Neue Rezepte gegen alte Plagen

Ein Fünftel der Weltbevölkerung ist von Krankheiten betroffen, die zum Teil wenig erforscht sind und gegen die es deshalb keine Medikamente gibt. Der Grund: Die Patienten leben vor allem in armen Ländern, haben wenig Geld und sind für die Pharmaindustrie als Kunden uninteressant. Partnerschaften zwischen Regierungen, nichtstaatlichen Organisationen und Unternehmen können helfen, das Problem zu lindern.

Kennen Sie das auch? Man trifft sich mit Freunden zu einem geselligen Abend und plötzlich redet jeder nur noch über seine Zipperlein: Der eine hat’s mit dem Meniskus, der nächste einen Tinnitus und wieder einer jammert über seine zu hohen Cholesterinwerte. Wäre es nicht manchmal besser, unsere Wehwehchen einfach zu vergessen und sich einen schönen Abend zu machen? Und doch gibt es Krankheiten, die nicht vergessen werden dürfen: Die sogenannten vernachlässigten Tropenkrankheiten machen den ärmsten Teilen der Weltbevölkerung schwer zu schaffen.

Autor

Dr. Rainer Brockhaus

ist Direktor der Christoffel-Blindenmission Deutschland.

Neben altbekannten Plagen der Menschheit wie Malaria und Tuberkulose sind mittlerweile eine Reihe weiterer Krankheiten auf dem Vormarsch und bedrohen die Gesundheit vor allem ärmerer Menschen: Die Afrikanische Schlafkrankheit, die lymphatische Filariose oder Elefantiasis, die Augenkrankheit Trachom oder die von Schnecken verbreitete Wurmkrankheit Bilharziose treten meistens in Entwicklungs- und Schwellenländern auf. Einige der Krankheiten sind tödlich, andere verursachen – vor allem bei Kindern – dauerhafte Behinderungen, die zu sozialer Ausgrenzung führen, den Zugang zu Bildung erschweren und Arbeitsunfähigkeit zur Folge haben können. Rund 1,4 Milliarden Menschen sind nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation von diesen Krankheiten betroffen, weitere zwei Milliarden bedroht. Jährlich sterben eine halbe Million Menschen daran.

Die meisten der Erkrankten leben von weniger als einem Dollar pro Tag, häufig sind sie in Kriegs- oder Krisengebieten zu Hause. Preiswerte Medikamente sind entweder im Land nicht verfügbar oder die Familien können sie sich nicht leisten. Die Folge: Die betroffenen Familien rutschen tiefer in die Armut. Denn wer dauerhaft krank ist oder durch eine dieser Erkrankungen behindert wird, kann erst recht nicht für den Lebensunterhalt seiner Familie sorgen. Die Arbeitsunfähigkeit zieht wiederum prekäre Lebensverhältnisse nach sich. Kurz gesagt: Armut verursacht Krankheit, Krankheit verursacht Armut – ein Teufelskreis.

Die Staatengemeinschaft hat sich in den Millenniumszielen dazu verpflichtet, Kinder- und Müttergesundheit zu verbessern und gegen schwere Krankheiten vorzugehen. Doch es gibt zu wenig preiswerte und wirksame Arzneimittel, um diese Krankheiten zu behandeln oder ihnen vorzubeugen. Dabei ist der Zugang zu Medizin eine wesentliche Voraussetzung, um das Menschenrecht auf Gesundheit zu verwirklichen.

Einige dieser exotischen Krankheiten sind kaum erforscht; nur wenige Pharmaunternehmen interessieren sich dafür, denn die Patienten sind keine kaufkräftige Zielgruppe. Weniger als zwei Prozent der zwischen 1975 und 2004 entwickelten pharmazeutischen Wirkstoffe zielten auf vernachlässigte Tropenkrankheiten. Dabei ist die Zusammenarbeit zwischen Regierungen, Pharmaunternehmen, der Weltgesundheitsorganisation, Betroffenen und Entwicklungspartnern der einzige Weg, um vernachlässigte Krankheiten erfolgreich zu behandeln. Mit Unterstützung des Unternehmens Pfizer zum Beispiel konnte die Christoffel-Blindenmission 2010 mehr als eine Million Menschen mit Antibiotika gegen die Augenkrankheit Trachom behandeln. Zusammen mit der Firma MSD gehen wir erfolgreich gegen Flussblindheit vor.

Die Bundesregierung will 20 Millionen Euro zur Unterstützung von sogenannten Produktentwicklungspartnerschaften bereitstellen, in denen öffentliche Einrichtungen und private Unternehmen ihre Kräfte bündeln, um neue Medikamente herzustellen. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch wir werden nur dann erfolgreich sein im Kampf gegen vernachlässigte Tropenkrankheiten, wenn die G8-Mitgliedsstaaten ihren mehrfach erneuerten Versprechen Taten folgen lassen: Zusammen mit Regierungspartnern und Entwicklungsorganisationen müssen sie die Gesundheitssysteme der am wenigsten entwickelten Länder stärken, ihre Forschung intensivieren und aktiv für einen verlässlichen Zugang zu erschwinglichen Medikamenten eintreten.

Nur wenn wir uns stärker gemeinsam bemühen, diese vernachlässigten Krankheiten zu bekämpfen, können die Millenniumsziele bis 2015 erreicht werden. Und erst dann ist auch eine Grundlage für den wirtschaftlichen Fortschritt in den betroffenen Ländern gelegt.

 

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erschienen in Ausgabe 5 / 2012: Digitale Medien: Das Versprechen der Technik

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