Müllabfuhr unter Todesdrohungen

Müllabfuhr unter Todesdrohungen

In Managua eskaliert ein Konflikt um das Recycling

Von Matthias Knecht

Proteste der informellen Müllsammler gegen die Wertstofftrennung machen die Müllabfuhr in Managua zu einem gefährlichen Job. Die 1,2 Millionen Einwohner zählende nicaraguanische Hauptstadt droht in ihren Abfällen zu versinken. Unterdessen arbeitet die Stadt mit spanischer Entwicklungshilfe an einer dauerhaften Lösung.

Wachleute, Gewehre, Scheinwerfer: Für Managuas städtischen Werkhof „Los Cocos“, den Ausgangspunkt der Müllentsorgung in Nicaraguas Hauptstadt, gelten schärfste Sicherheitsvorkehrungen. Die 60 Müllwagen der Gemeinde verlassen das Gelände zu wechselnden Zeiten, ihre Routen ändern sich ständig. Der städtische Entsorgungsplan ist ein Staatsgeheimnis, seit Todesdrohungen gegen die 1200 Beschäftigten der Müllabfuhr eingegangen sind. Mehrere Müllmänner wurden bereits auf offener Straße angegriffen.

Entsprechend prekär ist auch die Lage der 1,2 Millionen Einwohner. Viele wissen nicht mehr, wohin mit dem Abfall. Denn manchmal kommt die Müllabfuhr morgens, manchmal mitten in der Nacht und manchmal gar nicht. Im tropischen Klima Nicaraguas sind die Folgen schwerwiegend. In der Stadt breitet sich beißender Gestank aus. Geier und Hunde zanken sich um den herumliegenden Abfall. Das nationale Gesundheitsministerium ist in Alarmbereitschaft und warnt vor möglichen Seuchen. Während der Osterfeiertage türmten sich nach Angaben der Stadtverwaltung zeitweise 25.000 Tonnen Abfall in den Straßen.

Begonnen hatte die Müllkrise mit der Blockade der Chureca. Der auf die Indios zurückgehende Name bedeutet Sonnenblumenland und bezeichnet eine 64 Hektar große offene Müllhalde im Nordwesten der Hauptstadt. Die Chureca ist die einzige Deponie Managuas und Arbeits- und Lebensraum für zahlreiche Menschen, die keine Alternative haben. Sie leben von dem, was sie im Abfall finden: Plastik, Glas, Altmetall, Kupfer, Aluminium – und Essensresten.

Doch die verwertbaren Stoffe in Managuas Abfall werden immer weniger, klagen die Churequeros, die informellen Müllarbeiter in Managua. Seit dem 1. März blockieren einige von ihnen deshalb aus Protest den Eingang zur Deponie. „Wir fordern Qualitätsmüll“, erklärt David Narváez, einer der Organisatoren. Laut seiner Darstellung „rauben“ die städtischen Müllarbeiter Managuas die recyclebaren Wertstoffe. Was auf der Deponie noch ankomme, sei wertlos. Die Konsequenzen für die Churequeros seien fatal. „Früher konnte man hier bis zu 60 Cordoba (zwei Euro) am Tag verdienen. Heute kommen viele nicht einmal mehr auf ein Drittel“, klagt Narváez.

Managuas Stadtverwaltung räumt ein, dass angestellte Gemeindearbeiter bereits seit Jahren Wertstoffe aus dem Müll sammeln und zum Recycling an von der Gemeinde lizenzierte Unternehmen verkaufen. Daran verdient auch die Stadt. Zusätzliche Finanzquellen sind hoch willkommen, denn nur jeder sechste Haushalt in Managua zahlt die obligatorischen Müllgebühren. Die Müllabfuhr schreibt chronisch rote Zahlen, derzeit rund sieben Millionen Dollar jährlich.

Managuas Oberbürgermeister Dionisio Marenco will darum der Forderung nach „Qualitätsmüll“ nicht nachgeben. Er spricht von Erpressung und wirft den Churequeros vor, hinter den Angriffen und Morddrohungen gegen die städtische Müllabfuhr zu stehen. Zudem beschuldigt er die informellen Müllarbeiter, mit ihrer Blockade die Gesundheit Managuas zu gefährden. „Wir sind am Rande einer Epidemie“, warnte Marenco. Gegen Blockadeführer Narváez hat er Strafanzeige eingereicht.

