Schatten über Thailand

Schatten über Thailand

Unter dem Streit der Eliten leidet die demokratische Entwicklung

Von Roland Platz

Die Volksallianz gründete sich 2006 als Protestbewegung der aufgeklärten Mittelschicht Bangkoks gegen den damaligen Premier Thaksin. Dieser regierte zunehmend autokratisch und war unter den Verdacht schwerer Korruption geraten. Das breite Oppositionsbündnis umfasste Intellektuelle, Geschäftsleute, Studenten und Reformbuddhisten. Nicht zuletzt die Konfrontation zwischen Anhängern und Gegnern Thaksins führte im September 2006 zum Putsch der Generäle; sie setzten Thaksin ab und eine Übergangsregierung ein. Im Dezember 2007 fanden Wahlen statt, die die Demokratie in Thailand zumindest formal wiederherstellten.

Seitdem hielt sich die Volksallianz im Hintergrund. Anfang Juni 2008 nahm sie ihre Proteste jedoch wieder auf: Diese richten sich nun gegen die derzeitige Regierung unter Samak Sundaravej. Die Allianz wirft ihr vor, Ex-Premier Thaksin wieder an die Macht bringen zu wollen. Welchen Beitrag die Volksallianz zur demokratischen Entwicklung Thailands leistet, ist jedoch zweifelhaft. Der thailändische Politologe Thitinan Pongsudhirak wertet das Bündnis als konservative Elite von Gegnern Thaksins, die keineswegs die Mehrheit der Bevölkerung repräsentiert.

2006 hat sich das Unbehagen der Militärs und des Königs über den immer mächtiger werdenden Thaksin mit dem bürgerlichen Widerstand gegen Machtmissbrauch und Korruption verbunden. Jetzt rückt die Führung der Volksallianz immer mehr in die Nähe der Militärs, wenn sie in bestimmten Situationen, etwa wenn Nation oder Monarchie in Gefahr wären, ein militärisches Eingreifen in die Politik befürwortet. Permanent unterstreicht sie zudem ihre Loyalität zum König. Sie äußert Kritik am parlamentarischen System und plädiert für eine Art Ständeparlament, bei dem nur noch ein Drittel der Volksvertreter direkt gewählt würden, um den Wahlbetrug der Parteien zu unterbinden.

Auf der anderen Seite der politischen Front steht eine Elite aus Regierungsmitgliedern und Geschäftsleuten um Expremier Thaksin. Zwar ist dessen Partei „Thai Rak Thai“ (TRT) nach dem Putsch von 2006 wegen Stimmenkaufs aufgelöst worden, führende Mitglieder der TRT wurden vom Verfassungsgericht für fünf Jahre von der Politik ausgeschlossen. Vor der Wahl im Dezember 2007 wurde jedoch die People Power Party (PPP) als Nachfolgerin der TRT neu gegründet. Der derzeitige Premierminister und Vorsitzende der PPP Samak war ein Verlegenheitskandidat und gilt als Statthalter Thaksins. Die PPP führt als stärkste Kraft die Regierungskoalition mit fünf weiteren Parteien an.

Dazu zählen die Chart Thai Partei (Thai Nation Partei), Püa Pandin (Für das Mutterland), Pracharaj (Royalistische Volkspartei), die Matchimathippatai (Mittlerer Weg) und die Ruam Jai Thai Chart Pattana (Thai Einheitspartei). Bei allen außer der Chart Thai Partei handelt es sich um Neugründungen langjähriger Politiker. Nur Chart Thai unter dem Vorsitzenden Barnharn Silpa-archa ist schon seit den 1970er Jahren politisch aktiv. Sie verfügt über besonders gute Beziehungen zu den Großbanken und der Großindustrie und ist berüchtigt für Stimmenkauf im großen Stil. In ihren Reihen finden sich einige Provinzpaten, die mit illegalen Geschäften zu Geld gekommen sind und jetzt im Parlament in Bangkok sitzen.

In der Opposition ist lediglich die Demokratische Partei, die seit den 1940er Jahren besteht. Sie hält 165 der insgesamt 480 Parlamentssitze. Die Demokraten und die Volksallianz eint die Gegnerschaft gegen Thaksin und die jetzige Regierungskoalition, aber sie sind kein einheitlicher Block. Der Vorsitzende der Demokratischen Partei, Abhisit Vejjajiva, hat sich von den lautstarken Protesten der Allianz im Juli distanziert.

Viele Kritiker sehen Samak als Steigbügelhalter für Thaksin an. Der Ex-Premier hat zwar immer erklärt, er wolle sich von der Politik fernhalten. Doch Samak versuchte, Thaksin reinzuwaschen und die neue Verfassung von 2006 zu dessen Gunsten zu ändern. Er bemühte sich auch, die Kommission auflösen, die die Korruptionsvorwürfe gegen seinen Amtsvorgänger aufarbeitet. Thaksin war im Februar 2008 aus dem englischen Exil nach Bangkok zurückgekehrt. Mitte August ging er jedoch erneut nach England und entzog sich damit einem Gerichtsverfahren wegen Korruption. Zuvor waren seine Anwälte verhaftet worden, weil sie das Oberste Gericht bestechen wollten.

