Wie einst mit dem MAI

Laut einem wenig beachteten Artikel des Lissabon-Vertrags soll nur noch die Europäische Union (EU) – und nicht mehr das einzelne EU-Mitglied – mit anderen Staaten Abkommen schließen dürfen, in denen der Fluss von Investitionen geregelt wird. Die EU-Kommission hat eine Verordnung vorgelegt, die bestehende Investitionsabkommen zwischen einzelnen Staaten nur noch vorläufig bestehen lässt: Bis 2020 sollen diese von einer europäischen Investitionspolitik ersetzt werden. Das Ziel der Kommission ist der Schutz europäischer Investitionen im Ausland.

Vor zwölf Jahren scheiterte das „Multilaterale Abkommen zu Investitionen“ (MAI), mit dem die in der OECD versammelten Industrieländer den Schutz ihrer Investitionen und Anleger für die ganze Welt verpflichtend machen wollten. Seitdem war es nur scheinbar ruhig geworden um dieses Vorhaben. Fernab öffentlicher Beachtung werkelten Ausschüsse der OECD-Regierungen weiter an einem Rahmen für weltweiten Investitionsschutz, während eine Vielzahl neuer bilateraler Abkommen hinzukam. Die UN-Handelsorganisation UNCTAD zählt inzwischen 2676 solcher Abkommen, die OECD geht von rund 3000 aus, viele davon allerdings zwischen OECD-Staaten selbst.

Anfang Juli hat die EU-Kommission eine Verordnung vorgelegt, die sie dazu ermächtigt, bilaterale Investitionsverträge der EU-Staaten sowie derzeit laufende Verhandlungen zu prüfen, ob sie mit EU-Regeln vereinbar sind oder etwa „ein Hindernis für die Entwicklung“ der weiteren EU-Handelspolitik darstellen. Allerdings hat die Kommission derzeit gar keinen Überblick über die Verträge der EU-Mitglieder. Die Verordnung verpflichtet diese deshalb, ihr bestehende Abkommen zu melden. Über laufende Verhandlungen will die Kommission genau informiert werden, gegebenenfalls auch selbst dabeisitzen. Bis 2020 strebt die Kommission eine „Umfassende europäisch-internationale Investitionspolitik“ an. Darin soll alles geregelt sein, was zur Einrichtung und zum Betrieb von Tochterfirmen in Drittländern erforderlich ist – einschließlich des Schutzes immaterieller Güter wie des Rechts auf geistiges Eigentum.

Britische Banken haben es in Südafrika besser als andere

Grund zum Handeln sieht die Kommission auch innerhalb der EU. Die vielen und unterschiedlichen Verträge gewährten Anlegern aus einigen EU-Ländern Vorteile, die andere nicht hätten, argumentiert sie. Zum Beispiel genießen britische Banken in Südafrika Vorzugsbedingungen gegenüber Finanzinstituten aus anderen Ländern. Der andere, unzweifelhaft wichtigere Aspekt ist jedoch, „die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu fördern“ und den Investitionsschutz und die Liberalisierung von Investitionen in die EU-Handelspolitik zu integrieren. Die EU solle den Anlegern „den Weg bereiten durch die Liberalisierung der Investitionsflüsse. Märkte mit bedeutendem Wachstum oder großen Aussichten darauf bieten dazu besondere Möglichkeiten“. Das zielt klar auf die Schwellenländer – die Freihandelsabkommen der EU mit Mexiko oder Südkorea sind Beispiele dafür.

Beobachter wie die Autoren der Internetseite „bilaterals.org“ haben schon vor Jahren kritisiert, dass die schnelle Zunahme von bilateralen Investitionsabkommen der Stoßrichtung folgt, die Entwicklungsländer letztlich doch auf ein multilaterales Abkommen nach Art des MAI zu verpflichten. Dass der Lissabon-Vertrag die Basis für ein neues multilaterales Abkommen sein könnte, hatte nichtstaatliche Organisationen im Juni zu einer Stellungnahme für den Schutz öffentlicher Interessen in Europas Investitionspolitik veranlasst. Die Organisationen plädieren dafür, alle laufenden bilateralen Verhandlungen anzuhalten und bereits bestehende Abkommen auslaufen zu lassen, solange die Folgen der angestrebten Liberalisierung von Investitionen nicht geklärt und öffentlich diskutiert worden seien. Erst dann dürfe eine Entscheidung zur EU-Investitionspolitik getroffen werden.

Die Vorlagen der Kommission haben die Kritiker bestärkt. „Weiterhin heißt es seitens der EU: Rechte für Konzerne, Pflichten und Lasten für Mensch und Umwelt“, kommentiert die Organisation WEED den Vorstoß aus Brüssel. Gerade das Beispiel aus Hamburg, wo der schwedische Konzern Vattenfall eine Kohlekraftwerk baut und wegen Umweltauflagen eine Entschädigung von 1,4 Milliarden Euro vom Bund einklagen will, müsse den Europäern eine Lehre sein. Schlechter ergehe es Ländern und Kommunen in Afrika und Südamerika auf Grund von Verträgen zur Privatisierung der Wasser- oder Stromversorgung. Die Vorgabe des Lissabon-Vertrags hätte durchaus Anlass sein können, diese Entwicklung zu korrigieren, befindet das Seattle-to-Brussels-Network, das Ende der 1990er Jahre den Widerstand gegen das MAI vorangetrieben hat. Die Kommission habe diese Gelegenheit verpasst. 

erschienen in Ausgabe 9 / 2010: Korruption: Geld, Amt und Macht
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