Kein neues Paradigma

EU-Entwicklungspolitik
Ein geleaktes EU-Papier zur Entwicklungspolitik sorgt vor allem bei Hilfsorganisationen für Aufregung. Doch die ist nur teilweise berechtigt, kommentiert Tillmann Elliesen.

Tillmann Elliesen ist Redakteur bei "welt-sichten".

360 Grad. Das soll künftig der Fokus der Entwicklungspolitik der Europäischen Union (EU) sein. Gemeint ist: Mit Geld aus einer Vielzahl von Quellen – vor allem privaten – investiert die EU in Afrika, Asien und Lateinamerika in Infrastruktur, stärkt dort Institutionen des Staates und fördert Reformen in Politik und Wirtschaft, um Handel und Investitionen zu beschleunigen. Ein abgestimmter Rundumschlag also und kein Klein-Klein über viele einzelne Projekte. 

So formulieren es Beamte der für internationale Partnerschaften zuständigen Generaldirektion in der EU-Kommission in einem Papier, das das Onlineportal „Politico“ unlängst geleakt hat. Die 20 Seiten sind als Handreichung für die nächste Kommission gedacht, die nach den Wahlen zum Europäischen Parlament ihre Arbeit aufnehmen wird.

Bei Hilfs- und Advocacy-Organisationen sorgt das Papier für Aufregung, denn gleich zu Beginn heißt es: Die entwicklungspolitische Zusammenarbeit mit „strategischen Partnern“ der EU sollte vor allem wirtschaftlichen Interessen der Union folgen und „nicht so sehr traditionellen und engen Ansätzen der Entwicklungs- und der Außenpolitik“. Die Wirtschaft sei heute das maßgebliche Spielfeld im geopolitischen Wettstreit, schreiben die EU-Beamten, und das Papier macht kein Geheimnis daraus, dass die Entwicklungspolitik dazu beitragen soll, die Position der EU in diesem Wettstreit zu stärken.

Eine "schockierende Wende"?

Das Netzwerk europäischer Hilfsorganisationen Concord kritisiert das Papier als „schockierende Wende“: Nicht mehr nachhaltige Entwicklung, Armutsbekämpfung und die Förderung von Menschenrechten stünden an erster Stelle, sondern Wettbewerb und EU-Interessen. Der Europadirektor des Hilfswerks Save the Children spricht von einem „Paradigmenwechsel in der EU-Entwicklungspolitik“.

Ja, das geleakte Papier macht klar, dass internationale Partnerschaften den wirtschaftlichen und politischen Interessen der EU dienen müssen – Begriffe wie Entwicklungspolitik und Armutsbekämpfung kommen auf den 20 Seiten nicht vor. Aber davon kann nur geschockt sein, wer verschlafen hat, wie Brüssel in den vergangenen Jahren ihre Entwicklungspolitik umgebaut hat: Spätestens mit dem Start ihres Flaggschiffs Global Gateway vor drei Jahren, dem Infrastruktur-Investitionsprogramm, mit dem die EU China im globalen Süden Paroli bieten will, ist der Kurs klar; das neue Papier markiert insofern keinen Paradigmenwechsel, sondern bestätigt die bereits eingeschlagene Richtung und fordert, nicht von ihr abzuweichen.

Die EU will ihr Image aufpolieren

Neu ist allerdings, wie stark die EU darauf pocht, ihre Rivalen nicht nur durch bessere Politik zu schlagen, sondern auch ihr Image aufzupolieren. Die EU sei der größte Geber von Entwicklungshilfe und eine tragende Säule des multilateralen Systems, heißt es in dem Papier. Aber in der öffentlichen Meinung hinke sie anderen „strategischen Spielern“ weit hinterher: „Andere tun weniger, verkaufen es aber besser.“ Die nächste Kommission müsse die Art „drastisch ändern, wie wir unsere internationalen Partnerschaften kommunizieren“. Die Autoren des Papiers plädieren für Kampagnen mit lokalen Influenzern in lokalen Sprachen, um die Anliegen der Bevölkerung in den Partnerländern mit dem Engagement der EU zu verknüpfen. Man darf gespannt sein, wie weit Brüssel zu gehen bereit ist in einem solchen Kommunikationswettstreit mit Wettbewerbern wie Russland, die skrupellos öffentliche Debatten manipulieren und vergiften.

Mit dem geleakten Papier erklärt die EU die Entwicklungspolitik einmal mehr zur Arena geopolitischer Rivalität vor allem mit China. Einmal mehr versäumt sie es, mutig die Perspektive zu wechseln und die Entwicklungspolitik umgekehrt als eines der wenigen verbleibenden Politikfelder zu sehen, in denen Kooperation mit Peking noch möglich wäre, etwa um gemeinsam im globalen Süden gegen Armut, Hunger und den Klimawandel zu kämpfen. Das wäre ein kluger Paradigmenwechsel gewesen.

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