Moderner Landraub

Land Grabbing gefährdet die Ernährungssicherheit

Man stelle sich vor, der Schweizer Bundesrat hätte mit Saudi-Arabien ein Abkommen geschlossen und die Hälfte der 1,5 Millionen Hektar Agrarland in der Schweiz für die kommenden 99 Jahre verpachtet. Der saudische Staat zieht auf den ökologisch intakten Böden eine industrielle Landwirtschaft auf, um Nahrungsmittel für seine Bevölkerung anzubauen.

Autor

Beat Dietschy

ist Zentralsekretär von "Brot für alle" in Bern.
Als Produktionsstandorte sollen der wasserreiche Nationalpark im Kanton Graubünden und das Biosphärenreservat im Entlebuch dienen. Die Erträge werden von Hilfskräften verarbeitet, die dafür eigens aus Saudi-Arabien einreisen. Die Ernährung der Schweizer Bevölkerung stellt der Bundesrat durch den Import von Gen-Food aus China sicher. Die mehr als hunderttausend Schweizer Bauern allerdings verlören ihre Lebensgrundlage.

So absurd dieses Gedankenexperiment klingt, so erschreckend real wird es, wenn wir über den nationalen Tellerrand hinaus in die Länder des Südens blicken: Hier sind der Verkauf und die Verpachtung von Agrarland an Staaten, private Investoren oder globale Unternehmen auf dem Vormarsch. Das so genannte Land Grabbing hat bereits gewaltige Dimensionen angenommen. So beziffert die Weltbank die seit 2006 verhandelten oder bereits verkauften und verpachteten Ackerflächen auf rund 50 Millionen Hektar – zwölf Mal die Gesamtfläche der Schweiz. Die Organisation Grain, die als erste diese Form der Landnahme systematisch dokumentiert hat, geht von noch viel größeren Flächen aus.

Der Wettlauf um Land hat verschiedene Ursachen: Die Explosion der Nahrungsmittelpreise im Jahr 2008, die Finanzkrise, die als Folge des Klimawandels erwartete Nahrungsmittelknappheit sowie die steigende Nachfrage nach Agrotreibstoffen haben Agrarland zu einem interessanten Investitions- und Spekulationsobjekt gemacht. Obwohl Land Grabbing in vielen Fällen im Rahmen der Legalität stattfindet, meist über Verträge zwischen Investoren und Regierungen, sind die Konsequenzen oft mit Menschenrechtsverletzungen verbunden: Einheimische Bauern werden vertrieben, sie verlieren ihren Boden und damit die Möglichkeit, sich und ihre Region zu versorgen.

Regierungen gehen aus Profitgier auf die Deals ein

Paradoxerweise findet der Ausverkauf von Land vor allem in solchen Ländern statt, in denen viele Menschen bereits heute an Hunger leiden. So wurden in Äthiopien drei Millionen Hektar Land für die Verpachtung an ausländische Investoren freigegeben, während landesweit mehr als 6,2 Millionen Menschen hungern. Hinzu kommt, dass die neuen Besitzer meist auf den Einsatz von Pestiziden, Dünger und Gen-Saatgut setzen. Das vergiftet Böden und Gewässer und bedroht die Bevölkerung und die Umwelt zusätzlich.

Trotzdem gehen viele Regierungen aus Profitgier oder falschen Entwicklungsvorstellungen bereitwillig auf die Deals ein. Da die Landrechte vielerorts nicht geklärt sind, ist es für sie ein Leichtes, ohne Rücksprache mit den Betroffenen ihre Geschäfte abzuschließen. Hinzu kommt, dass internationale Akteure wie die Weltbank nicht an verbindlichen Regulierungen interessiert sind, weil sie davon ausgehen, dass vom Land Grabbing beide Seiten profitieren.

Zivilgesellschaftliche Organisationen, zumal Vereinigungen von Bauern und Indigenen, sowie soziale Bewegungen in allen Kontinenten wollen dieser neuen Form des Kolonialismus nicht weiter zusehen. In einem Statement kritisieren sie die Weltbank für ihre Haltung und fordern eine Stärkung der Landrechte, der kleinbäuerlichen Landwirtschaft und der Ernährungssouveränität. „Brot für alle“ ist Teil dieses Netzwerks und unterstützt Organisationen wie Grain in ihrem Engagement gegen den Landraub. In der Schweiz haben wir eine Petition für eine stärkere Regulierung Agrotreibstoffen mit lanciert: Der Import solcher Treibstoffe sollte gestoppt werden, bis Kriterien in Kraft sind, mit denen die Sozial- und Umweltverträglichkeit geprüft werden kann. Denn was in der Schweiz wie in anderen Ländern des Nordens unvorstellbar ist, darf auch in wirtschaftlich und politisch schwachen Ländern keine Lösung sein.

 

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erschienen in Ausgabe 6 / 2010: Vom klein sein und groß werden
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