Schüsse in der Grauzone

Deutsche Waffen in Mexiko
Die deutsche Waffen­schmiede Heckler&Koch hat Gewehre nach Mexiko geliefert. Die sind auf dunklen Wegen in Bundesstaaten gelangt, in die sie nicht gelangen durften, weil dort die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.

Sie hatte ihn gewarnt. „Pass auf, mit denen ist nicht zu spaßen“, hatte Maria Amadea de Jesús  ihrem Sohn gesagt. Vergeblich. Nun bleiben ihr nur die Bilder an der Wand ihres Wohnzimmers: Gabriel als Kind mit einem Fohlen, Gabriel im Schneidersitz mit dem ersten Flaum im jugendlichen Gesicht. Dazu kommen die Fotos in einem Nachrichtenmagazin. Das Titelbild zeigt einen jungen Mann: Er liegt auf der Straße, das Gesicht auf dem Asphalt, den Kopf in einer Blutlache. „Er war unschuldig“, sagt sie verzweifelt und blättert von einer Heftseite zur nächsten. Bis sie Abbildungen von Polizisten findet, die mit Gewehren auf Demonstranten zielen. „Die haben ihn umgebracht“, erklärt die Mexikanerin und bricht in Tränen aus. Noch immer fällt es der 58-Jährigen schwer, über diesen Tag zu sprechen.

Der 12. Dezember 2011 in der Kleinstadt Tixtla im mexikanischen Bundesstaat Guerrero: Wenige Kilometer von Maria Amadea de Jesús Haus entfernt machen sich mehrere hundert Studenten auf den Weg zu einer Protestaktion. Mit dabei ist der 20-jährige Gabriel Echeverría de Jesús. Auch er geht zur pädagogischen Fachschule Ayotzinapa, wo Söhne armer Familien zu Lehrern ausgebildet werden. Später sollen die Studenten Kindern in der Region lesen, schreiben und rechnen beibringen. Das Internat gilt als rebellisch, auf den Hauswänden prangen Marx, Lenin und Subkommandant Marcos, der Sprecher der indigenen Zapatisten.

Seit Monaten kritisieren die Lehreranwärter, dass der Unterricht ständig ausfällt und wollen mit dem Gouverneur darüber sprechen. Doch der vertröstet sie immer wieder. Sie fahren in die nahe gelegene Landeshauptstadt Chilpancingo und wollen dort die Autobahn blockieren. Kaum sind sie dort angekommen, rücken auch Polizisten an. Geschützt mit grauen Kampfanzügen und Helmen springen die Uniformierten von den Transportern. Plötzlich geht eine Tankstelle in Flammen auf. Steine fliegen. Tränengas vernebelt die Luft. Schüsse fallen. Kurz darauf liegen Gabriel Echeverría de Jesús und Jorge Alexis Herrera tot auf der Straße. „Das war kein Unfall“, sagt ihr Kommilitone Ali Pérez Bravo. „Sie wollten jemand von uns töten, sonst hätten sie nicht auf den Kopf gezielt.“

Sowohl Bundes- und Landespolizisten als auch kommunale Beamte sind an diesem Tag im Einsatz. Einige von ihnen, so bestätigen Journalisten, Rechtsanwälte und interne Akten, tragen Sturmgewehre des Oberndorfer Rüstungsunternehmens Heckler&Koch (H&K) – Schusswaffen, die nie in diese Region hätten gelangen dürfen. Denn als die Firma zwischen 2005 und 2007 eine Exportgenehmigung für die Gewehre vom Typ G36 beantragte, stellten die deutschen Behörden eine Bedingung: Wegen der schlechten Menschenrechtslage dürfen die Waffen nicht in die mexikanischen Bundesstaaten Guerrero, Chihuahua, Chiapas und Jalisco geliefert werden.

 „Das tödlichste Unternehmen Europas“

Doch weder H&K noch der Käufer, das mexikanische Verteidigungsministerium, scherten sich offenbar um diese Vorgabe. Das berichtet ein ehemaliger Mitarbeiter der Schwarzwälder Firma dem Freiburger Rüstungsgegner Jürgen Grässlin. Er informiert den Aktivisten darüber, dass er Polizisten in den „verbotenen“ Bundesstaaten ausgebildet habe. Zudem dokumentiert eine Urkunde, dass Polizisten in Jalisco mit dem G36 vertraut gemacht wurden. Später veröffentlicht die Berliner Tageszeitung „taz“ eine Liste des mexikanischen Verteidigungsministeriums, die bestätigt: Etwa die Hälfte der 9652 gelieferten Sturmgewehre landet in Regionen, für die es keine Genehmigung gibt.

