Per Kaufrausch ins Verderben

Von Sunita Narain

Billiges Geld für Leute, die sich die Häuser und Autos, die sie auf Pump gekauft haben, eigentlich nicht leisten können – das hat die globale Finanzkrise verursacht. Aber die verantwortlichen Politiker und Manager wollen das nicht sehen und predigen noch mehr Konsum. Nötig wäre ein neues Verständnis von Wachstum. Doch das ist nicht in Sicht.

Nicht die Finanzkrise, ihr Ausmaß und die von ihr verursachten Verwüstungen sollten uns erschüttern, sondern die Reaktionen unserer Manager und Politiker. Sie alle meinen, die Welt zu kennen. Erst haben sie gesagt: „Macht euch keine Sorgen, uns wird das nicht treffen.“ Jetzt sagen sie: „Macht euch keine Sorgen, das geht vorbei.“

In Wirklichkeit haben sie keine Ahnung, was gerade passiert. Sie wollen nicht akzeptieren, dass diese Krise damit zusammenhängt, wie wir Wachstum schaffen. Uns wurde gepredigt, durch Konsum könnten wir den Aufschwung fördern und schlechte Phasen überwinden. „Macht euch keine Sorgen, konsumiert nur weiter“, lautet das Mantra. Das Finanzsystem wird dafür sorgen, dass wir billiges Geld bekommen, um Häuser zu kaufen, Autos, Waschmaschinen und alles mögliche andere, das wir vielleicht nicht brauchen, uns aber wünschen. Wenn wir also nur weiter konsumieren, dann werden die Aussichten wieder rosig und die Welt wird bald wieder ein glücklicher Ort sein.   

Das Problem dieses Modells ist, dass wir zu wenig dafür tun, Produkte erschwinglich zu machen: Wir produzieren und verkaufen nicht die Art von Produkten und Dienstleistungen, die sich die Menschen wirklich leisten können. Wir teilen außerdem unseren Reichtum nicht mit den weniger Begüterten. Deshalb können sich viele Menschen ein Haus oder ein Auto nur leisten, wenn sie Kredite aufnehmen – Kredite, die erst zum Boom und dann zur Pleite der Banken führen. Genau das hat die Hypothekenkrise in den USA verursacht: Die Banken haben vorschnell Kredite an Leute vergaben, die sich gar keine Häuser leisten konnten.

Ein anderer Weg zu mehr Wachstum besteht darin, die Produktionskosten für die Waren zu subventionieren, die wir kaufen sollen – wie zum Beispiel das indische 2500-Dollar-Auto „Nano“. In Indien gibt es unter den Autoherstellern einen Wettlauf um mehr Unterstützung vom Staat, mehr Bauland zu Dumping-Preisen, mehr zinslose Kredite und mehr billiges Wasser und billigen Strom. Das alles soll die Produktionskosten senken, um das Auto, dass sich sonst niemand leisten könnte, zu niedrigen Preisen anzubieten.

Auf ähnliche Weise produzieren reiche Staaten ihre Nahrungsmittel: Bauern werden mit Subventionen gepäppelt, damit sie billiges Essen produzieren und auf diese Weise den Konsum anheizen – obwohl Fettleibigkeit die tödlichste Krankheit weltweit zu werden droht. Genau dieselbe Form von konsumorientiertem Wachstum hat die Welt auch an den Rand der Klimakatastrophe geführt.

Die Frage ist: Fangen wir endlich an, diese Verbindungen zu sehen? Eindeutig nicht. Weiterhin wird nur ein einziger Weg aus dem Loch gesehen, in dem wir uns befinden: Mehr von dem, was wir bisher schon getan haben. George W. Bush hat das 700-Milliarden-Dollar-Paket der US-Regierung als im Interesse der „armen“ Arbeiter bezeichnet: Die Banken müssten Kredite vergeben, weil durchschnittliche Amerikaner sonst kein Geld hätten, Autos zu kaufen. Und das könnte die Fabrikarbeiter in Detroit ihre Jobs kosten. Eine einfach Logik für eine einfache Wirtschaftspolitik: Kaufe, um die Wirtschaft in Gang zu halten.

So wird der Teufelskreis weitergehen. Wir werden mehr konsumieren, weil das der einzige Weg zu Wachstum ist, den wir kennen – selbst wenn dadurch die ganze Welt zugrunde geht. Darüber werden wir aber nicht sprechen. Andernfalls müssten wir unser Verständnis davon überdenken, was Wachstum erzeugt, was zu Zufriedenheit führt und wie wir Beschäftigung und Wohlstand für alle erreichen. Es würde bedeuten, dass wir Wachstum anders messen müssten, dass wir das Bruttoinlandsprodukt durch einen Wert ersetzen, der unseren Bedürfnissen besser Rechnung trägt.

Das wird so bald aber nicht passieren. Die Welt ist immer noch in den Händen derselben Leute, die uns diesen Schlamassel eingebrockt haben. Ihr begrenzter Horizont und ihre Ideologie haben uns an diesen Punkt gebracht. Ihrer Beschränktheit entspringt sowohl der Glaube, Fluglinien könnten so günstig sein wie die Eisenbahn, als auch die Forderung nach öffentlichen Subventionen für das, was wir uns nicht leisten können. Erwarten Sie keine Veränderungen. Die Finanzkrise mag vorübergehen, aber der Sturm wird erst noch kommen.

Sunita Narain ist Direktorin des Zentrums für Wissenschaft und Umwelt in Neu-Delhi und Herausgeberin der indischen Zeitschrift „Down to Earth“.

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe
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