Einseitige Empörung

Der Westen hat sich auf die Homophobie in Afrika eingeschossen. Er tut, als wäre der Schwulenhass das größte Menschenrechtsproblem des Kontinents. Das lenkt von wichtigen Missständen ab und spielt afrikanischen Demagogen in die Hände.

Wann immer in Afrika ein Gesetz gegen Homosexualität zur Debatte steht, sagen westliche Regierungen Staatsbesuche ab, drohen mit dem Ende der Hilfszahlungen und dem Rückzug von Unternehmen. Jüngst in Nigeria und Uganda, wo neue Anti-Schwulen-Gesetze zur Abstimmung standen. Als Nigerias Präsident Goodluck Jonathan Anfang des Jahres ein Gesetz gegen Homosexualität verabschiedete, wurde er von vielen Nigerianern (und anderen Afrikanern) als Held gefeiert, weil er sich den liberalen Launen des Westens nicht gebeugt hatte. Ugandas Präsident Yoweri Museveni stand dagegen als Schwächling da, als er ein ähnliches Gesetz in seinem Land stoppte.

Viele Stimmen aus dem Ausland verurteilen die Attacken gegen Schwule. Und das zu Recht. Homosexuelle in Afrika haben es besonders schwer, Bedrohung, Folter, Tot und Ausgrenzungen sind real. Die Mahnwachen und Proteste von London über New York bis in die Niederlande haben den Schwulen in Afrika gezeigt, dass sie nicht alleine sind. Aber wo sind die Mahnwachen für die Opfer anderer Menschenrechtsverletzungen?

Das Afrika ein „neues“ Schwulen-Problem hat, heißt ja nicht, dass andere altbekannte Missstände behoben sind. Noch immer sterben viele Frauen bei der Geburt, bittere Armut ist weiterhin an der Tagesordnung und von einer vernünftigen Bildung und einem intakten Gesundheitswesen können die Kinder des Kontinents nur träumen. Wo also sind die Mahnwachen für die sterbenden Frauen und Kinder? Für die Haushaltssklaven und für den an Aids erkrankten Mann, der seine tägliche Dosis Medikamente mit seiner Ehefrau teilen muss?  

Oder hat sich die Welt so sehr an das afrikanische Elend gewöhnt, dass sie es nicht mehr weiter juckt? Es scheint, als müssten Schwulenrechte als willkommene Ablenkung vom Versagen der nationalen Regierungen und der internationalen Gemeinschaft herhalten. Verfolgt von ihrem schlechten Gewissen, klammern sie sich nun an einem neuen Problem fest.   

Kein Aufschrei bei der Diskriminierung von Frauen

Nur wenige Tage vor der Abstimmung über ein schwulenfeindliches Gesetz hat Uganda ein Gesetz verabschiedet, das es Frauen verbietet, Miniröcke und andere sexuell provozierende Kleidung zu tragen. Dass Frauen damit zum Sexobjekt degradiert werden, hat jedoch weit weniger Aufsehen erregt als die drohende Diskriminierung von Homosexuellen. Und das obwohl der Missbrauch von Frauen – von Vergewaltigungen über Polygamie bis zur häuslichen Gewalt – noch immer Normalität ist.

Zweifellos wäre die Anerkennung der Schwulenrechte ein großer Schritt für die Menschenrechte auf dem Kontinent. Wenn die Afrikaner die Rechte von Homosexuellen respektieren können, dann können sie jedermanns Rechte respektieren. Aber das Schwulenproblem verzehrt das Bild von Afrika. Die Regierungen nutzen es, um von anderen Problemen abzulenken. Nach dem Anti-Schwulen-Gesetz in Nigeria kümmert sich die besorgte Welt nur noch um die zunehmenden Übergriffe auf Homosexuelle – vergessen scheinen die schlechte Gesundheitsversorgung und die Korruption. 

Fadenscheinige Moralvorstellungen

Ein besonderer Spagat ist Ugandas Präsident Museveni gelungen. Er besänftigte die internationale Gemeinschaft, indem er sich weigerte, den Gesetzentwurf zu unterzeichnen, seine Begründung aber schürte zugleich den Hass auf Homosexuelle: Sie seien verzweifelte Außenseiter, die keine Strafen, sondern Hilfe bräuchten. Ignorante Regierungen in Afrika lassen radikale evangelikale Christen gewähren, die sich ihrerseits die Verzweiflung ihrer Anhänger zunutze machen und gegen sexuelle Minderheiten hetzen. Afrika ist zu einem betenden Kontinent geworden, auf dem fadenscheinige Moralvorstellungen wichtiger sind als die realen Probleme der Menschen.

Mit oder ohne Gesetze gegen Homosexuelle gibt es in Afrika noch viel zu tun im Bereich der Menschenrechte. Auch wenn Schwulenrechte wichtig sind, Afrika kann nicht allein durch die Unterdrückung Homosexueller definiert werden.

Schwulenfreundliche Diktatoren

Leider sind viele Menschen in Afrika homophob. Aber mir schaudert bei dem Gedanken, dass Politiker ihre Fehltritte allein wieder gut machen können, indem sie etwas schwulenfreundlicher auftreten. Die Ablehnung eines Gesetzes gegen Homosexuelle macht aus einem Diktator noch lange keinen Demokraten. Genauso wenig wie dadurch Jobs geschaffen oder die Kranken geheilt werden. 

Nachdem wir die Homophobie über koloniale Gesetze nach Afrika importiert haben, können wir nicht zulassen, dass der Westen uns jetzt vorschreibt, wie wir dagegen vorzugehen haben – auf Kosten anderer Menschenrechtsverletzungen. Das wäre ein Rückfall in koloniale Zeiten, in denen unsere Götter starben, weil wir die ihren verehrten.  

Aus dem Englischen von Sebastian Drescher.

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erschienen in Ausgabe 3 / 2014: Medizin: Auf die Dosis kommt es an
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