Die Kartoffeln wachsen wieder

Peru
Im peruanischen Hochland auf fast 4000 Meter Höhe stoßen industrielle Anbaumethoden schnell an Grenzen. Die Quechua-Bauern besinnen sich deshalb auf traditionelle Landwirtschaft. Das Ergebnis: Ein gesunder Boden und eine sichere Ernte.

Der Wind weht kräftig über Obdulia Galindos Kartoffelfeld und bringt die blauen, an Stöcken geknoteten Plastikfetzen zum Knistern. „Das hält die Viecher fern“, grummelt die Kleinbäuerin in ihrer Muttersprache Quechua und rammt einen Stock noch etwas tiefer in die schwarze Erde. Der zerrissene Müllsack raschelt, die kleine Frau kichert. Schließlich schiebt sie den Hut mit der breiten Krempe aus der Stirn, begutachtet ihr Werk und nickt zufrieden.

Die improvisierten Vogelscheuchen sollen nicht nur das Federvieh vertreiben; in jüngster Zeit macht ihr vor allem ein Bergviscacha zu schaffen. Die Kartoffeln stehen kurz vor der Ernte und auf die hat es die peruanische Hasenmaus abgesehen. Das lässt sich die 54-Jährige auf keinen Fall gefallen. Energisch wischt die Mutter von sieben Kindern ihre Hände an der grünen Schürze ab und greift zur Hacke.

Das Kartoffelfeld von Obdulia Galindo liegt auf 3800 Metern Höhe außerhalb von Unión Portrero, einer kleinen Siedlung im Hinterland von Ayacucho. Drei Stunden dauert die Fahrt mit dem Jeep aus der Hauptstadt der gleichnamigen Region hier herauf. Obdulia Galindo besitzt allerdings keinen Wagen. Die indigene Bevölkerung in den Anden ist bitterarm und leidet noch immer unter den Folgen des verheerenden Bürgerkriegs, der in den 1980er Jahren zwischen der Guerilla-Organisation „Leuchtender Pfad“ und dem peruanischen Militär tobte.

Autoren

Constanze Bandowski

ist freie Journalistin in Hamburg mit den Schwerpunkten Eine Welt und Lateinamerika.

Karin Desmarowitz

ist freie Fotografin in Hamburg mit den Schwerpunkten Soziales und Eine Welt.
Die Kleinbauern wurden damals zum Spielball der Kriegsparteien und waren der bruta­len Gewalt beider Seiten ausgesetzt. Schauprozesse, Vergewaltigungen, Mord und Terror prägten ihren Alltag. Ganze Dörfer brannten nieder, Familien fielen auseinander, Nachbarn trauten einander nicht mehr. Wer konnte, wanderte ab in die Städte und versuchte, als Tagelöhner zu überleben. Als der Krieg Anfang der 1990er Jahre abflaute, waren nicht nur Hütten und Felder zerstört – auch die andine Kultur lag am Boden. Und damit auch ihre Basis: die Landwirtschaft.

„Als ich das Feld meiner Familie wieder in Betrieb nahm, besaß ich nur zwei Sorten Kartoffeln und ein paar dicke Bohnen“, erinnert sich Obdulia Galindo. Die Ernte reichte kaum zum Überleben. Geld für Saatgut, Dünger, Geräte oder Pflanzenschutzmittel besaß niemand. Und das Wissen über die traditionelle Landwirtschaft war bereits in den 1960er Jahren verloren gegangen, als die Grüne Revolution auch diesen entlegenen Winkel des Andenstaates eroberte und mit vermeintlich ertragreichen Züchtungen die Artenvielfalt im Heimatland der Kartoffel zerstörte.

Heute besteht das Kartoffelfeld von Obdulia Galindo aus 30 sorgfältig aufgehäufelten Reihen, die sich mondsichelförmig an den Hang schmiegen. So wird die Bodenkrume bei Starkregen nicht weggespült. Auch Staunässe wird verhindert, denn die Furchen sind so breit, dass das Wasser ablaufen und versickern kann. Vor heftigen Windböen und Sturzbächen schützen die Steinmauern, die sich wie endlos weiße Bänder durch die weitläufige Bauerngemeinde Quispillaccta mit ihren 13 Weilern ziehen. Sie dienen nicht nur als Erosionsschutz und Schutz vor Tierfraß, sondern schaffen auch ein vorteilhaftes Mikroklima: Tagsüber spenden sie Schatten und speichern die Sonnenwärme, nachts geben sie diese wieder ab und mildern damit den Frost.

