Insekten essen: Die Menschen beißen zurück

Ungeziefer oder Delikatesse? Viele Fachleute sind überzeugt, dass Insekten einen wichtigen Beitrag zur Ernährungs­sicherung leisten könnten. Andere sind skeptisch: Wir wissen einfach noch zu wenig über die Sechsbeiner.

Rund zwei Milliarden Menschen weltweit essen Grillen, Grashüpfer, Käfer, Ameisen oder Raupen. Je nach Tradition und Gusto werden sie gegrillt, frittiert, mariniert oder gekocht. In Mexiko etwa sind geröstete Heuschrecken beliebt, gewürzt mit Salz, Knoblauch und Zitrone. Thailänder und Laoten dagegen schwören auf frittierte Grillen. Und in Botsuana oder Südafrika gibt es getrocknete Mopane-Raupen als kleinen Snack für zwischendurch. 

Auch für Haus- und Nutztiere sind Insekten eine natürliche Nahrungsquelle. Gartenhühner picken nicht nur Würmer, sondern auch Insektenlarven. Und in manchen Ländern Afrikas und Asiens verfüttern Viehhalter Termiten, Schaben oder Käfer an ihre Hausschweine, als Alternative zu pflanzlichen Proteinquellen wie Mais und Soja. Vor allem in den Tropen haben Insekten seit Jahrhunderten ihren festen Platz in der Nahrungskette. 

Autor

Sebastian Drescher

ist freier Journalist in Frankfurt und betreut als freier Mitarbeiter den Webauftritt von "welt-sichten".

Seit einigen Jahren interessieren sich auch Agrar- und Ernährungsforscher für den Beitrag von Insekten zum Speiseplan.  Die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sieht im Verzehr von Käfern und Grillen eine Möglichkeit, die Mangelernährung in Entwicklungsländern zu lindern und den weltweit steigenden Bedarf an Fleisch und Eiweiß zu befriedigen. Insekten seien reich an Proteinen, Mineralstoffen und Spurenelementen, schreibt die FAO in einem 2013 erschienenen Bericht. 100 Gramm getrocknete Wanderheuschrecken etwa seien nahezu ebenso eiweißreich wie dieselbe Menge Hühnerfleisch, und Grillen lieferten fast dreimal so viel Eisen wie Rindfleisch. Außerdem haben sie im Vergleich zu herkömmlichen Nutztieren laut FAO einen wesentlich geringeren ökologischen Fußabdruck: Um ein Kilogramm Insektenfleisch zu produzieren braucht es durchschnittlich nur zwei Kilogramm Futter, für ein Kilogramm Rindfleisch dagegen mindestens die vierfache Menge. Der Grund: Insekten sind wechselwarm und setzen Futter effizienter in Wachstum um. Kühe oder Schweine dagegen verbrennen viele Kalorien, um ihre Körpertemperatur konstant zu halten. Deshalb verursachen Insekten auch wesentlich weniger Klimagase.

Insekten werden bislang meist in der freien Natur gesammelt

Aber können Insekten wirklich einen größeren Beitrag zur Ernährungssicherung in Entwicklungsländern leisten? Manche Fachleute haben Zweifel, doch die FAO ist sich ihrer Sache sicher.  Dort wo Insekten bereits einen festen Platz auf dem Speisezettel haben, gehe es vor allem darum, die Verfügbarkeit zu sichern, sagt der niederländische Insektenkundler Arnold van Huis, einer der Autoren der FAO-Studie.

Bislang werden Insekten meist in der freien Natur gesammelt, zudem kommen viele Arten in den verschiedenen Entwicklungsstadien nur saisonal vor, wie etwa die Mopaneraupe. Im Sommer wird die Raupe des  Nachtfalters in den Mopanewäldern im südlichen Afrika von den Bäumen geklaubt und auf den lokalen Märkten verkauft – ein Millionengeschäft. Denkbar sei, die essbaren Raupen ähnlich wie Seidenraupen in kleinen Farmen zu züchten und ganzjährig anzubieten:  „Dadurch hätten die Familien und Dörfer eine günstige und nachhaltige Nahrungsquelle und zusätzlich ein stabiles Einkommen“, sagt van Huis.

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Ähnliche Ziele verfolgt die FAO mit ihrer Kampagne „Humans bite back“ (Die Menschen beißen zurück) in Laos. Um den Verzehr von Insektenfleisch zu steigern, wurden dort in den vergangenen Jahren mehr als  100 Kleinbauern zu Insektenfarmern umgeschult und landesweit Kochbücher verteilt. Seit 2011 gibt es an der Universität in der Hauptstadt Vientiane einen Aufbaustudiengang für Insektenzucht. Dort forschen Studenten und Wissenschaftler, welches Futter den Grillen am besten schmeckt, bei welchen Temperaturen sie sich am schnellsten fortpflanzen und wie sich Krankheitserreger in Insektenfarmen verbreiten.

