Afrikanischer Frühling

Die Volksaufstände in Tunesien, Ägypten und Libyen haben ihren stärksten Widerhall in der arabischen Welt gefunden. Aber auch im südlichen Afrika haben viele Menschen die Revolten genau verfolgt, vor allem dort, wo sie unter autoritären Herrschern leiden. Trotz vielfacher Proteste hat die Bewegung aber bislang wenig Schlagkraft entfaltet.
Die Umbrüche im Maghreb seit der Jasmin-Revolution machen auch einige Herrscher im südlichen Afrika nervös. Angolas Präsident Eduardo dos Santos herrscht seit 32 Jahren mit einer kleinen, steinreichen Oligarchie und einem Geheimdienst, der zu den bestbezahlten in Afrika gehört, über die Partei, den Staat und eine weitgehend arme Bevölkerung. Er hat das Zentralkomitee seiner Partei vor „confusão“ gewarnt: Gewisse Leute versuchten, auch in Angola „Verwirrung“ zu stiften, vor allem mit den sozialen Medien wie Facebook und Twitter. Man müsse diese Opportunisten festnehmen. Das Regime von dos Santos hat versucht, mit einem strengen Gesetz die Nutzung von Internet und Smartphones einzuschränken, musste den Antrag aber unter dem Proteststurm von Organisationen der Zivilgesellschaft und Menschenrechtsgruppen zurückziehen.
 

Autor

Rudolf Küng

beschäftigt sich seit über 30 Jahren mit Afrika. Er hat in Uganda, Südafrika, Sudan und Kenia gelebt und war zwölf Jahre Afrikakorrespondent des Schweizer Radios DRS. Er betreibt die Firma InfoAfrica.ch.

Robert Mugabe, seit 31 Jahren in Simbabwe an der Macht, ließ im Februar dieses Jahres 46 Aktivisten verhaften und unter dem Vorwurf anklagen, sie hätten eine „Revolte in ägyptischem Stil“ anzetteln wollen. Sechs von ihnen hatten Videos der Revolutionen in Tunesien und Ägypten angeschaut, die anderen – Studenten und Gewerkschafter – an einer Diskussion über die nordafrikanischen Revolutionen und deren Bedeutung für Simbabwe teilgenommen. Auch Yoweri Museveni, seit 25 Jahren Präsident in Ugandas, beschuldigte die Opposition, nach ägyptischem Vorbild zu handeln, und drohte den Demonstranten, er werde sie „verschlingen“. Polizeieinsätze mit Gewalt führten im Mai zu schweren Konfrontationen mit mehrheitlich jugendlichen Protestierenden. Hunderte von ihnen wurden verletzt, mindestens zehn getötet.

Mit ihren scharfen Reaktionen verraten die afrikanischen Machthaber ihre Beunruhigung über den Unmut in der Bevölkerung. In mindestens zwölf afrikanischen Ländern südlich der Sahara haben dieses Jahr die Menschen gegen die hohen Nahrungsmittelpreise protestiert, wie das August-Heft von Foreign Policy feststellt. Die Missstimmung geht aber darüber hinaus. In Malawi demonstrierten im Juli Hunderttausende gegen Präsident Bingu wa Mutharika, weil er seit seinem deutlichen Wahlsieg 2009 immer autokratischer regiere, zu viel Geld für einen Präsidentenjet und Auslandsreisen ausgegeben und seinen Sohn als „Thronfolger“ bestimmt habe. Bei ihren brutalen Einsätzen gegen die Demonstranten tötete die malawische Polizei mindestens 18 Personen.

Im Senegal richteten sich schwere Proteste im Juni vor allem gegen das Ansinnen von Präsident Abdoulaye Wade, die Verfassung so zu ändern, dass er eine dritte Amtszeit regieren könnte. Die Regierung bot die Armee auf, die mit gepanzerten Fahrzeugen und einem Kampfhubschrauber eingriff, ein einmaliger Vorgang in der jüngeren senegalesischen Geschichte. In Burkina Faso protestierten zuerst Schüler und Studenten wegen des Todes eines Kollegen in Polizeigewahrsam. Soldaten schlossen sich ihnen an. In mehreren Städten weitete sich ihr Protest zu Meutereien aus, Soldaten plünderten und zerstörten Geschäfte und Läden. Daraufhin ging die Bevölkerung auf die Straße, um ihrem Zorn über die Sachbeschädigungen, aber auch über das teure Leben und die Arbeitslosigkeit Luft zu machen. Nach anfänglicher Gesprächsbereitschaft ließ Präsident Blaise Compaoré, der das westafrikanische Land seit 24 Jahren regiert, die Protestaktionen unterdrücken. Mit einer Umbildung der Regierung konnte er die Lage etwas beruhigen. Auch im Sudan haben dieses Jahr wiederholt Unzufriedene öffentlich gegen die hohen Lebenshaltungskosten, aber auch gegen die Allmacht der Regierungspartei protestiert; Ende Oktober in der Stadt Kassala im Osten. Nach harten Polizeieinsätzen mit zahlreichen Verhaftungen gelten rund 20 Demonstranten als vermisst.