Samak will zudem das Gesetz kippen, nach der eine Partei bei nachgewiesenem Stimmenkauf aufgelöst werden muss. Dies träfe nämlich auch auf die PPP zu. Politik und Geld sind in Thailand eng miteinander verknüpft. Fast alle führenden Politiker verfügen über ein Millionenvermögen. Die Parteien fungieren vor allem als Wahlvereine für die Mächtigen, die in ihre eigene Tasche wirtschaften. Stimmenkauf bei Wahlen ist durchaus üblich. Viele Wähler fühlen sich nicht von einer Partei vertreten und lassen sich überreden, ihre Stimme für zwei bis vier Euro zu verkaufen.

Thaksin hingegen konnte mit seiner populistischen Politik für seine Partei viele Stimmen gewinnen – vor allem unter Armen im Norden und Nordosten des Landes, denen seine Unterstützung besonders zugute kam. Er sorgte dafür, dass sie für weniger als einen Euro ein Krankenhaus aufsuchen konnten, verschuldete Bauern profitierten von einem Schuldenmoratorium. Unter Thaksin wurde auch in die Infrastruktur des gesamten Landes investiert, das bewirkte ein stabiles Wirtschaftswachstum.  

Dennoch kam unter seiner Herrschaft der Prozess der demokratischen Konsolidierung, der mit der Verabschiedung der sogenannten „Peoples Constitution“ 1997 seinen Höhepunkt erlebt hatte, zu einem Stillstand. Zwar belegen die Parlamentswahlen von 2001 und 2005 und auch die letzte Wahl im Dezember 2007, dass die Minimalbedingungen für eine Demokratie erfüllt sind. Doch es sind auch deutliche Rückschritte zu verzeichnen. Die in der Verfassung festgeschriebenen Kontrollgremien, die die Regierung beaufsichtigen und für Transparenz sorgen sollten, wurden von Thaksin politisch instrumentalisiert und in ihren Funktionen eingeschränkt. So besetzte er die Korruptionsbekämpfungsbehörde im Jahr 2003 mit regierungsnahen Mitgliedern und schwächte sie damit erheblich.

Vor allem in den ländlichen Regionen herrscht zudem ein Klientelsystem mit lokalen Machthabern an der Spitze. Zwar hat sich inzwischen ein weitverzweigtes Netz nichtstaatlicher Organisationen gebildet und die Zivilgesellschaft weiter entwickelt, doch die alten Strukturen wirken fort. Gerade auf lokaler Ebene sind Respekt und Gehorsam vor den Machthabern angeraten, Widerspruch kann gefährlich sein. Jedes Jahr werden in Thailand dutzende politische Morde verübt. Die Opfer sind unter anderem Umweltschützer, die sich gegen industrielle Anlagen wehren.

 Auch die Militärs haben sich nicht aus der Politik zurückgezogen. In den vergangenen Jahrzehnten fanden in Thailand nahezu 20 Putsche statt, der letzte enthob Thaksin seines Amtes. König Bhumipol, der vom Volk noch immer fast wie ein Gott verehrt wird, verfolgt ebenfalls eigene politische Interessen. Im Laufe der Jahrzehnte hat er sich eine Hausmacht aus einflussreichen Männern, insbesondere Militärs, aufgebaut. So deckte er unter anderem den Putsch der Generäle gegen Thaksin im September 2006. Kritik am König wird nach wie vor mit Gefängnis bestraft. Dabei ist Thailand laut Verfassung nur eine konstitutionelle Monarchie.

Die gegenwärtige politische Krise beeinflusst inzwischen auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Noch werden jährliche Wachstumsraten über vier Prozent verzeichnet. Industrie und Dienstleistungen tragen bereits zu 90 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bei, dazu ist Thailand weltgrößter Reisexporteur. Doch die instabile politische Lage lässt ausländische Direktinvestitionen zurückgehen und beeinflusst die Börse negativ. Dazu kommen Preissteigerungen bei Öl und Lebensmitteln, die innerhalb der Bevölkerung für wachsende Unzufriedenheit sorgen.

Die Schere zwischen Arm und Reich geht in Thailand ohnehin weit auseinander. Etwa zehn Prozent der Bevölkerung müssen mit rund 25 Euro im Monat auskommen und gelten als arm. Die Unterschiede zwischen Stadt und Land sind beträchtlich. Das Durchschnittseinkommen der Menschen in Bangkok ist statistisch gesehen zehn mal höher als im Rest des Landes. Viele Bauern können von der Landwirtschaft nicht mehr leben und wandern in die Städte ab. Das Kabinett Samak hat inzwischen Steuererleichterungen und Unterstützung für die Armen versprochen, um soziale Unruhen zu verhindern.

Bislang konnte sich in Thailand kein demokratisches System nach westlichem Vorbild etablieren. Es steht zu befürchten, dass das Machtspiel zwischen den Eliten noch einige Jahre weitergeht. Das Vertrauen der Bevölkerung in die politischen Institutionen ist durch Korruption und Machtmissbrauch erschüttert. Und sollte der gesundheitlich angeschlagene König sterben, könnte die ohnehin schon instabile Lage noch kritischer werden.

Roland Platz ist Ethnologe und freier Journalist mit Schwerpunkt Thailand und Birma.

welt-sichten 8-2008

 

erschienen in Ausgabe 8 / 2008: Die Macht der Religionen
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