„Wir suchen das Gespräch“

In Bolivien ist es im September zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der Opposition und Anhängern der Regierung von Präsident Evo Morales gekommen. Auslöser war der Streit um die neue Verfassung Boliviens, die die Verfassungsgebende Versammlung vor einem Jahr verabschiedet hatte. Der Text stieß auf den starken Protest der europäischstämmigen Bevölkerung in den Provinzen des östlichen Tieflands, die nach mehr Autonomie streben (siehe „welt-sichten“ 9/2008, S. 32). Jetzt liegt ein überarbeiteter Entwurf vor, über den die Bevölkerung im Januar abstimmen soll.

Nach Gesprächen mit der Opposition hat die Regierung Morales den neuen Verfassungstext in über einhundert Punkten geändert. Ist die Polarisierung im Land damit überwunden?

Es ist sehr begrüßenswert, dass beide Seiten endlich aufeinander zugegangen sind und auf einen Teil ihrer Forderungen verzichtet haben. Meiner Einschätzung nach ist damit ein Kompromiss erreicht, der von einem großen Teil der Bevölkerung mitgetragen werden wird. Ich vermute deshalb, dass beim Referendum im Januar mehr als nur eine knappe Zwei-Drittel-Mehrheit für die neue Verfassung stimmen wird.

Hat die Kirche dazu beitragen können, dass beide Seiten jetzt zu einer Einigung gefunden haben?

Die bolivianischen Bischöfe sind nicht der Meinung, dass es Aufgabe der Kirche ist, zwischen Regierung und Opposition zu vermitteln. Schließlich ging es bei dieser Einigung um rein politische und oft ideologische Fragen, in die sich die Kirche nicht einmischen sollte. Hinzu kommt, dass beide Streitparteien reif genug sein sollten, ihre Auseinandersetzung selbst auszutragen. Im übrigen kam der Kompromiss letztlich vor allem deshalb zustande, weil die Nachbarstaaten vermittelt und auch einigen Druck ausgeübt haben.

Die Regierung war verärgert darüber, dass der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Erzbischof Julio Terrazas, im Frühjahr an der für illegal erklärten Abstimmung über die Autonomie der Provinz Santa Cruz teilgenommen hat. Zu Recht?

Der Erzbischof hat seine Rechte als Bürger wahrgenommen. Das sollte ihm nicht verweigert werden. Auch wir Bischöfe sind manchmal in Einzelfragen geteilter Meinung, und wir diskutieren mitunter in der Konferenz. Am Ende aber kommen wir immer zu einer gemeinsamen Sicht der Dinge. So sind wir beispielsweise der Auffassung, dass die jetzige Regierungsweise zentralistische Tendenzen hat, und wir warnen davor, dass sie nicht totalitäre Züge annimmt.

Also äußert die Bischofskonferenz durchaus eigene Positionen auch zu politischen Fragen?

In Grundsatzfragen nimmt die Kirche natürlich eine eigene Position ein. So hat sich die katholische Kirche bei der Zweiten Vollversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Medellin 1968 dazu bekannt, auf der Seite der Armen zu stehen. Hier in Bolivien hat das dazu geführt, dass sich die Bischofskonferenz für mehr politische Partizipation ausgesprochen hat. Sie hat auch auf die Dringlichkeit einer Landreform aufmerksam gemacht. Das alles hat die Kirche schon getan, bevor Morales, der diese Themen ja ebenfalls betont,  Präsident wurde. Trotzdem wird gerade die Kirche von Teilen der gegenwärtigen Regierung immer wieder angegriffen. Sie werfen uns eine koloniale Vergangenheit vor und unterstellen uns, nur auf den eigenen Vorteil aus zu sein.  Als die Kirche etwa für die Beibehaltung der kirchlichen Schulen gekämpft hat, wurde uns vorgeworfen, wir wollten nur unsere Macht erhalten.

Was tut die Kirche, um dennoch im Dialog mit der Regierung zu bleiben?

Wir suchen das Gespräch mit der Regierung, und manchmal kommt sie mittlerweile auch auf uns zu. Schließlich genießt die Kirche unter der Bevölkerung und speziell unter den Bauern, den Campesinos, großen Respekt. Auch die Regierungsmitglieder sind in ihrer Mehrheit katholisch. Unsere Gemeinsamkeiten bei einigen zentralen Zielen werden von immer mehr Regierungsmitgliedern anerkannt. Die Regierung darf aber nicht erwarten, dass wir uns ganz auf ihre Seite stellen. Die Kirche muss auf ihrer Rolle als Beobachterin und als Begleiterin auf der Basis des Evangeliums bestehen.

Zurück zum Verfassungsstreit: Wird die Kirche die Gläubigen dazu aufrufen, im Januar dem Kompromiss zuzustimmen?

Das würden wir Bischöfe als Einmischung in direkte politische Fragen verstehen und werden das deshalb nicht tun. Wir werden aber dazu aufrufen, weiterhin das Gespräch zu suchen und die Argumente der jeweiligen Gegenseite anzuhören. Der Dialog zwischen Regierung und Opposition muss weitergehen, weil die Einigung auf die Verfassung nicht alle Streitfragen für immer löst. Es kann  jederzeit erneut zu Auseinandersetzungen kommen, sobald es um die Umsetzung der Inhalte in Gesetze geht. Die Kirche wird dann dazu aufrufen, den Konflikt mit friedlichen Mitteln auszutragen. Gewalt kann auf keinen Fall akzeptiert werden.

Das Gespräch führte Bettina Stang.

Edmundo Abastoflor ist Erzbischof von La Paz

erschienen in Ausgabe 12 / 2008: Wirkung der Entwicklungshilfe

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