Pflaster auf eine schwärende Wunde

Pflaster auf eine schwärende Wunde

Hilfe für vergewaltigte Frauen im Ostkongo

Von Gwendolyn J. Lusi

In den Heldengeschichten meiner Kindheit hieß es immer „Frauen und Kinder zuerst“ – zuerst in die Rettungsboote oder zuerst hinaus aus brennenden Gebäuden. Im Ostkongo sind diese Worte grausam verdreht worden: Frauen und Kinder sind das erste Ziel für marodierende Milizen und die ersten Opfer in einem schmutzigen Krieg, in dem Vergewaltigung systematisch als Waffe eingesetzt wird.

Nehmen wir den Fall von Baseme. Eines Nachts überfiel ein Miliztrupp das Dorf, in dem die 17-Jährige zusammen mit ihrem verwitweten Vater lebte, dem Pfarrer der örtlichen Kirche. Sie war seine einzige Tochter. Die Angreifer töteten ihren Vater, die meisten Männer aus dem Dorf flohen. Die Milizionäre brannten Hütten und Häuser nieder. Sie vergewaltigten Baseme und mehrere andere junge Frauen.Weil einer der jungen Männer aus dem Dorf stammte und die Gefahr bestand, dass Baseme ihn wiedererkannt hätte, rissen sie ihr die Augen heraus.

Welche Rolle spielt Baseme in dem internationalen Drama um die Kontrolle des Ostkongo? Sie wurde in dem Jahr geboren, in dem die Berliner Mauer fiel. Der Kommunismus stellte keine Bedrohung mehr dar. Für den Westen hatte es keinen Sinn mehr, in Ländern wie dem Kongo Diktatoren zu unterstützen, um Bastionen gegen diese Ideologie zu errichten.Das Nachbeben war in der gesamten Dritten Welt zu spüren. So griff der politische Aufruhr in Ruanda nach dem Völkermord von 1994 auf den Kongo über. Dort zerfiel der Staat, die Autorität der Zentralregierung in der Hauptstadt Kinshasa ist bis heute nicht wiederhergestellt.

Im Ostkongo nutzten alle, die Land, Rohstoffe oder Macht an sich reißen wollten, ökonomische und ethnische Spannungen aus.Häufig wurden sie dabei von anonymen Kräften in der internationalen Wirtschaft unterstützt. Ein Bericht der Vereinten Nationen über die illegale Ausbeutung der Rohstoffe des Kongo von 2003 führte nicht dazu, dass etwas für den Schutz des Landes und seiner Bevölkerung getan wurde; er verstaubt in den Archiven. Die Kongolesen haben das Gefühl, dass sie einer Aggression von außen hilflos gegenüberstehen.

In Goma kann unsere Hilfsorganisation,HEAL Africa, lediglich eine schwärende Wunde verbinden. Ende 2002 halfen wir einer Frau, die von vier Männern vergewaltigt worden war. Der letzte hatte einen Stock benutzt. Dann wurde sie in einem ländlichen Gesundheitsposten zum Sterben zurückgelassen. Die Mitarbeiter der Station brachten sie jedoch in unser Krankenhaus und sie überlebte. Über das Entsetzen, das der Fall bei uns auslöste, sprachen wir mit einer Kollegin, einer Kirchenführerin aus dem Landesinneren. Solche Vorkommnisse seien in der gesamten Region alltäglich, sagte sie. Es spreche jedoch niemand darüber,weil die Scham der Opfer zu groß sei.

Es lässt sich schwer feststellen, in welchem Ausmaß Vergewaltigung im Ostkongo als Kriegswaffe eingesetzt wird. Unsere Organisation arbeitet in Teilen der Provinzen Nord-Kivu und Maniema. Dort leisteten wir von Mai 2003 bis August 2007 psychosoziale Hilfe für fast 12.000 Frauen, die vergewaltigt worden waren. Mehr als 8.000 wurden auch medizinisch behandelt. Organisationen, die in anderen Teilen des Ostkongo arbeiten, berichten über ähnliche Erfahrungen. Es ist also von einem Vielfachen unserer Zahlen auszugehen.

Eine von vier vergewaltigten Frauen ist unter 18 Jahre alt. Etwa eine von hundert wird ungewollt schwanger, eine von zehn mit dem Aids-Virus infiziert. Frauen, die innerhalb von 72 Stunden nach einer Vergewaltigung medizinische Hilfe bekommen, erhalten in Nord-Kivu häufig eine vorbeugende Behandlung gegen das Virus, in Maniema hingegen nur selten. Dort hat die Zahl der Vergewaltigungen abgenommen, denn der Prozess der Heilung der Gemeinschaften – Heilung hat eine wichtige soziale Komponente – ist fortgeschritten und die örtlichen Behörden gewinnen Einfluss.

