Keine Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft

Von Tillmann Elliesen

Die Deutschen werden den Juden Auschwitz nie verzeihen." Wie sehr diese Bemerkung des israelischen Psychoanalytikers Zvi Rex zutrifft, zeigt sich immer dann, wenn hierzulande die Politik Israels mit Begriffen kommentiert wird, die an das Dritte Reich erinnern sollen - wenn also zum Beispiel vom „Vernichtungskrieg" gegen die Palästinenser die Rede ist oder vom „Ghetto Gaza". Zwischen einem Drittel und der Hälfte der Deutschen ist laut Umfragen der Meinung, Israel mache heute mit den Palästinensern im Prinzip dasselbe wie die Nazis mit den Juden. Für jemanden, der zum Volk der einstigen Täter gehört, kann es offenbar befreiend sein, den Nachfahren der Opfer vorzuhalten, sie selbst seien ja auch nicht besser.

Israels Politik zu kritisieren ist eine Sache. Aber wer den Juden in Israel vorhält, sie seien genauso schlimm wie die Mörder ihrer Vorfahren, der will nicht bloß kritisieren, so wie man andere Staaten kritisiert. Der Nazi-Vergleich verknüpft bewusst die Frage nach der Legitimität israelischer Politik mit der Erfahrung des Holocaust. Er enthält die unterschwellige Mahnung, die Juden müssten aufpassen, dass sie mit ihrer Politik gegenüber den Palästinensern ihren moralischen Anspruch auf einen eigenen Staat nicht verspielen.

Für die Debatte über den Nahostkonflikt ist das fatal. Denn Israel verdankt seine Legitimität nicht dem Holocaust, sondern der Tatsache, dass es seit 61 Jahren völkerrechtlich anerkannt ist. Der Staat Israel ist - dort, wo er heute liegt - nicht weniger legitim als Island, Italien, Uganda oder Uruguay. Jerusalem unterhält diplomatische Beziehungen zu 160 Ländern. Genau das will die Hamas nicht wahrhaben. Es ist deshalb durchaus nachvollziehbar, dass die israelische Regierung nicht mit ihr verhandeln will.

Israel hat ein Recht auf Anerkennung. Es hat aber auch die Pflicht, sich verantwortlich zu verhalten. Das tut es leider oft nicht - und schadet damit sowohl den Palästinensern als auch sich selbst. Das gilt beispielsweise für den Gaza-Krieg im Januar, in dem die israelische Armee offenbar rücksichtslos Zivilisten getötet oder ihr Eigentum zerstört hat, wie aus einem Bericht mit Aussagen beteiligter Soldaten hervorgeht.

Das gilt aber vor allem für Israels Politik im Westjor­danland: Der Ausbau von jüdischen Siedlungen, die Zerstörung von palästinensischen Häusern und Feldern sowie demütigende Kontrollen an Checkpoints rauben den Palästinensern jede Hoffnung auf ein besseres Leben. Ja, die Grenzmauer, die Jerusalem seit sechs Jahren zwischen der Westbank und dem israelischen Kernland bauen lässt, sowie andere Sicherheitsvorkehrungen haben zu einem deutlichen Rückgang der Attentate in Israel beigetragen. Aber die Aussicht auf Frieden mit den Palästinensern haben sie nicht verbessert. Wenn Israel ernsthaft mit einem Rückzug von der Westbank begänne und es zuließe, dass die Palästinenser dort und in Gaza ein selbstbestimmtes Leben führen können, also frei von Schikanen der Besatzer ihrer Arbeit nachgehen und ihre Familien versorgen können, dann würde das die Lage in Nahost schlagartig ändern.

Doch dazu wird es in absehbarer Zeit nicht kommen. Denn so wie bei den Palästinensern bestimmt auch in Israel eine starke Fraktion der „Verweigerer" die Politik, die die Ansprüche der anderen Seite nicht akzeptiert und letztlich das ganze Land zwischen Mittelmeer und Jordanfluss für sich reklamiert. Der in Deutschland und Israel lehrende Historiker Dan Diner nennt das die „Dialektik der Nichtanerkennung", die bislang eine Lösung des Nahostkonflikts vereitelt hat.

Die Verweigerer in Israel berufen sich zur Verteidigung der Siedlungspolitik auf die, so Diner, „für fast alle jüdischen Israeli verbindliche" biblische Rechtfertigung ihres Staates. Die Hamas und ihre Anhänger wiederum können an der unter den Palästinensern unstrittigen Forderung nach Wiedergutmachung der Vertreibung von 1948 anknüpfen. Hinter der verbirgt sich nämlich auch die heimliche Sehnsucht nach einer Wiederherstellung des Status quo vor der Staatsgründung Israels. Solange die reaktionären Kräfte auf beiden Seiten Ideologien ausschlachten können, die das Heil in der Vergangenheit sehen und nicht in einer wie auch immer organisierten gemeinsamen Zukunft, so lange wird es im Nahen Osten keinen Frieden geben.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei welt-sichten

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erschienen in Ausgabe 4 / 2009: Alte Menschen: Zu wenig geachtet
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