Schon vor dem arabischen Frühling haben die Menschen vielerorts auf dem afrikanischen Kontinent ihrem Frust Ausdruck verschafft. In Guinea, das seit der Unabhängigkeit von Frankreich 1958 fest im Griff von Militärdiktatoren gewesen war, machte der Tod Lansana Contés im Dezember 2008 die demokratische Wende möglich. Dazu trugen der demokratische Wille und die Durchsetzungskraft des Armeegenerals Sekouba Konaté ebenso bei wie große Demonstrationen von politischen Parteien und zivilgesellschaftlichen Organisationen, bei denen Armee und Polizei weit über hundert Menschen töteten und mehr als tausend verletzten. Die ersten demokratischen Wahlen im Land gewann der langjährige Oppositionelle Alpha Condé. Seit Ende Dezember 2010 ist er Präsident.

Im Niger verhalfen Militärs der Demokratie ebenfalls zum Sieg, als der Präsident Mamadou Tandja nach zehn Jahren Amtszeit nicht zurücktreten wollte, wie es die Verfassung vorsah. Da Proteste von Parteien und aus der Zivilgesellschaft Tandja nicht von seinem Vorhaben abbringen konnten, stürzte ihn im Februar 2010 eine Militärjunta. Diese ließ ein Jahr später wie versprochen Wahlen abhalten, aus denen der sozialdemokratische Oppositionsveteran Mahamadou Issoufou als Sieger hervorging.

Jedes Land hat seine eigene Geschichte und seine eigenen politischen, sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Gegebenheiten. So müssen politische Umwälzungen in jedem Staat im Einzelnen analysiert werden. Dennoch verspricht ein Vergleich interessante Einsichten, denn zahlreiche Staaten nördlich und südlich der Sahara sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich. Die Mehrheit der Bevölkerung ist sehr jung. Durchschnittlich liegt der Altersmedian in Afrika bei 19 Jahren, die Hälfte der Bevölkerung ist somit höchstens 19 Jahre alt. Der Median in Europa liegt bei 40 Jahren. Die Bevölkerung in den Städten nimmt aufgrund der Migration vom Land und dem hohen Bevölkerungswachstum rasant zu. Immer mehr Jugendliche mit einer Grundschulbildung leben in städtischen Milieus, die meisten von ihnen sind arbeitslos. Vom anhaltenden Wirtschaftswachstum vieler afrikanischer Länder profitiert lediglich eine kleine Minderheit. Die Kluft zwischen den reichen und superreichen Eliten und den armen Massen weitet sich immer mehr. Der US-amerikanische Ökonom Jeffrey Sachs hält das für eine Folge der Globalisierung.

In mindestens 20 Ländern südlich der Sahara sind ferner die Regime – wie im Maghreb – seit zwanzig Jahren oder länger an der Macht. Ihre Staatschefs sind autoritär oder diktatorisch. Ihre Sicherheitsapparate dienen dazu, ihre Macht zu sichern. Sie sind dazu ausgebildet, Oppositionelle auszuschalten, die Bevölkerung unter Kontrolle zu halten und Freiheiten und Rechte einzuschränken. Diese Gemeinsamkeiten lassen auf eine ähnliche Ausgangslage in den afrikanischen Staaten schließen wie in den Maghreb-Ländern: Städtische Jugendliche sind mit ihrem Zorn auf die diktatorischen Regime und deren reiche Klientel und Verwandte ein wichtiger Träger der Revolte. Der Ferrari des Präsidentensohnes mache die jungen Leute zorniger als der Entwicklungsrückstand ihres Landes gegenüber dem Norden, meint der kenianische Journalist John Githongo. Doch nur in Guinea und im Niger ist den Volksprotesten ein Machtwechsel gefolgt, der im Übrigen nicht als gesichert gelten kann. Wie in Ägypten hat dabei das Verhalten der Armeeführung eine entscheidende Rolle gespielt.

Die Revolutionen im Maghreb haben nach Süden ausgestrahlt und den Demokratiewunsch der Bürgerinnen und Bürger sowie die Hoffnung von Aktivisten und Oppositionellen gestärkt. Anders aber als in Ägypten, Tunesien und Libyen haben die Proteste in Guinea und Niger wie überall sonst in Afrika südlich der Sahara viel weniger Menschen und lediglich für eine viel kürzere Dauer mobilisieren können.