„Ich habe hier 20 verschiedene Kartoffelsorten gepflanzt“, sagt Obdulia Galindo. Stolz führt sie durch ein Meer aus rosa, weißen und lila Blüten und erklärt die Vorteile der einzelnen Sorten. „Die Samar Wayaquil verträgt Hagel und Kälte. Sie trägt nur wenige Früchte, aber die werden sehr groß. Die weiß blühende Yuraq Sisa hat schmackhafte, gelbfleischige Knollen und die Qaspar mit den weißen Blüten an schwarzen Stängeln ist äußerst genügsam. Sie verträgt eigentlich jedes Klima.“

Nachtfröste schaden manchen Früchten – andere überleben

Damit die Kartoffeln gut gedeihen, häufelt Obdulia Galindo mit der Hacke regelmäßig die Erde an. Das lockert den Boden und schützt die Knollen vor Tageslicht. Nebenbei zupft sie noch etwas Unkraut. „Nächste Woche“, so schätzt sie, „kann ich mit der Ernte beginnen.“

Ein paar Schritte weiter liegt ihr zweites Feld, auf dem die heimischen Oca- und Olluco-Knollen, Pferdebohnen, die Kapuzinerkresse Mashua und die nahrhafte Andenhirse Quinoa wachsen.

Mit der Artenvielfalt auf ihren insgesamt drei Hektar großen Äckern verringert Obdulia Galindo das Risiko, dass eine Ernte komplett ausfällt. Nachtfrost zerstört nicht mehr wie früher die gesamte Saat: Einige Pflanzen gehen ein, andere überleben. Die Bäuerin arbeitet nach ökologischen Prinzipien, kombiniert ihre Kartoffelfelder mit Knoblauch und Anden-Lupine, die Schädlinge bekämpfen. Sie betreibt Fruchtwechsel auf den verschiedenen Feldern und mischt Tierdung mit Asche als Düngemittel, statt teure Chemikalien zu verwenden. Vom Erlös ihrer Ernte kauft sie Phosphat und Kalzium, die sie auf ihre schweren und humusreichen, aber extrem sauren Böden streut.###Seite2###

„Ohne ABA hätten wir das nie geschafft“, sagt Obdulia Galindo. „Wir haben sehr viel gelernt in den vergangenen 25 Jahren.“ ABA steht für „Asociación Bartolomé Aripaylla“, eine indigene Organisation, die seit 1991 besteht und seit 1998 von der deutschen Welthungerhilfe unterstützt wird. Ihre Gründerinnen Marcela und Magdalena Machaca sehen sich als Nachkommen des Bauernführers Bartolomé Aripaylla, der die Landbevölkerung während der spanischen Kolonialzeit zusammengeführt hat. „An diese Tradition wollen wir anknüpfen“, sagt Marcela Machaca.

Die 51-jährige Agrarwissenschaftlerin will das Versprechen ihres Vaters Don Modesto einlösen. Modesto Machaca, indigener Anführer des Bergdörfchens Unión Portrero, erkannte die Gefahr des „Leuchtenden Pfads“ frühzeitig und zog mit seiner Familie bereits 1976 nach Ayacucho. Seine Töchter sollten studieren und später das Gemeinwohl in ihrer Heimat fördern.

„Im Studium lernten wir die modernsten Landwirtschaftsmethoden kennen“, erzählt Marcela Machaca. „Sie brachten uns bei, wie man effizient mit schwerem Gerät und viel Chemie arbeitet und wie man Bewässerungskanäle betoniert. Das war alles ohne Gefühl und Respekt vor der Natur.“

Dann pflückt sie einen blühenden Senfhalm von Obdulia Galindos Kartoffelfeld. „Der erhöht die Bodenfruchtbarkeit“, bemerkt sie gedankenversunken, bevor sie zum Thema zurückkehrt: „Dieses Wissen hat uns hier oben nichts genützt, denn die Bedingungen sind völlig anders.“ Die Schwestern Machaca beschlossen deshalb, an die traditionelle Landwirtschaft ihrer Vorfahren anzuknüpfen und alte Kulturpflanzen und -techniken wiederzubeleben. Mitten im Bürgerkrieg kehrten sie 1987 zurück, die eine mit einer Abschlussarbeit über Oca-Knollen im Gepäck, die andere schrieb über Olluca. Monatelang besuchten sie die alten Schamanen und Weisen und sammelten deren traditionelles Wissen.

Seitdem hat sich viel verändert im Hochland von Ayacucho. In jahrelanger Gemeinschaftsarbeit haben die 160 Bauernfamilien von Quispillacta 71 künstliche Teiche ausgehoben und mit Steinen, Grassoden und Erde befestigt. Alle haben dabei mitgeholfen, auch die Jugendlichen. Die haben sich in Dorfgruppen zusammengeschlossen und kümmern sich um ihre eigene Lagune. Darin schwimmen inzwischen Forellen, und wenn sie ein Fest feiern, angeln sie unter großem Gejohle ihre eigene Mahlzeit. Manche Teiche sind so groß wie ein Fußballfeld. Darin sammelt sich das Regenwasser und versickert in tiefere Lagen.

