eine starke Mittelschicht legen und Fachkräfte ausbilden für eine Industrie, die derzeit jedoch noch in den Kinderschuhen steckt.

Zielt die Strategie in die richtige Richtung?
Das kann man im Moment noch nicht genau sagen. Niemand weiß, ob die vielen neuen Universitäten in zehn Jahren überhaupt noch alle in Betrieb sein werden oder ob welche geschlossen werden und das Programm dann auf niedrigerem Niveau weiterläuft. Im Moment füllen die Absolventen der Hochschulen ja noch Lücken, die da waren. Es kann aber sein, dass das in ein paar Jahren ganz anders aussieht und dann hohe Arbeitslosigkeit unter Studienabgängern herrscht.

Sie haben sich drei Universitäten genauer angesehen. Wie ist die Stimmung dort? Welche Probleme gibt es?
Es gibt diesen Boom im Hochschulsektor, gleichzeitig werden die Schwerpunkte bei den Stu­dienabschlüssen neu gesetzt: Früher lag das Verhältnis bei etwa 70 Prozent geisteswissenschaftlichen und 30 Prozent technischen und naturwissenschaftlichen Abschlüssen. Das will die Regierung seit einigen Jahren umkehren: Sie orientiert sich an den Empfehlungen der UNESCO, nach denen Entwicklungsländer 60 Prozent technische und naturwissenschaftliche und  40 Prozent geisteswissenschaftliche Abschlüsse anstreben sollten. Den Hochschulsektor derart schnell ausbauen und gleichzeitig die Schwerpunkte so umdrehen – das ist eigentlich kaum zu schaffen.

Wie finden die Studenten das?
Natürlich nehmen die jungen Leute das Angebot, zu studieren, gerne an. Die Frage ist aber: Was machen sie danach? Die Bezahlung an den Hochschulen ist extrem schlecht, deshalb ist für viele eine akademische Laufbahn in Äthiopien keine Option. Ich habe mit mehreren Universitätspräsidenten darüber gesprochen, warum die Äthiopier so schlecht bezahlt werden, während die Regierung gleichzeitig so viele Akademiker aus dem Ausland holt, die ein Mehrfaches verdienen. Die Antwort: Wenn man Uniangestellte besser bezahlte, dann müsste man auch die Gehälter anderer Staatsangestellter erhöhen. Und das kann sich der Staat nicht leisten. Die Folge ist, dass die besten Leute die Unis verlassen.

Was machen die jungen Akademiker?
Ethnologen zum Beispiel sind gefragte Leute bei den vielen Hilfsorganisationen in Äthiopien, wo sie viel mehr Geld verdienen können als an der Universität. Außerdem gehen viele Fachkräfte ins Ausland. Viele Akademiker, die im Ausland auf Kosten des äthiopischen Staates studieren oder promovieren, kehren nicht wieder zurück. Neun von zehn Studenten, die in die USA gehen, bleiben dort. Am agrarwissenschaftlichen College der Universität Haramaya im Osten des Landes, einer alten Hochschule, an der ich eine Weile geforscht habe, sind alle Dozenten emeritierte Professoren aus Indien. Das College gibt es seit 1954, aber offenbar ist es seitdem nicht gelungen, eigenes Lehrpersonal auszubilden und im Land zu halten. Es wird nicht in die Leute investiert, die künftig in Äthiopien Studenten ausbilden könnten. Das ist ein großer Fehler.

Sorgt das an den Unis für Unmut, dass die Lehre fest in der Hand von Indern ist?
Jeder weiß, warum die Inder da sind und dass sie gebraucht werden. Für Unmut sorgt allerdings die große Kluft zwischen den Gehältern. Ein junger Inder, der gerade einmal seinen Master of Technology gemacht hat, verdient mehr als der Unipräsident, der ihn anstellt.

Wie sehen die Inder das?
Für die meisten ist das erste Ziel, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel Geld zu sparen. Die meisten haben Kontakte vor allem zu Arbeitskollegen an der Universität und sind ansonsten eher isoliert. Die Inder, mit denen ich gesprochen habe, haben gesagt, für sie sei es ein gutes Gefühl, dass sie in Äthiopien gebraucht würden und etwas bewegen könnten. Gerade einige ältere, in Indien bereits emeritierte Professoren haben mit viel Engagement Magister- oder Doktorprogramme aufgebaut, was in Äthiopien wirklich eine Herausforderung ist.

Der Hochschulboom bietet also Indern die Gelegenheit, etwas aufzubauen, aber die äthiopischen Akademiker, um die es eigentlich gehen sollte, bleiben außen vor?
Naja, was heißt, sie bleiben außen vor? Die Äthiopier, die etwas aufbauen könnten, gehen weg. Es gab vor einigen Jahren einen Aufruf an äthiopische Akademiker im Ausland, nach Hause zu kommen und am Aufbau der Hochschulen mitzuarbeiten. An die drei Unis, an denen ich geforscht habe, ist keiner zurückgekommen. Die Gehälter und die nicht vorhandene Infrastruktur für Forschung sind dabei sicher die Hauptgründe. Das Problem ist auch, dass die Städte, in denen diese Unis liegen, eher unattraktive Standorte sind für Akademiker, die schon einmal eine Zeit im Ausland waren. Sie bieten zum Beispiel kaum Bildungsmöglichkeiten für die Kinder von Akademikern und nur schlechte Gesundheitsdienste. Auch in dieser Hinsicht ist die Strategie der Regierung nicht zu Ende gedacht.

Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang das deutsch-äthiopische Programm zum Ausbau des Hochschulsektors?
An den Unis, an deren Aufbau die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) beteiligt ist, hängt am Eingang ein entsprechendes Schild, auf dem das mit GIZ-Logo verkündet wird. Ich finde es enttäuschend, wenn man dann feststellt, dass die Gebäude bereits nach fünf Jahren teilweise ziemlich heruntergekommen aussehen und nicht nur die Infrastruktur, sondern auch die Qualität der Lehre sehr zu wünschen übrig lässt. Deutschland hat 2012 neue Mittel bewilligt, und ich frage mich, ob das sinnvoll ist. Mich wundert ein wenig, dass die Unterstützung einfach so weiterläuft. In Deutschland wird doch immer über Nachhaltigkeit gesprochen. Es ist offensichtlich, dass dieses Programm nicht nachhaltig ist.

Das Gespräch führte Tillmann Elliesen

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erschienen in Ausgabe 10 / 2013: Landrechte: Auf unsicherem Boden
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