In Nord-Kivu ist das anders. Mehr als 750.000 Menschen sind aus ihren Dörfern vertrieben worden und leben in improvisierten Hütten, die sie vor Kälte und Regen schützen sollen. Sie können ihre Felder nicht bestellen und ihre Kinder nicht zur Schule schicken. Die Vertriebenen sind auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen, die oft nicht ausreicht oder nur unregelmäßig eintrifft. Die Bevölkerung wird von zahlreichen bewaffneten Banden schikaniert. Berichten zufolge werden monatlich rund 200 Frauen vergewaltigt.

Die Folgen für die Opfer von Vergewaltigung sind furchtbar. Unzählige Frauen benötigen eine medizinische Behandlung – in besonders schweren Fällen von Fachleuten für Gynäkologie, Chirurgie oder Geschlechtskrankheiten und Aids. So musste das Krankenhaus von HEAL Africa in Goma in den vergangenen drei Jahren 1300 Scheidenfisteln operieren. Dabei handelt es sich um einen Durchbruch zwischen Scheide und Blase oder Mastdarm. Die betroffene Frau ist unfähig, ihren Urin oder Kot zu kontrollieren. Auf Grund des Geruchs, der mit dieser Behinderung verbunden ist, werden die Opfer häufig vom Leben der Gemeinschaft oder der Familie ausgeschlossen. Etwa eine von fünf dieser Verletzungen geht auf brutale Gruppen-Vergewaltigung oder Folter zurück. Die übrigen sind eine Folge davon, dass im Ostkongo Frauen übermäßig hart körperlich arbeiten müssen und keine qualifizierte Versorgung für Schwangere und Gebärende finden können, weil medizinische Einrichtungen geplündert und zerstört sind.

Eine Vergewaltigung gräbt sich tief in das Gedächtnis und schädigt das Selbstbild der Frauen. Angst, Abscheu vor sich selbst, Persönlichkeitsstörungen und das Trauma eines schmerzlichen Verlustes heilen nur langsam. Manchmal ist ein Baby die Folge der Vergewaltigung. Auch wenn eine Frau nach einer Vergewaltigung in ihre Gemeinschaft zurückkehren will, benötigt sie Unterstützung. Damit der Ehemann die Frau wieder akzeptiert, ist in manchen Fällen eine Betreuung der gesamten Familie nötig. Häufig werden jedoch während eines Angriffs die Männer der vergewaltigten Frauen getötet; die Witwen brauchen dann Hilfe beim Aufbau einer neuen Lebensgrundlage für sich und ihre Kinder. Aus all diesen Gründen benötigen die Opfer Beraterinnen, die ihnen zuhören und zugleich tatkräftig zur Seite stehen, etwa indem sie ihnen helfen, ihr Recht auf das Erbe geltend zu machen.

Heilung muss im Ostkongo aber auch eine soziale Dimension haben: Gesellschaften, die ein solches Maß von Gewalt gegen Frauen zulassen, sind krank. Selbst in Goma,wo nicht mehr gekämpft wird, kommen jeden Monat 30 bis 40 Mädchen zu uns, die vergewaltigt worden sind. Nach der neuen kongolesischen Verfassung und dem neuen Gesetz über sexuelle Gewalt sind zwar Männer und Frauen gleichwertig. Sexualverkehr – auch einvernehmlicher – mit Menschen unter 18 Jahren ist nicht erlaubt und gilt als sexuelle Gewalt.

Doch von der Wirklichkeit ist das weit entfernt. Große Anstrengungen sind gefragt, um das Bild von den Frauen und ihrer Rolle in der Gesellschaft zu ändern. Wenn die Ursachen der Gewalt gegen Frauen im Kongo nicht beseitigt werden,wenn die gesamte Gesellschaft nicht für die Rechte der Frauen Partei ergreift, steht dort eine dunkle Zeit bevor.

Gwendolyn J. Lusi lebt in Goma (Ostkongo) und arbeitet für die Hilfsorganisation HEAL Africa, die sie gemeinsam mit ihrem Mann Dr. Kasereka Lusi, einem Chirurgen, gegründet hat.

welt-sichten 1-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 1 / 2008: Globale Ungleichheit
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