Die Initiative in Laos ist ein Pilotprojekt und bislang der einzige Ansatz, Insekten stärker in eine nationale Strategie zur Ernährungssicherung einzubinden. Aber nicht überall ist der Verzehr von Insekten traditionell so stark verbreitet wie in Laos. In vielen Ländern gehören Insekten in einigen Regionen fest auf den Speiseplan, während sie in anderen ein absolutes Tabu sind. Ernährungsprogramme müssten sich immer an den kulturellen Vorlieben der Menschen orientieren, sagt Ute Latzke von der Welthungerhilfe: „Ein Wundermittel zur Beseitigung von Hunger und Unterernährung gibt es nicht.“ Die Welt-hungerhilfe unterstützt den Verzehr von Insekten zwar im Rahmen der lokalen Ernährungsberatung. Der Aufbau von Insektenfarmen habe bislang aber keine Rolle gespielt, weil die Partner im Süden daran kein Interesse hätten.  

Der Biss in eine Made gilt noch als exotische Mutprobe

Forscher Arnold van Huis kritisiert, viele unterschätzten das Potenzial von Insekten. Das galt auch lange Zeit für die Wissenschaft. Früher hätten sich nur Ethnologen damit befasst, die die Essgewohnheiten bestimmter Naturvölker beschrieben, sagt van Huis: „Insekten zu essen wurde aber nicht als ernsthafte Alternative wahrgenommen.“ Die sogenannte Entomophagie, der Verzehr von Insekten durch Menschen, ist deshalb noch lange nicht umfassend untersucht. Schuld daran trägt auch die westliche Esskultur. Hier gelten Insekten eher als schädliches Ungeziefer denn als kulinarische Bereicherung.

Die Stigmatisierung von Insekten ist für van Huis auch ein möglicher Grund, warum bis auf die FAO kaum ein Geber das Thema aufgegriffen hat. Auf der anderen Seite trauten sich viele Leute in den Tropen nicht, offen darüber zu reden. Diese Erfahrung machte van Huis, als er die kulturelle Bedeutung von Insekten in über 20 afrikanischen Ländern untersuchte. Viele Afrikaner schämten sich, gegenüber Europäern zuzugeben, dass ihnen Insekten schmecken. Die Auffassung, dass der Verzehr von Insekten rückständig und unzivilisiert sei, habe sich auch in den afrikanischen Städten durchgesetzt. Der niederländische Forscher fürchtet, dass der westliche Lebensstil Insekten für Afrikaner ungenießbar macht.

Bei den meisten Europäern ruft der Gedanke an Chitinpanzer und lange Insektenbeine wohl eher Ekel als Appetit hervor. Bestenfalls gilt der Biss in Heuschrecke oder Made noch als exotische Mutprobe. Dabei haben Insekten sowohl physiologisch als auch geschmacklich viel mit Meeresfrüchten gemein und sind nicht viel exotischer als Sushi noch vor 50 Jahren. In den vergangenen Jahren avancierten manche Insekten vom vermeintlichen „Hungeressen“ zwar zur Delikatesse in Nobelrestaurants, wie etwa dem vielfach prämierten „Noma“ in Kopenhagen. Trotzdem ist es fraglich,  ob frittierte Heuschrecken oder geröstete Käfer in einer urbanen Esskultur mehr als eine exotische Nische erobern können.

Zugleich ermöglicht die moderne Nahrungsmittelindustrie neue Verwendungsmöglichkeiten für Insektenfleisch. Der Insektenspezialist Christian Borgemeister vom Zentrum für Entwicklungsforschung in Bonn sieht etwa in gemahlenen Raupen oder Käferlarven einen möglichen Proteinzusatz für Fertigprodukte – zum Beispiel für Hamburger: „Heute wird das Fleisch mit Soja gestreckt, stattdessen könnte man künftig auch Insektengranulat verwenden.“ Erste Versuche, Insektengranulat als Zusatz für Müsliriegel oder Fleischbällchen zu verarbeiten, gab es bereits in den Niederlanden. Längerfristig könnten mit gemahlenem Insektenfleisch angereicherte Lebensmittel auch dazu beitragen, die steigende Nachfrage nach tierischem Eiweiß in Entwicklungsländern zu decken, sagt Borgemeister, der bis vor kurzem als Direktor des Internationalen Instituts für Insektenforschung (icipe) in Nairobi gearbeitet hat. Nur, die Industrie steht erst am Anfang.