Im März 2010 erstattet Grässlin Anzeige gegen das Unternehmen. Seither ermittelt die Stuttgarter Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Kriegswaffenkontroll- und das Außenwirtschaftsgesetz. Doch die Firma will davon zunächst nichts wissen. „Heckler & Koch hält sich an Recht und Gesetz der Bundesrepublik Deutschland“, antwortet die Geschäftsführung regelmäßig auf Anfragen. Grässlin hält trotzdem an seinen Vorwürfen fest. Für ihn ist der Kleinwaffenhersteller „das tödlichste Unternehmen Europas“. Zwei Millionen Menschen, so rechnet er vor, seien durch Waffen aus Oberndorf ums Leben gekommen.

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Im mexikanischen Guerrero gibt man sich keine Mühe, zu vertuschen, dass Polizisten die Gewehre tragen. „Diese Waffen sieht man in Chilpancingo an jeder Ecke“, erklärt Anwalt Vidulfo Rosales. Er unterstützt Maria Amadea de Jesús, die für den Tod ihres Sohnes Verantwortlichen vor Gericht zu bringen. Auch in Tixtla patrouillieren Beamte mit der Waffe. Der örtliche Sicherheitsbeauftragte bestätigt der Presse: „Wir besitzen elf G-36-Gewehre in verschiedener Ausführung.“ Abel Barrera vom Menschenrechtszentrum Tlachinollan bereitet das große Sorgen. „Besonders beunruhigend ist es, dass lokale Polizeibeamte diese gefährlichen Gewehre tragen“, sagt er. Die Beamten hätten keine Ausbildung und vor allem keinerlei Respekt vor den Menschenrechten. „Sie gehen zügellos gegen eine verarmte Bevölkerung vor, die wie die Studenten von Ayotzinapa meist nur ihr Recht einfordert.“

Den Behörden traut niemand in Guerrero. Häufig stecken korrupte Beamte, lokale Politiker, wirtschaftliche Eliten und kriminelle Gruppen unter einer Decke. „Die meisten Bürgermeister und Polizisten in Guerrero arbeiten mit der Mafia zusammen“, erklärt ein hoher Vertreter der Landesregierung, der seinen Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen will. Fühlen sich diese Kreise in ihrer Macht bedroht, gehen sie auch mit äußerster Gewalt gegen ihre Gegner vor. Die Opfer sind oft Indigene und Bauern, die sich gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, etwa durch den Bergbau, zur Wehr setzen. Im Juni 2013 wurden drei Bauernaktivisten ermordet, die sich gegen die Gewalt der Mafia gewehrt hatten. Fünf Monate später traf es zwei Mitglieder einer bäuerlichen Produktionsgemeinschaft.

Wie aber gelangten die Waffen aus Deutschland widerrechtlich nach Guerrero und in die anderen mexikanischen Bundesstaaten? Aufschluss brachte ein Verfahren vor dem Amtsgericht im badischen Villingen/Schwenningen im Dezember 2013. Nachdem H&K immer mehr unter Druck geraten war, beschuldigte die Geschäftsführung zwei Mitarbeiter, „ohne Wissen und Wollen anderer Personen“ für die Ausfuhren verantwortlich zu sein. Die beiden wurden gefeuert, klagten jedoch gegen ihre Kündigung und trafen sich deshalb mit einem Firmenvertreter vor Gericht wieder. Dort machten die Entlassenen deutlich, dass die Betriebsführung offenbar genau über die Geschäfte informiert war. Ihre Aussagen legten außerdem nahe, dass Papiere zum endgültigen Verbleib der G36-Gewehre gezielt gefälscht wurden. Aber das Bundesausfuhramt habe sich ohnehin wenig dafür interessiert, wohin die Waffen letztlich gegangen seien, erklärte Unternehmensanwalt Volker Teigelkötter den Richtern. Die Behörde habe sich ohne weitere Prüfung mit den Erklärungen zum Endverbleib zufrieden gegeben.

