Mehr Schweine, weniger Bauern

In China boomt die Produktion von Schweinefleisch: Die Hälfte aller Schweine weltweit wird dort aufgezogen und verzehrt. Das geht nur mit riesigen Futtermittelimporten. Und auf Umwelt- und Gesundheitsrisiken wird kaum Rücksicht genommen.

Seit Jahrtausenden essen die Chinesen Schweinefleisch, um ihren Eiweißbedarf zu decken. Doch erst seit den Reformen von Deng Xiaoping, mit denen die Kollektivfarmen aufgelöst und die Agrarmärkte liberalisiert wurden, fällt die chinesische Schweinefleischherstellung auch global ins Gewicht. Chinesische Schweine und ihr Futter sind ein großes Geschäft geworden.

Zurzeit wird weltweit jedes zweite Schwein in China aufgezogen und gegessen. Für 2014 rechnet man mit 723 Millionen Schweinen; 54,7 Millionen Tonnen Fleisch sollen erzeugt werden. Schon im vergangenen Jahr produzierte die Volksrepublik doppelt so viel Schweinefleisch wie alle 27 EU-Länder zusammen und fünf Mal so viel wie die USA. Laut einer Prognose der UN-Ernährungs-und Landwirtschaftsorganisation (FAO) und der OECD von 2013 wird China 2022 jährlich 93 Millionen Tonnen Fleisch produzieren.

Autoren

Shefali Sharma

leitet das Programm zu Agrargütern und Globalisierung am Institut für Landwirtschaft und Handelspolitik (IATP) in Washington DC.

Mindi Schneider

ist Agronomin und forscht an der Fakultät für Soziologie der Johns-Hopkins-Universität.

Der Pro-Kopf-Konsum von Fleisch liegt in den Industrieländern allerdings noch wesentlich höher als in China. So wurden 2009 in den USA, Australien und Neuseeland pro Person etwa 120 Kilogramm Rind-, Schweine- und Geflügelfleisch verbraucht, in Westeuropa 85 Kilogramm. Die Chinesen begnügten sich mit 59 Kilogramm. Doch der Abstand wird immer geringer, und man nimmt an, dass China beim Verzehr von Schweinefleisch 2022 über dem Durchschnitt der 34 OECD-Länder liegen wird.

Die Chinesen produzieren fast das gesamte Schweinefleisch, das sie essen, selbst. Die Importe, so gering ihr Anteil für China ist, stellen jedoch auf dem Weltmarkt gewaltige Mengen dar. Von 2000 bis 2006 führten China und Hongkong gemeinsam zwischen 500.000 und 600.000 Tonnen Schweinefleisch ein – das waren gerade einmal ein Prozent des Verbrauchs. Deutschland exportiert am meisten Schweinefleisch nach China, in der ersten Hälfte des Jahres 2013 hat es die USA überholt: Der Marktanteil der USA sank auf 18 Prozent, der deutsche stieg auf 23 Prozent.

Deutschland ist offenbar im Vorteil, weil es ractopaminfreies Schweinefleisch zu günstigeren Preisen liefern kann. Ractopamin, ursprünglich ein Asthmamittel, darf in 26 Ländern einschließlich der EU und China nicht in der Tiermast verwendet werden. Die Schweinezüchter in den USA und anderen Ländern setzen es jedoch ein, weil die Tiere dann schnell Muskelmasse zulegen und „magereres“ Fleisch liefern. Allerdings beschleunigt das Mittel auch die Herzfrequenz und macht die Tiere anfälliger für Stress.