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Ein Stück weiter ist die Futtermittelindustrie, zum Beispiel in Südafrika: In der Nähe von Kapstadt wird im Frühjahr 2014 eine große Madenfabrik ihre Arbeit aufnehmen. Rund 20 Tonnen Fliegenlarven pro Tag will die Firma Agriprotein herstellen und als proteinhaltiges Pulver an Hühner- und Schweinefarmer verkaufen – als Ersatz für Fischmehl oder Soja. Gemästet werden die Fliegenlarven in einer Art Recyclinganlage. Dort fressen sich die Maden innerhalb von drei Tage fast das 400-fache Körpergewicht an, bevor sie geerntet und getrocknet werden. Den Nährboden für die Maden bilden Abfälle aus der Lebensmittelproduktion, Schlachtabfälle und Gülle. Damit schließt sich für Jason Drew, einem der Geschäftsführer von Agriprotein, ein natürlicher Kreislauf: „In der freien Natur ist es völlig normal, dass Insekten ihre Eier in Dung oder Tierkadavern legen und damit die Nährstoffe wiederverwerten.“

Für diese Idee hat Agriprotein 2013 den Innovationspreis für Afrika gewonnen, der von den  Vereinten Nationen mit 100.000 Dollar gesponsert wird. Doch Drews will nicht nur die Welt verbessern, sondern auch Geschäfte machen. Eine Tonne Madenmehl kostet bei Agriprotien rund 1200 Dollar, ungefähr so viel wie Züchter heute für eine Tonne Fischmehl bezahlen. Und Letzteres wird mit der Überfischung der Meere ständig teurer. Mit dem derzeitigen Weltmarktpreis von Soja von rund 500 Dollar pro Tonne kann das neue Produkt zwar nicht mithalten. Doch dafür seien die externen Kosten durch Boden, Wasser- und Klimabelastung bei Madenmehl um ein Vielfaches geringer, argumentiert Drews. Die Nachfrage unter den Viehzüchtern jedenfalls sei groß. Schon jetzt sind zwei weitere Fabriken in Südafrika geplant, weltweit gebe es Interesse in über 30 Ländern, das Verfahren zu übernehmen: „Wir stehen am Anfang einer neuen globalen Industrie. In 15 Jahren wird das für uns so normal sein, wie Papier oder Glas zu recyceln“, sagt Drews.

„Den Verdauungstrakt von Insekten noch besser kennenlernen“

Doch ob sich die Madenindustrie weiter ausbreitet, hängt nicht nur vom Markt ab. In Südafrika hat das Landwirtschaftsministerium das Madenmehl von Agriprotein erst kürzlich als Futtermittel zugelassen. In vielen anderen Ländern steht das noch aus, auch in der Europäischen Union (EU), wo seit dem BSE-Skandal tierische Produkte als Futtermittelzusatz verboten sind. Ob für Insekten eine Ausnahme gemacht wird, entscheidet die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit. Im Auftrag der EU untersucht eine Gruppe von Forschern derzeit, ob das Verfahren den europäischen Qualitäts- und Lebensmittelstandards entspricht.

Wilhelm Windisch von der Technischen Uni München erklärt, bei der industriellen Zucht von Insekten müssten dieselben Ansprüche an Hygiene und an die Qualität des Futters gelten wie bei der konventionellen Viehhaltung. Deshalb sollten Insekten mit sauberem und unbedenklichem Futter gemästet werden, egal ob sie für ein Schwein oder für einen Menschen bestimmt sind. Dann müsse man Insekten wie Mehlwürmer, Heuschrecken oder Fliegenmaden jedoch mit Agrargütern füttern, die man auch direkt selbst essen könnte, sagt der Professor für Tierernährung. Denn ob Insekten Biomasse wirklich so viel effizienter umsetzen, wie die FAO behauptet, sei bislang noch nicht ausreichend belegt. 

Manche Insekten könnten trotzdem noch zu einer echten Alternative für die Versorgung mit Eiweiß werden, sagt Windisch. Aber eben nur, wenn sie nicht in direkter Nahrungskonkurrenz zum Menschen stehen. Windisch denkt etwa an Termiten, die sich vor allem von faseriger Biomasse ernähren, die für den Menschen ungenießbar ist. Aber auch hier müsse noch weiter geforscht werden, sagt Windisch: „Wir müssen den Verdauungstrakt von Insekten einfach noch viel besser kennenlernen.“

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Hallo,

ich fand den Artikel hoch interessant. Deutliche Parallelen sehe ich zum Thema Wildkräuter und deren Verzehr. In der westlichen Welt sind Wildkräuter weitgehend verpönt und werden als "Unkraut" betrachtet, in westlichen Ländern werden sie nur von wenigen Menschen gegessen (z.B. im Rahmen der immer populärer werdenden Green Smoothies-Bewegung) und in einigen teuren Feinschmeckerrstaurants Teil der Speisekarte (z.B. Villa Merton in Frankfurt), aber hohe Verfügbarkeit auch in Entwicklungsländern, sehr hoher Nährstoffgehalt gegenüber konventionell angebautem Gemüse, ...

Vielleicht ist dies Welt-Sichten auch mal einen Artikel wert?

Viele Grüße,

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ich konnt diesen Artikel für meine Hausaufgabe benutzen und fan es sehr interessant mal eine neue Nahrungsquelle kennen zu lernen!!!

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erschienen in Ausgabe 12 / 2013: Unser täglich Fleisch
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