Fleischexport in Äthiopien: Hirten als Devisenbringer

Die Regierung Äthiopiens will die Fleisch­erzeugung und die Einnahmen aus dem Viehexport steigern. Unterstützung für nomadische Hirten trägt zum Erfolg dieser Strategie bei. Doch bald könnte sie die Böden und die Wasservorräte überstrapazieren.

Die größten Nutzviehbestände Afrikas weiden in Äthiopien, und das Land produziert und exportiert die größte Menge Vieh (vornehmlich in den Nahen Osten). Wie viele Entwicklungsländer strebt Äthiopien an, seinen Viehsektor auszuweiten und zu industrialisieren, um in der globalen Agrarwirtschaft mithalten zu können – und auch um den wachsenden Fleischhunger im Inland zu stillen.

Einkommenssteigerungen und die zunehmende Verstädterung sind nach Angaben der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) Ursachen für den wachsenden Fleischkonsum. Der Fleischverbrauch in Äthiopien stieg zwischen 2010 und 2013 von sechs auf neun Kilogramm pro Kopf. Auch wenn das weniger als ein Zehntel des Durchschnittverbrauchs in den USA ist, zeigt sich hier ein Trend: Äthiopier essen mehr Fleisch. Am beliebtesten ist Rindfleisch (zwei Drittel des Verbrauchs), gefolgt von Schaf- und Ziegenfleisch. Ganz unten auf der Beliebtheitsskala stehen Schweine- und Kamelfleisch. Laut dem äthiopischen Wirtschaftsverband geben Haushalte im Durchschnitt zehn Prozent ihres Lebensmittelbudgets für Fleisch aus.

Autor

Matthew Newsome

ist freier Journalist mit Sitz in Äthiopien.

Die äthiopische Regierung hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt, um den Wohlstand im Land zu fördern. Damit wird unweigerlich der Fleischbedarf steigen. Das könnte eine gute Nachricht sein für die 85 Prozent der Äthiopier, die von der Landwirtschaft leben. Der Großteil der auf 90 Millionen Menschen geschätzten Bevölkerung lebt derzeit von weniger als zwei US-Dollar am Tag und hängt mehr oder weniger stark von der Viehhaltung ab. Wie schon ihre Vorfahren züchten viele Äthiopier Nutztiere. Auch wenn die traditionelle Weidewirtschaft noch vorherrscht, kaufen angesichts des immer lukrativeren Marktes Bauern auch schon Getreide, um es neben Ernteabfällen an die Tiere zu verfüttern.

Die Fleischprodutkion ist in ganz Afrika in den vergangenen zehn Jahren um 28 Prozent gestiegen. In Äthiopien aber hat die Fleischerzeugung in nur drei Jahren um 58 Prozent zugenommen: von 509.000 Tonnen im Jahr 2010 auf 807.000 Tonnen im Jahr 2012. Der Viehsektor trägt ein Fünftel zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) bei – die Hälfte des äthiopischen BIP stammt aus der Landwirtschaft, und 90 Prozent davon erzeugen Kleinbauern. Auch wenn Äthiopien der größte Kaffee-Exporteur in Afrika ist – dieser Export ist eine unverzichtbare Devisenquelle für das Land –, sieht die Regierung in den Nutzviehbeständen die größte ungenutzte Ressource für mehr Wohlstand, Armutsbekämpfung und Arbeitsplätze.

Qualitätskriterien aller Abnehmer werden eingehalten

Die Bedeutung des äthiopischen Fleischexports als Quelle des Wohlstands lässt sich mit Zahlen untermauern. Der Fleischexport brachte Äthiopien 1998 achtzehn Millionen US-Dollar ein, 2012 bereits 74 Millionen US-Dollar. Der Großteil der Fleischexporte ist Schaf- und Ziegenfleisch und geht in die Vereinigten Arabischen Emirate und nach Saudi-Arabien. Im Fastenmonat Ramadan können die Exporte in den Nahen Osten schon einmal um 20 Prozent nach oben schnellen. Westafrikanische Länder wie Angola und die Komoren sind die Hauptziele für den äthiopischen Rindfleischexport, während Innereien vorrangig in die Türkei, nach Vietnam und Saudi-Arabien geliefert werden. Die steigende Fleischnachfrage in Asien ließ Hongkong 2012 zu Äthiopiens drittgrößtem Abnehmer werden.