Die Politik begünstigt die industrielle Tierhaltung

Lange Zeit haben ausschließlich Kleinbauern China mit Schweinefleisch versorgt. Noch 1965 produzierten Bauern, die etwa einen halben Morgen Land bebauten und auf ihrem Hinterhof neben anderen Nutztieren weniger als fünf Schweine pro Jahr aufzogen, mindestens 95 Prozent des gesamten Schweinefleischs, das im Land verzehrt wurde. Doch die Zahl der Kleinbauern und ihr Anteil an der Produktion sind gesunken. Die Politik und die Investitionen des Staates begünstigen die industrielle Tierhaltung. Allein im Jahr 2008 ging die Zahl der ländlichen Haushalte, in denen Schweine gehalten wurden, um die Hälfte zurück.

Die Experten sind uneins, wie man die Struktur der Schweinemast in China beschreiben soll, denn die Bandbreite der Betriebe ist groß: Kleinbauern haben weniger als zehn Schweine, große Betriebe ziehen häufig 100.000 Tiere pro Jahr auf und verarbeiten sie. Dazwischen liegen die sogenannten spezialisierten Haushaltsbetriebe, die nicht für den eigenen Verbrauch, sondern für den Verkauf produzieren. Sie können von einer Familie, einem kleinen Unternehmen oder von mehreren Kleinbauern geführt werden, die sich zusammengeschlossen haben. Manche von ihnen stehen bei größeren Firmen unter Vertrag; andere verkaufen ihre Ferkel und Mastschweine vor Ort an Händler, die sie dann an Firmen weiterverkaufen, die die Schlachtung, Verarbeitung und Vermarktung übernehmen.

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Die Regierung unterstützt die kleinbäuerliche Fleischproduktion hauptsächlich mit Investitionen in die Infrastruktur, aber auch mit Subventionen. Darüber hinaus fördert sie stark die industriellen Schweinefarmen. Sie übernehmen die Aufzucht, das Mästen und das Schlachten, und sie verarbeiten und vermarkten das Fleisch. Manche spezialisieren sich auf einen bestimmten Abschnitt des Produktionszyklus wie die Aufzucht der Ferkel, andere sind in der gesamten Produktionskette tätig, wieder andere organisieren Vertragsbeziehungen zwischen Schweinefarmen und den Unternehmen, die das Fleisch produzieren und vermarkten. Pro Farm werden in der Regel zwischen 500 und 50.000 Schweine pro Jahr aufgezogen, die Tendenz ist steigend.

Immer mehr Farmen können entweder mit Hilfe ihrer Vertragspartner oder in einer einzigen Anlage innerhalb eines Jahres Hunderttausende Schweine aufziehen. So verarbeitet etwa die Firma Wen pro Jahr sieben Millionen Schweine. COFCO, das größte chinesische Unternehmen in der Getreidebranche, will auch zum größten Lieferanten von Schweinefleisch werden. Dieser breit aufgestellte staatliche Konzern plant, bis 2015 jährlich zehn bis 15 Millionen Schweine zu produzieren und 570 Millionen US-Dollar in Schachthöfe zu investieren, damit er seine Tiere auch selbst verarbeiten kann.

Für diese Mengen Fleischmast sind große Mengen Getreide als Schweinefutter nötig, darunter  Sojabohnen. In China wurden vor Tausenden Jahren zuerst Sojabohnen angebaut, aber traditionell nicht an Tiere verfüttert. Die Nutztiere grasten im Freien oder fraßen Haushaltsabfälle, außerdem bekamen sie Heu und Mais. In den 1990er Jahren beschloss die Regierung jedoch, den Import von Soja freizugeben, um die Viehhaltung stark auszuweiten und zu industrialisieren. Zunächst wurde Sojaschrot eingeführt, aber das schädigte die heimische Sojaindustrie und das Land kehrte zum Import von ganzen Sojabohnen zurück.

2001 trat China der Welthandelsorganisation WTO bei und ging mit den USA und Brasilien bilaterale Handelsabkommen ein. In der Folge wurden die Einfuhrzölle für Sojabohnen und Sojaschrot stark gesenkt. Die Regierung begann klar zu unterscheiden zwischen der einheimischen Produktion von Grundnahrungsmitteln wie Reis, Weizen und Mais, die es vor Importen zu schützen galt, und der liberalisierten Einfuhr von Soja für die Viehhaltung. Sie genehmigte sogar den Import von gentechnisch verändertem Soja, obwohl genmodifizierte Produkte für den unmittelbaren menschlichen Verzehr in China nicht zugelassen sind.