Die Gründe dafür sind vielfältig. Afrikanische Gesellschaften haben mitunter eine „autistische“ Tendenz: Was anderswo geschieht, ist anderswo und hat nicht unbedingt mit dem zu tun, was sich im eigenen Land ereignet. Wenn es zu einer Identifikation mit der Situation in anderen Gesellschaften kommt, richtet diese sich eher auf andere Sub-Sahara-Länder als auf die arabischen in Nordafrika. Ein weiterer Grund liegt wohl in dem Umstand, dass die Gesellschaften im südlichen Afrika stark in ethnisch-politische, religiöse und regionale Gruppen gespalten sind. Das erleichtert es den Politikern, ethnische oder religiöse Spannungen in der Bevölkerung anzuheizen und so den Widerstand zu schwächen. Loyalitäten werden selbst dem ruchlosesten Herrscher zuteil, nämlich aus dem Kreis seiner Volksangehörigen und Günstlinge. Das erschwert die Bildung eines breit verankerten kollektiven Bewusstseins. Und noch mehr eines kollektiven Selbstbewusstseins, Macht zu besitzen.

Die Organisationen der Zivilgesellschaft und besonders die Opposition sind oft in ähnlicher Weise gespalten wie die Gesellschaft und finden nur schwer einen Zusammenhalt. Die Machthaber setzen alle juristischen und polizeilichen Mittel ein, um die Zivilgesellschaft einzuschränken und zu schwächen und die Tätigkeiten der Opposition zu erschweren. Die Loyalität der wichtigsten Armee- und Polizei-Einheiten, die im Ernstfall die Demonstrationen zerschlagen, sichern sich die Machthaber, indem sie sie mit Leuten des eigenen Klans besetzen, gut ausrüsten und bezahlen. Dass man sich damit auch nach verlorenen Wahlen an der Macht halten kann, führt Simbabwes Robert Mugabe bis heute vor.

Um den Ländern südlich der Sahara gerecht zu werden, müssen die Manifestationen des Volkszorns als eigenständige Zeichen eines gesellschaftlichen Wandels gesehen werden: als Zeichen eines afrikanischen Frühlings – nicht als das revolutionäre Feuer, das sich vom Maghreb aus südlich der Sahara in Afrika ausgebreitet hat. Nicht alle Proteste übrigens fordern einen Machtwechsel. Im demokratischen Musterland Südafrika etwa finden schon seit mehreren Jahren jährlich hunderte Demonstrationen gegen Missstände in der öffentlichen Verwaltung statt. Dennoch erhält die Regierungspartei, die dafür verantwortlich ist, bei Wahlen jeweils mehr als 60 Prozent der Stimmen. Die Proteste in Südafrika sind mehr ein Ausdruck von demokratischen Freiheiten als Zeichen von Umsturzbegehren. Allerdings werden diese Freiheiten von einer nach Geld und Macht gierigen Hierarchie bedroht.

Der Wunsch nach Demokratie, der Wille, jene, die regieren, wählen zu können, ist in der afrikanischen Bevölkerung stark und weit verbreitet. Das beweisen immer wieder die langen Warteschlangen der Wähler und Wählerinnen vor den Wahllokalen. Vielerorts entspricht der formellen Demokratie von Mehrparteienwahlen jedoch keine wirkliche Demokratie im Sinn einer echten Beteiligung der Bevölkerung am staatlichen Geschehen, mit Redefreiheit, freien Medien und Achtung der Rechte. Vielmehr benutzen clevere Machteliten das Spiel der formalen Demokratie dazu, die Opposition auf Trab zu halten, während sie gleichzeitig mit Fälschungen den eigenen Wahlsieg sichern.

Doch Afrika ist in Bewegung. Die Jugendlichen in den Megastädten suchen nach neuen Horizonten. Die Gesellschaft von Burkina Faso habe sich von Grund auf verändert, sagte Regierungschef Luc-Adolphe Tiao im Oktober in seiner Rede zur Lage der Nation. Grund dafür sei eine neue Generation Jugendlicher, die weltoffen seien, mit den Informations- und Kommunikationstechnologien vertraut und darauf bedacht, ihre materiellen Interessen schnell verwirklichen zu können.

Das kräftige Wirtschaftswachstum weckt nicht nur Begehrlichkeiten, sondern schafft auch Chancen für den ökonomischen Aufstieg. Und es hat eine, wenn auch noch kleine, Mittelschicht entstehen lassen. Das kann der Nährboden sein für weitere Einforderungen demokratischer Rechte. Diese müssen nicht unbedingt als Protestmärsche auf der Straße stattfinden. Sie können sich auch im beharrlichen Einsatz für eine neue, demokratischere Verfassung äußern wie im vergangenen Jahr in Kenia.

Gefahren lauern dem afrikanischen Frühling von allen Seiten, so wie dem arabischen auch. Smartphones zum Beispiel wurden im Verbund mit den sozialen Medien Twitter und Facebook als treibende Kräfte der Revolution in Ägypten bezeichnet. In Kenia befürchtet der Journalist John Githongo, sie könnten in der Hand von Übeltätern dazu verwendet werden, den Milizen und Schlägertrupps Instruktionen für Gewalttaten durchzugeben, wie es nach den Wahlen vom Dezember 2007 der Fall war.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2011: Bodenschätze: Reiche Minen, arme Länder
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