Die Männer rissen Thangjam Manorama aus dem Schlaf, nahmen die 32-Jährige mit und vergewaltigten sie. Am nächsten Tag lag ihr Leichnam entblößt und von Kugeln durchlöchert am Straßenrand. Die Täter waren 17 Kämpfer der Assam Rifles, einer paramilitärischen Miliz unter Kontrolle des indischen Innenministeriums. Zehn Jahre sind vergangenen seit der Julinacht in Manipur, dem Bundesland im äußersten Nordosten Indiens. Bis heute gab es keinen Prozess, keine Gerechtigkeit.
Diese Geschichte erzählt Nobokishore Urikhimbam oft, auch jetzt, Anfang April, in Berlin. Urikhimbam ist Generalsekretär und so etwas wie der Cheflobbyist der United NGO Mission Manipur (UNMM), eines Bündnisses von rund 200 Organisationen. Gemeinsam mit zwei Kolleginnen macht er in Deutschland auf die Situation in seiner Heimat aufmerksam, wo die Bevölkerung seit Jahrzehnten im Kreuzfeuer von Separatisten und staatlichen Sicherheitskräften lebt. Vor allem deren Gräueltaten prangern die Aktivisten an. Sie berichten von Regierungssoldaten, die junge Männer ausrauben und töten, von Polizisten, die Frauen vergewaltigen. Und von einer Justiz, der die Hände gebunden sind.
Autor
Sebastian Drescher
ist freier Journalist in Frankfurt und betreut als freier Mitarbeiter den Webauftritt von "welt-sichten".Undemokratisch und schädlich nennt Urikhimbam das Gesetz. So sehen es auch die indische Menschenrechtskommission und viele Politiker. 2004 versprach der damalige Ministerpräsident Manmohan Singh bei einem Besuch in Manipur ein „humaneres Sondergesetz“. Passiert ist nichts. „Die Führung in Delhi und die Regierungen der Bundesländer schieben sich gegenseitig den schwarzen Peter zu“, sagt Urikhimbam. Keiner traue sich, die Rechte des Militärs zu beschneiden.
Um Druck aufzubauen, sucht UNMM im Ausland Verbündete. Nach Deutschland kommen die Menschenrechtler, weil ihnen hier Entwicklungsorganisationen die Türen zu politischen Hinterzimmern öffnen. Und wegen der wirtschaftlichen und diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Ländern.
Allerdings reagiert die indische Regierung empfindlich, wenn ihre Menschenrechtspraxis kritisiert wird. Von der deutschen Regierung erwarten die Aktivisten deshalb keine Rückendeckung. Stattdessen treffen sie sich mit Unterstützern aus der Zivilgesellschaft, Beamten aus den Ministerien und Abgeordneten, die im Menschenrechtsausschuss sitzen oder der Deutsch-Indischen Parlamentariergruppe angehören.
Das Sondergesetz verstärkt die Unterdrückung der Frauen
Diese sollen das Anliegen in die Ausschüsse und Fraktionen tragen und bei Treffen mit indischen Parlamentariern oder dem Botschafter in Berlin ansprechen. Im besten Fall reisen die Politiker selbst nach Manipur. Ein Bild der Lage vor Ort schafft Aufmerksamkeit. Und am Interesse für den wirtschaftlich und politisch abgehängten Nordosten Indiens mangelt es nach Ansicht der Aktivisten hier wie dort.
Größer ist derzeit die Anteilnahme für die missliche Lage vieler indischer Frauen. Das machen sich die Aktivisten zunutze. Sobita Mangsatabam und Hechin Haokip erklären, wie das Sondergesetz die Unterdrückung der Frauen verstärkt. „50 Jahre unter AFSPA haben eine Kultur der Straffreiheit geschaffen, darunter leiden besonders die Frauen“, sagt Mangsatabam.
Deshalb hat UNMM im vergangenen Jahr die UN-Sonderberichterstatterin für Gewalt gegen Frauen, Rashida Manjoo, nach Manipur eingeladen. Im Juni präsentiert sie ihren Indien-Bericht dem Menschenrechtsrat in Genf. Von sexueller Gewalt, Folter und Misshandlungen im Zusammenhang mit AFSPA ist da die Rede. Die klaren Worte werden wirken, hofft Mangsatabam – weil sich die indische Führung um ihren Ruf sorge.
Dass die Kritik in einem internationalen Forum etwas bewirken kann, bewies 2012 bereits der UN-Berichterstatter für außergerichtliche Tötungen, Christof Heyns. Sein Bericht über die Verhältnisse im Nordosten trug dazu bei, dass der Oberste Gerichtshof Indiens anordnete, mehrere Fälle willkürlicher Tötungen zu untersuchen. Ein Etappensieg für die Aktivisten. Aber AFSPA bleibt. Wie lange noch, hängt nun auch von Indiens neuem Premier Narendra Modi ab, dem wenig Rücksichtnahme auf Minderheiten nachgesagt wird.
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