Die Industrie hat ständig Probleme mit der Lebensmittelsicherheit

Seit Mitte der 1990er Jahre haben die Sojaimporte, die fast ausschließlich der Herstellung von Futtermitteln und Speiseöl dienen, stetig zugenommen. Seit 1996 importiert China mehr Soja, als es exportiert; 2005 kaufte es bereits die Hälfte der gesamten Sojaernte weltweit. 2011 und 2012 waren die Importe auf fast 60 Millionen Tonnen gestiegen, während die EU, die bei der Sojaeinfuhr an zweiter Stelle steht, nur knapp zwölf Millionen Tonnen abnahm. 2011 und 2012 kamen 84 Prozent der Sojaimporte Chinas aus Brasilien und den USA. Jetzt steht China auch kurz davor, seinen Bedarf an Mais für industrielle Zwecke und als Futtermittel nicht mehr selbst decken zu können. Das Landwirtschaftsministerium betont zwar, China wolle von Maisimporten unabhängig bleiben. Doch dem stehen die große Nachfrage der Fleischproduzenten und die schlechten ökologischen Voraussetzungen für den Maisanbau im Wege.

Der starke Anstieg der Fleischproduktion und des Verzehrs haben Folgen. Die fleischerzeugende Industrie hat ständig Probleme mit der Lebensmittelsicherheit. 2006 wurde der Schweinebestand durch einen Ausbruch der Viruserkrankung PRRS dezimiert, und die Preise für Schweinefleisch stiegen. Häufig werden verbotene Futtermittelzusätze wie Clenbuterol eingesetzt. Die chinesischen Behörden versuchen, Lebensmittelskandale durch strenges Durchgreifen zu verhindern. Sie sind überzeugt, dass ihnen mit Hilfe einer weiteren Industrialisierung der Fleischerzeugung begegnet werden kann.

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Vor einigen Monaten trieben Tausende Schweinekadaver im Huangpu-Fluss bei Schanghai. Die Behörden hatten Razzien durchgeführt, um die gesetzwidrige Verwendung verendeter Schweine für die Füllung von Teigtaschen aufzudecken. Und die Firmen hatten die Schweinekadaver in den Fluss geworfen, um einer Bestrafung zu entgehen – das war paradoxerweise ein Ergebnis besserer Lebensmittelüberwachung.

Die Fleischproduktion bringt auch große Umweltprobleme mit sich. Laut einer chinesischen Studie hat sich die Produktion von Mais für Viehfutter zwischen 1998 und 2003 von den traditionellen Anbaugebieten in Zentral-, Süd- und Ostchina in den Norden und Nordosten des Landes verlagert. Dazu haben die Abwanderung in die Städte, die Knappheit günstiger Anbauflächen und die Landwirtschaftspolitik der Regierung beigetragen. Der intensive Anbau führt zu Wassermangel und einer Versalzung der Böden. Das ist für den Norden prekär, weil es dort ohnehin wenig Wasser gibt. So sind die Grundwasserspiegel im Nordchinesischen Tiefland von 2000 bis 2006 um über 60 Prozent gesunken.

Die Ausweitung und Intensivierung der Nutztierhaltung verschmutzt auch Böden und Gewässer. Sie ist laut Informationen aus dem chinesischen Umweltministerium von 2010 für ein Viertel der Ammoniumbelastung in Flüssen und Seen verantwortlich – das ist drei Mal so viel wie die Industrie. Gemeinsam mit dem Bergbau und der Industrie, die Schwermetalle und andere Schadstoffe freisetzen, bedroht die Fleischproduktion die Gesundheit der Böden und gefährdet damit die Landwirtschaft und den Anbau von Getreide als Nahrungsmittel. Die Behörden haben die Ergebnisse einer flächendeckenden Untersuchung der chinesischen Böden, die 2010 abgeschlossen wurde, noch nicht veröffentlicht. Man vermutet, die Ergebnisse seien so beunruhigend, dass die Regierung sie erst bekannt geben will, wenn sie mit überzeugenden Gegenmaßnahmen aufwarten kann.