Äthiopien führt zurzeit wegen der hohen Kosten kein Tiefkühlfleisch aus. Stattdessen wird das Fleisch in den Schlachthöfen bei vier Grad Celsius in Kühlcontainer verpackt und geht dann per Luftfracht an den Bestimmungsort. Die Fleischexporteure hatten bereits mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen – darunter einem zeitweiligen Einfuhrverbot für äthiopische Fleischprodukte in Saudi-Arabien, Ägypten und den Vereinigten Arabischen Emiraten zwischen 2007 und 2010, weil Pannen bei der Qualitätskontrolle aufgetreten und die Maul- und Klauenseuche in Ägypten ausgebrochen waren. Seitdem haben es die äthiopischen Schlachthöfe geschafft, die Qualitätskriterien aller Abnehmerländer einzuhalten.

Nach Angaben des Landwirtschaftsministers plant Äthiopien im nächsten Jahrzehnt den Vorstoß auf den europäischen Markt. Außerdem hat das Land Ambitionen, der führende Fleischexporteur in den Nahen Osten und in afrikanische Länder zu werden. Das Ziel sind jährliche Einkünfte von einer Milliarde US-Dollar aus der Fleischausfuhr. Im Rahmen ihrer Pläne zur Modernisierung der Branche wirbt die Regierung um einheimische und ausländische Investoren. Ein saudisches Unternehmen, Saudi Cargo, wird Ende 2013 beginnen, Fleisch aus Äthiopien nach Europa zu liefern. Saudi Cargo hat vor fünf Jahren den Transport von Fleisch aus Äthiopien in den Nahen Osten aufgenommen und will jetzt expandieren, erklärt Kassahun Kenna, ein Vertriebsleiter der Firma.

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Interessanterweise erwirtschaftet Äthiopien noch mehr mit der Ausfuhr lebender Tiere als mit dem Export von Fleisch. 2012 betrug der Erlös aus dem Export von 785 Millionen Nutztieren 207 Millionen US-Dollar. Dieser Sektor wird allerdings vom Schwarzmarkt dominiert. Der Schmuggel von äthiopischem Vieh über die Grenzen nach Sudan, Kenia, Somalia und Dschibuti und weiter in die Länder des Nahen Ostens ist lukrativ. Der informelle Viehhandel ist vermutlich nach Volumen vier- bis sechsmal so groß wie die formellen Exporte, der Erlös ist etwa zweimal so hoch.

Die weltweite Produktionssteigerung bei Fleisch, Eiern und Milchprodukten verdankt sich überwiegend der intensiven Massentierhaltung. In Äthiopien werden die meisten Nutztiere noch von Kleinbauern und umherziehenden Hirten gehalten, stammen also nicht aus modernen kommerziellen Betrieben. Jedoch ist die industrielle Viehwirtschaft auch in Äthiopien auf dem Vormarsch: In Regionen mit Zugang zu größeren Märkten – darunter den Städten nahe der Hauptstadt Addis Abeba – wird Vieh in fabrikähnlichen Mastbetrieben mit im Inland angebautem Getreide gefüttert.

Die Viehhirten, die in Äthiopien fünfzehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen, ziehen mit ihren Rindern, Schafen und Ziegen von Ort zu Ort und suchen im Wechsel der Jahreszeiten Weiden und Wasser. Die Nomaden waren in der Vergangenheit wegen ihres „rückständigen“ Lebensstils vielen Vorurteilen ausgesetzt. Das hat sich in den letzten zehn Jahren geändert, weil die Viehhirten aus dem nördlichen Äthiopien (Afar), aus dem Osten des Landes (Region der Somali) und aus Zentraläthiopien (Oromia) eine immer wichtigere Rolle bei der Lieferung von Fleisch für den Export spielen.

Das hat die Regierung veranlasst, viel in die Weidewirtschaft zu investieren, um sie angesichts wiederkehrender Dürren und der Folgen des Klimawandels widerstandsfähiger und verlässlicher zu machen. In allen äthiopischen Bezirken wurden Futter, Wasser und Veterinärdienste bereitgestellt. Heutzutage sind Nomaden, die auf ihren von der Regierung zur Verfügung gestellten Handys die neuesten Nutztierpreise herunterladen, kein ungewöhnlicher Anblick.Dass sie mittels Telekommunikation Zugang zu den neuesten Marktdaten haben, erlaubt den Viehhirten, mehr vom Nutzviehsektor zu profitieren und ihre Ausgrenzung zu überwinden. „Dem Anschein nach praktizieren sie einen archaischen und überholten Lebensstil, aber sie sind ganz in größere, globale Prozesse eingebunden“, stellt das Internationale Institut für Umwelt und Entwicklung (IIED) fest. Seine Forschung belegt, dass nomadische Hirten in Äthiopien gegenüber Dürreperioden widerstandsfähiger sind als sesshafte Bauern und dass sie pro Hektar mehr und hochwertigeres Fleisch erzeugen. Denn sie sind erfahren darin, unberechenbare und wasserarme Gegenden zu umgehen und Weiden und Wasserstellen zu finden.