Der Sozialforscher Walter Calderón erklärt Managuas Müllkonflikt mit der „extremen Armut und fehlenden Beschäftigungsmöglichkeiten“. Er ist Sprecher der gemeinnützigen Organisation „Zwei Generationen“, die seit Jahren für bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen der Churequeros kämpft. Sie gibt die Zahl der informellen Müllarbeiter mit 1267 an. Darunter seien 147 Familien, die mit ihren Kindern mitten im Müll lebten, der Rest wohne in der Umgebung.

Die zunehmend prekäre Situation der Churequeros habe deshalb jetzt zu einem Konflikt mit den offiziellen Gemeindearbeitern geführt. Caldéron hat dafür Verständnis: „Die Arbeiter der Gemeinde erhalten Lohn und Sozialleistungen, diejenigen, die auf dem städtischen Müllplatz auf eigene Rechnung arbeiten, aber nicht.“ Der Soziologe und Umweltspezialist Cirilo Otero sieht das ein wenig anders. Er sagte im lokalen Radio: „Dieses Problem wird man nicht lösen, indem man besseren Müll bringt. Die Lösung ist, die Leute da herauszuholen, sie auszubilden und ihnen eine gesündere und produktivere Arbeit zu verschaffen.“

Genau das strebt Bürgermeister Marenco mit Hilfe der spanischen Regierung an. Sie will 30 Millionen Euro in die Sanierung der Chureca und des angrenzenden Stadtteils Acahualinca investieren. Im März sollten die Arbeiten beginnen – just als einige Churequeros mit der Blockade begannen. Das Geschäft mit dem Müll sei durchaus lohnend, sagt Projektleiter Miguel Torres. Die informellen Müllarbeiter müssten aber stärker beteiligt und ihre Arbeitsbedingungen verbessert werden.

Laut dem spanischen Entwicklungsexperten exportiert die Chureca jährlich Wertstoffe im Umfang von bis zu 20 Millionen Dollar. Die Plastikflaschen werden beispielsweise in Chinas Textilproduktion wiederverwertet. Das Altmetall gelangt in Schmelzöfen in El Salvador und Guatemala. Doch die Churequeros verdienen bisher wenig an den wertvollen Reststoffen, die sie für den Export sammeln. Um das zu ändern, wollen die Spanier unter anderem eine moderne Recyclinganlage finanzieren, die qualifizierte Arbeitsplätze bietet.

„Wir müssen Verdienstmöglichkeiten schaffen“, betont Torres. Deshalb ist geplant, das gesamte umliegende Wohnquartier Acahualinca mit seinen 18.000 Einwohnern in das Projekt einzubeziehen. Schulen, Straßen und die Trinkwasserversorgung sollen verbessert werden. Kleinstunternehmer sollen Mikrokredite erhalten. Torres bezweifelt nicht, dass es dafür genügend qualifizierte Arbeitskräfte gibt. „Unter den informellen Arbeitern auf der Müllhalde haben wir ausgebildete Ingenieure getroffen.“

Doch warum beginnen die Churequeros gerade jetzt ihre Blockade? Torres gibt sich bedeckt und spekuliert wenig überzeugend, möglicherweise seien übertriebene Erwartungen unter den informellen Müllsammlern geschürt worden. Umso deutlicher wird Bürgermeister Marenco. Er sieht im Streit um Managuas Müllentsorgung einen „künstlichen Konflikt“, der von seinem Erzrivalen Staatspräsident Daniel Ortega geschürt werde. Dafür spricht einiges. Beide Politiker gehören zwar der linksgerichteten sandinistischen Partei an, doch sie sind sich spinnefeind und tragen ihren Konflikt gerne öffentlich aus. Dabei steigt die Popularität des Pragmatikers Marenco ebenso stetig wie die Umfragewerte des Staatspräsidenten abstürzen.

Erst im März sicherte sich die Ortega treu ergebene Gewerkschaft „Nationale Arbeiterfront“ (FNT) überraschend das Recht, Managuas Churequeros exklusiv zu vertreten. Zugleich drohte Ortega dem Bürgermeister an, in die Stadtverwaltung einzugreifen, sollte er sich als unfähig erweisen, den Konflikt zu lösen. Marenco konterte vor den TV-Kameras: „Das einzige, was der Herr Präsident tun muss, ist zum Telefon zu greifen und die Dirigenten der FNT anzuweisen, dass sie uns arbeiten lassen sollen.“

Matthias Knecht ist Ökonom und Philosoph. Er lebt in Mexiko und arbeitet als Korrespondent für die Nachrichtenagentur epd sowie mehrere Zeitungen in Deutschland und der Schweiz.

welt-sichten 4-2008

 

 

erschienen in Ausgabe 4 / 2008: Müllprobleme
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