Der zunehmende Fleischkonsum hat auch gesellschaftspolitische Folgen. Er beschränkt sich weitgehend auf die Städte, denn die auf Wachstumsförderung ausgerichtete chinesische Wirtschaftspolitik vergrößert die Ungleichheit zwischen den Stadtbewohnern und der ländlichen Bevölkerung. Während die Angehörigen der städtischen Ober- und Mittelschicht tendenziell zu viel Fleisch essen, bekommen die Menschen auf dem Land sehr viel weniger ab.

Zudem werden Kleinproduzenten entweder ganz vom Markt verdrängt oder von den großen Konzernen abhängig. Verträge mit großen Firmen bedeuten aber für Kleinbauern hohe Kosten – etwa wegen sehr hoher Marktstandards, einem Mangel an Arbeitskräften und der Verschlechterung der Boden- und Wasserqualität. Zudem nehmen die Fleischkonzerne lieber größere Farmen unter Vertrag. Nach Vertragsabschluss diktieren sie ihre Bedingungen und die Preise. Kleinbauern verlieren an Verhandlungsmacht, müssen aber ihre Tiere über große Firmen vermarkten, wenn andere Absatzwege nicht mehr gangbar sind. Sie tragen in Vertragsbeziehungen den größten Teil des Risikos wenn die Preise sinken.

Chinas Fleischproduktion ist zunehmend globalisiert

Wie viel Schweinefleisch China in den kommenden Jahrzehnten einführen wird, hängt von mehreren Faktoren ab. Tierseuchen, die Entwicklung der Futtermittelpreise, die Nachfrage nach anderen Fleischsorten, Eingriffe der chinesischen Regierung in die Märkte und makroökonomische Faktoren wie Währungsschwankungen spielen eine wichtige Rolle. Ebenfalls auswirken werden sich der wachsende wirtschaftliche Einfluss der chinesischen Schweinefleischerzeuger, internationale Firmenzusammenschlüsse und vermehrte ausländische Investitionen in die Viehhaltung in China.

Im vergangenen Juni machte die größte chinesische Fleischverarbeitungsfirma Shineway (Shuanghui) weltweit Schlagzeilen, als sie ihre Absicht bekanntgab, Smithfield, den größten amerikanischen Schweinefleischkonzern, aufzukaufen und damit in die Reihe der internationalen Marktriesen aufzurücken. Shineway ist ein privates Unternehmen, seine Entscheidungen werden nicht von der chinesischen Regierung diktiert. Doch die Übernahme von Smithfield zeigt, in welche Richtung sich die chinesische Fleischbranche entwickelt. Sie wird im kommenden Jahrzehnt auch das Verhalten der chinesischen Politiker und Konsumenten beeinflussen.

Und sie ist ein Zeichen dafür, dass die industrielle Fleischproduktion Chinas zunehmend globalisiert ist. Sie ist in Bezug auf Technologie und Zuchtmaterial sowie durch ihre Fleisch- und Futtermittelimporte mit transnationalen Großunternehmen in Europa, den USA und Lateinamerika verbunden. Weltweit schreitet offenbar die Konzentration der Nutztierhaltung voran. Die Macht und der Aktionsradius der transnationalen Konzerne und Investoren – chinesischer und anderer – in der Produktionskette von Fleisch wachsen. Dies ermöglicht es China, immer mehr Fleisch zu erzeugen und zu verbrauchen.

Aus dem Englischen von Anna Latz

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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