Autor

Wolf-Dieter Vogel

arbeitet als Journalist für mehrere Zeitschriften und Hörfunkredaktionen. Seine Themen: Lateinamerika, Menschenrechte, soziale Bewegungen.

Tatsächlich kontrollieren deutsche Behörden nicht, wo exportierte Militärgüter nach der Lieferung an den Käufer bleiben. Nicht zuletzt deshalb fordert die Gemeinsame Konferenz Kirche und Entwicklung (GKKE) in ihrem Rüstungsexportbericht 2013 „genauere Informationen über die Endnutzer“. Rüstungsgegner Grässlin, der auch für die Aktion „Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“ spricht, hofft nach dem Villinger Verfahren, dass die Stuttgarter Staatsanwaltschaft nun bald den Strafprozess wegen der illegalen Exporte eröffnet. Und zwar gegen die Chefetage von Heckler&Koch. „Die Entlassenen sind nur Sündenböcke der Geschäftsführung, um von der eigenen Verantwortung abzulenken“, ist er überzeugt. Im Frühjahr 2014, meint Grässlin, könnten die Waffenbauer vor Gericht stehen.

Die deutsche Menschenrechtskoordination Mexiko, der Organisationen wie Misereor und „Brot für die Welt“ angehören, fordert indes, den Export von Kriegswaffen nach Mexiko komplett einzustellen, nicht nur in die vier vom Auswärtigen Amt als kritisch eingestuften vier Bundesstaaten. Die Ausfuhr sei mit deutschen und europäischen Richtlinien nicht zu vereinbaren. Schließlich schrieben der „Gemeinsame Standpunkt“ der Europäischen Union (EU) und die „politischen Grundsätze der Bundesregierung“ vor, Genehmigungen zu verweigern, wenn exportierte Militärgüter zu interner Repression und anderen Menschenrechtsverletzungen missbraucht werden könnten.

Wer Gabriel getötet hat, wird wohl nie geklärt

Der evangelische GKKE-Vorsitzende Martin Dutzmann sagt: „Die Auswirkungen von Sturmgewehren und Maschinenpistolen sind verheerend. Immer wieder geraten sie auf illegalem Weg in fragile Staaten und Konfliktgebiete.“ Bisher hat die deutsche Regierung jedoch keine Konsequenzen gezogen. Seit das Ermittlungsverfahren läuft, darf H&K zwar keine G36 mehr schicken, es sei jedoch nicht beabsichtigt, Waffenexporte nach Mexiko vollständig einzustellen, erklärte sie im Dezember 2011 – und so gingen die Geschäfte laut Rüstungsexportbericht 2013 munter weiter.

Bei den Partnern der Entwicklungszusammenarbeit kommt diese Ignoranz schlecht an. Bischof Raul Vera, der sich im Bundesstaat Coahuila für Migranten einsetzt, kritisierte die Exporte als „moralisch nicht zu verantworten“. Vor weiteren Geschäften müsse Mexikos Regierung dafür sorgen, „dass die Beamten nicht mehr gemeinsam mit der Mafia gegen die Bevölkerung vorgehen“, betonte der Bischof.

Wer Gabriel Echeverría, den Studenten aus Tixtla im mexikanischen Bundesstaat Guerrero, getötet hat, wird wahrscheinlich nie juristisch geklärt. Auch die Frage, ob er durch die Gewehre aus dem Schwarzwald starb, wird wohl nie beantwortet. Seit zwei Jahren setzt sich Maria Amadea de Jesús dafür ein, dass der Tod ihres Sohnes aufgeklärt wird. Die verdächtigen Polizisten, die nach dem Einsatz festgenommen wurden, sind längst wieder auf freiem Fuß. „Keiner will verantwortlich sein, nicht der Gouverneur, nicht der Polizeichef“, berichtet die Mutter von ihren Behördenbesuchen.

Noch hat sie die Hoffnung nicht ganz verloren. Mit den Studenten von Ayotzinapa geht sie gegen die Straflosigkeit auf die Straße. Und im Schrank in ihrem Wohnzimmer bewahrt sie die Zeitung mit dem schrecklichen Titelbild auf. Nicht nur, weil dort möglicherweise die Mörder von Gabriel zu sehen sind. Es ist auch das letzte Bild, das sie von ihrem Sohn hat.

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erschienen in Ausgabe 2 / 2014: Neue Helden der Arbeit
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