In der Gemeinde wachsen jetzt ­wieder 531 Kartoffelsorten

Um die Felder zu bewässern, haben die Quechua-Bauern ein Kanalsystem von knapp 13,5 Kilometern Länge gezogen – mit einfachstem Gerät, zum Teil auch Dynamit, aber selbstverständlich ohne Zement. Auf den Feldern stehen Wasser anziehende Pflanzen wie die Mama del Agua, eine riesige Art Ampfer, um den Boden selbst in Trockenzeiten feucht zu halten. Von dem ausgefeilten Wassermanagement der Quechua-Bauern profitiert sogar die Stadt Ayacucho, denn es sorgt dafür, dass der 80 Kubikmeter fassende staatliche Stausee Chuchoquesera stets gut gefüllt ist.

Durch gezielte Saatgutvermehrung und Lagerung wachsen inzwischen wieder 531 Kartoffel­sorten in der Gemeinde, verschiedene Wurzelknollen, Bohnen und Maissorten, Quinoa, Amaranth und Gerste sowie Gemüse, das die Ernährung der armen Bauernfamilien mit Vitaminen und Mineralstoffen aufwertet. Die Minka, die traditionelle Gemeinschaftsarbeit, hat den Gemeinsinn wieder gestärkt. Die Menschen haben Vertrauen gefasst und blicken zuversichtlich in die Zukunft.

Wie die Familie Nuñez in Catalinayocc: Ihr Milchviehbetrieb ist weit über die Dorfgrenzen hinaus bekannt, denn der Käse von Don Fidel und seiner Frau Martina hat eine hervorragende Qualität. Das hat sich bis nach Ayacucho herumgesprochen und so kommen Händler regelmäßig in die kleine Käserei. Idyllisch schmiegen sich die sieben Terrassen des Gehöfts an den Hügel. Darüber thront der lehmverputzte Gebäudekomplex. Die Folie der hauseigenen Biogasanlage funkelt schon in der gleißenden Hochlandsonne. Davor grasen ein paar Kühe mit ihren Kälbern.

Hohe Bäume säumen das Grundstück. Auf die ist der Hausherr besonders stolz. „Damit können wir unseren Bedarf an Brenn- und Bauholz selbst decken“, sagt Fidel Nuñez. Außerdem halten die Wurzeln den Boden fest und verhindern Erosion durch plötzliche Wolkenbrüche, die seit einigen Jahren immer häufiger auftreten. Mit Starkregen, Hagelschauern und ausgedehnten Trockenphasen macht den Kleinbauern der Klimawandel schwer zu schaffen.

„Unsere Kühe und Schafe lassen wir ein paar Tage auf einer Terrasse grasen, dann kommen sie auf die nächste. Die Exkremente grabe ich dann unter die Erde und so ist mein Boden bestens für die nächste Aussaat gedüngt“, erklärt der Milchviehhalter und Käseproduzent. Als Viehfutter pflanzt er neuerdings Klee und Weidelgras. Oben in der schlichten Käserei sortieren seine Frau Martina und sein Schwiegersohn Jacob Quispe die weißen Käsetörtchen. „Davon produzieren wir etwa 20 Stück am Tag“, erklärt der 29-Jährige. Jedes Törtchen wiegt 250 Gramm und bringt der Familie zwei Soles, macht 40 Soles am Tag, gut elf Euro. Das ist nicht viel, aber ein stetes Einkommen.

Auf Anfrage produziert die Familie auch große Ein-Kilo-Stücke Käse. Dafür kauft sie dann Milch von den Nachbarn zu. „Wir stehen noch am Anfang, aber es geht stetig bergauf“, sagt der dreifache Familienvater Jacob Quispe. „Das Wichtigste ist, dass wir Arbeit haben, ein gutes Produkt auf den Markt bringen, keinen Hunger leiden und die Kinder zur Schule gehen können.“

Um das langfristig sicherzu stellen, baut er nebenan gerade einen weiteren Raum zum Pasteurisieren. Anschließend ist ein Kuhstall geplant, denn wenn die Tiere nachts im Warmen stehen und zusätzlich Getreide fressen, geben sie mehr Milch und die Entwicklung geht voran. Darin stimmt der Jungunternehmer vollkommen mit der Kartoffelbäuerin Obdulia Galindo überein, die den Kampf gegen das Bergviscacha sicherlich am Ende gewinnen wird.

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erschienen in Ausgabe 12 / 2014: Früchte des Bodens
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