„Die Produktivität der umherziehenden Viehhirten ist in den letzten fünf Jahren dank der Unterstützungsdienste gestiegen. Das hat im Gegenzug geholfen, das Fleischangebot für den Export zu steigern“, sagt Taddesse Sorri aus dem Landwirtschaftsministerium. Die Dürre am Horn von Afrika in den Jahren 2010 und 2011 führte zu einem Rückgang der Fleischproduktion – und zu einem Preisanstieg. Das Wohlergehen der Viehhirten und ihrer Tiere ist entscheidend für die Fleischwirtschaft des Landes, erklärt Tesfalidet Hagos, der Geschäftsführer des Fleischexportunternehmens Luna Export PLC. „Es ist im wohlverstandenen Interesse des Marktes, sich um die Nomaden zu kümmern, denn sie spielen eine unverzichtbare Rolle für die Lieferung von Vieh. Geht es den Nomaden schlecht, leidet Äthiopiens Wohlstand“, erläutert er.

Bauern spüren die Folgen des Klimawandels

Die Industrialisierung der Viehzucht in Äthiopien mit dem Ziel, den steigenden Fleischbedarf im In- und Ausland zu decken, erfordert große Mengen an Land, Wasser und Futtergetreide. Die Verfügbarkeit ist schon heute anfällig für drastische Klimaveränderungen, Bodenerosion und Trockenheit: eine wachsende Nachfrage nach Fleisch wird die Lage voraussichtlich verschärfen. Nach Angaben der Denkfabrik Brighter Green mit Sitz in New York ist Äthiopien weltweit eines der Länder mit der stärksten Bodenerosion aufgrund von Überweidung; weite Teile des Landes sind davon betroffen. Heute werden 25 Prozent des Bodens in Äthiopien für den Ackerbau genutzt, während mehr als 60 Prozent der Gesamtfläche für nomadische Weidewirtschaft dient.

Steigende Temperaturen werden zu Mangel an Gras und Wasser und zu unregelmäßigen Regenfällen führen. Das International Livestock Research Institute in Äthiopien warnt vor den schlimmen Folgen des Klimawandels für Viehhalter: Die Ernte- und Bodenproduktivität würden sinken und das Tierfutter in Qualität und Menge abnehmen.

Die Mehrzahl der äthiopischen Bauern betreibt Subsistenzwirtschaft und ist auf regelmäßige Niederschläge für ihr Ackerland und ihre Weiden angewiesen. Ketsela Negassu, ein kleiner Viehbauer, spürt wie viele Millionen äthiopischer Bauern die Folgen des Klimawandels: „Früher konnte ich eine Herde mit 80 Rindern halten. Aber wegen der schlechten Regenfälle reicht es jetzt nur noch für zwanzig Tiere“, sagt er. Fachleute empfehlen äthiopischen Bauern, anstelle von Rindern lieber kleinere Nutztiere wie Ziegen und Schafe zu halten, die leichter zu versorgen sind.

Vor dem Hintergrund zunehmender Klimakapriolen infolge des Treibhauseffekts ist es fraglich, ob Äthiopien es schafft, die Nutzviehhaltung dauerhaft zu intensivieren; das soll seine neue, moderne Ökonomie anregen, die zunehmende Nachfrage nach einheimischen Fleischprodukten befriedigen und den Hunger bekämpfen. Ernährungsunsicherheit ist noch immer ein Hauptproblem für Äthiopien, dessen Bevölkerung so schnell wächst wie kaum sonst irgendwo auf der Welt. Laut dem Welternährungsprogramm (WFP) leiden derzeit zwei von fünf Kindern in Äthiopien an Kleinwuchs infolge von Mangelernährung, und fast jeder zehnte Äthiopier ist von internationaler Lebensmittelhilfe abhängig. Würde es Äthiopien gelingen, seine wachsende Bevölkerung zu ernähren und gleichzeitig seine Wirtschaft mittels Modernisierung der Landwirtschaft zu entwickeln, wäre das ein großer Erfolg.

Aus dem Englischen von Barbara Kochhan

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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