„Subventionierte Kreditprogramme sind ein Problem“

Die ökumenische Kreditgenossenschaft Oikocredit arbeitet seit 2005 in Kaukasusländern wie Armenien, Aserbaidschan und Georgien. Seitdem ist die Nachfrage nach Mikrokrediten dort deutlich gewachsen, der Wettbewerb zwischen den Mikrofinanzinstitutionen verschärft sich. Laut Amber O’Connell, die bei Oikocredit den Kaukasus betreut, ist der Sektor in der Region insgesamt gut reguliert. Die Kreditvergabe muss aber weiter kontrolliert werden, um eine Überschuldung von Kreditnehmern zu verhindern.

Mikrokredite sind in die Diskussion geraten, seit sich im indischen Bundesstaat Andhra Pradesh immer mehr Kreditnehmer überschuldet haben. Kann das im Kaukasus auch passieren?

Überschuldung ist ein Risiko, das in jedem Land überwacht werden muss. Aber die Situation im Kaukasus ist ganz anders als in Indien, etwa bei der Regulierung von Mikrofinanzinstitutionen (MFI). Im Kaukasus wird das Wachstum des Sektors stärker kontrolliert und die Systeme sind besser institutionalisiert. Armenien hat etwa ein sehr gutes System von Kreditbüros, das von der Regierung gefördert wird. Alle MFI müssen den Büros die Kredite melden, die sie gewähren. Umgekehrt können sie sich dort über Kunden informieren, denen sie einen Kredit geben wollen. Sie erfahren so auch, ob ein Kunde bereits bei einer anderen Institution Geld geliehen hat. Im Kaukasus besteht noch ein großer Bedarf an Mikrofinanz.

Wer drängt auf diesen Markt?

Es gibt viele Mikrofinanzinvestoren, Entwicklungsbanken und andere Investoren, von denen einige große Geldbeträge platzieren wollen. Es gibt ein großes Interesse an diesen Ländern und einen wachsenden Wettbewerb, so dass dorthin noch viel Geld fließen wird. Die MFI müssen aber in der Lage sein, ihr Wachstum zu steuern und sich genau überlegen, wie sie ihr Geld vergeben. Wir beobachten die Situation sehr sorgfältig.

Seit wann arbeitet Oikocredit im Kaukasus?

Unseren ersten Kredit haben wir 2005 vergeben. Inzwischen arbeiten wir mit 14 Partnern in Armenien, Aserbeidschan und Georgien und erreichen ungefähr 420.000 Menschen. Ich habe mein Büro in Amersfoort, reise aber mindestens einmal jährlich in jedes der Länder. Außerdem haben wir noch ein Länderbüro in Russland.

Werden die Kredite wie in Indien bevorzugt an Frauen vergeben?

Nein, die Programme richten sich an Frauen und Männer gleichermaßen. Sie werden meist an Familien vergeben. Die Mehrzahl der Kunden lebt auf dem Land. Die Kredite verwenden sie für Landwirtschaft und Handel.

Manche Experten sagen, dass die ärmsten Menschen mit Mikrokrediten gar nicht erreicht werden. Stimmen Sie dem zu?

Ja, ich glaube, die Ärmsten haben andere Bedürfnisse. Aber zweifellos gehen die Kredite an arme Menschen und sie tun damit großartige Dinge. In der vergangenen Woche habe ich in Armenien eine Bauernfamilie mit drei Kindern besucht. Bevor sie den Kredit bekamen, haben sie ausschließlich Gemüse angebaut. Jetzt stellen sie zusätzlich Honig her, backen Brot und ziehen Tiere auf. Solche Beispiele finde ich überzeugend.

Wie viel Geld bekam die Familie?

Ihr vierter Kredit lag bei etwa 5000 US-Dollar. Im Durchschnitt betragen die Kredite im Kaukasus zwischen 1000 und 3000 US-Dollar. Die Leute haben ein bis zwei Jahre Zeit, sie zurückzuzahlen.

Wie zuverlässig bezahlen die Kunden ihre Kredite zurück?

In Armenien gab es eine schwierige Phase nach der globalen Wirtschaftskrise. Das Land ist von der Weltwirtschaft abhängig, weil viele Armenier im Ausland leben und arbeiten und ihre Familien mit Überweisungen unterstützen. Deshalb stieg die Zahl derer, die ihre Kredite bei Fälligkeit nicht zahlen konnten. Aber seitdem hat sich die Lage verbessert.

Laut Experten brauchen arme Menschen außer Mikrokrediten auch Mikroversicherungen und Möglichkeiten, Geld zu sparen, damit sich ihre Lage verbessert. Wird das von Oikokredit unterstützt?

Ja, aber wir müssen einen Weg finden, wie wir die Entwicklung dieser Produkte unterstützen können. Unsere Partner sind in der Mehrzahl keine Banken, sie dürfen keine Spareinlagen annehmen und keine Versicherungen anbieten. Wir haben regionale Netzwerke gefördert, die sich dafür einsetzen, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Das Mikrofinanz-Netzwerk in Aserbaidschan will Möglichkeiten schaffen, Kredite in der Landwirtschaft abzusichern. Das ist sehr wichtig, denn viele Menschen hängen von der Landwirtschaft ab und wenn es eine schlechte Ernte gibt, bringt das das ganze Land in Schwierigkeiten.

Mit welchen Schwierigkeiten sind Mikrofinanzinstitutionen im Kaukasus konfrontiert?

Das sind vor allem der zunehmende Wettbewerb, das Problem, Fördermittel in lokaler Währung zu bekommen, die zu ihrem Portfolio passen, sowie subventionierte Kreditprogramme. Letztere können zwar temporär unterstützend wirken, unterminieren aber auch nachhaltige Aktivitäten der MFIs. Viele Kunden wollen niedrigere Zinsen und höhere Kreditbeträge. In Armenien wird das verschärft durch Regierungsprogramme, die Kredite zu sehr niedrigen Zinsen vergeben. Damit können MFIs nicht konkurrieren. Für den Erhalt des Sektors ist es wichtig, dass sie ihre eigenen Kosten decken können und effi zient arbeiten. Unsere Partnerorganisationen gehen mit den Kunden deren Wirtschaftspläne durch – was dazu führen kann, dass diese weniger Geld bekommen als gewünscht. Für uns ist es sehr wichtig, dass die Partner ein gutes Verständnis dafür haben, was die Kunden wirklich stemmen können, welches Produkt am ehesten ihren Bedürfnissen entspricht und was sie brauchen, um ihren Geschäftsplan zu verwirklichen.

Musste einer Ihrer Partner in der Finanzkrise aufgeben?

Nein, zum Glück nicht. Sie hatten eine schwierige Zeit, aber sie haben sie alles in allem gut durchgestanden. Im vergangenen Jahr ist die Zahl der ausfallgefährdeten Kredite in der Region sogar gesunken.

Das Gespräch führte Gesine Kauffmann.


Amber O’Connell
ist seit 2010 bei Oikocredit für Programme im Kaukasus zuständig.

 

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erschienen in Ausgabe 8 / 2011: Die Jagd nach dem dicksten Fisch
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