"Wir haben einen guten Ruf"

Arme Länder sollten sich mehr selbst finanzieren, sagt der neue Direktor der Schweizer Entwicklungsagentur (DEZA) Manuel Sager. Im Interview erklärt er wie das gehen kann und welche Schwerpunkte die Schweizer Entwicklungshilfe in den kommenden Jahren setzen wird.

Nach vier Jahren als Schweizer Botschafter in Washington setzen Sie sich nun als Direktor der Schweizer Entwicklungsagentur Deza für die ärmsten Länder ein. Was hat Sie an diesem Wechsel gereizt?

Die neue Aufgabe verbindet auf spannende Weise meine früheren Erfahrungen bei der europäischen Entwicklungsbank mit meiner diplomatischen Karriere, die stark von wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen geprägt war. Der Auftrag der Deza zur Armutsreduktion, basierend auf dem Solidaritätsgedanken, vereinigt alle diese Elemente.

Welche Bilanz ziehen Sie nach hundert Tagen im Amt?

Schon meine ersten Reisen ins Ausland haben gezeigt, dass die Schweizer Entwicklungszusammenarbeit international einen sehr guten Ruf genießt. Die Deza ist anerkannt für ihre Integrität, ihre Effizienz und ihr Fachwissen. Letzteres ist nicht mehr selbstverständlich. Viele Entwicklungsagenturen sind heute zu reinen Finanzierungsagenturen geworden, die sich darauf beschränken, Projekte über bi- und multilaterale Partner zu finanzieren. Der Deza ist es gelungen, fachliche Kompetenzen zu bewahren. Dies attestiert uns auch die OECD in ihrem positiven Länderbericht von Ende 2013. Eine Bestätigung sehen wir auch in der Erhöhung der Entwicklungshilfe auf 0,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts durch das Schweizer Parlament. In der Bevölkerung sind die Entwicklungszusammenarbeit und die Humanitäre Hilfe ebenfalls breit verankert, wie eine kürzlich durchgeführte Umfrage gezeigt hat.

Was kann Entwicklungszusammenarbeit überhaupt leisten und was nicht?

Entwicklungshilfe kann die Anstrengungen der Partnerländer unterstützen und ergänzen, aber nicht ersetzen. Wenn die Entwicklungsländer insgesamt ihr Steueraufkommen nur um ein Prozent erhöhen könnten, entspräche dies dem doppelten Umfang der weltweiten Entwicklungshilfe. Dieser Vergleich zeigt: Die Entwicklungsländer brauchen in erster Linie gute Rahmenbedingungen, damit sich ein leistungsfähiger privater Sektor entwickeln und der Staat sich durch ein transparentes und faires Steuersystem selber finanzieren kann.

Ist dies nicht ein Tropfen auf den heißen Stein? Die Steuerpolitik ist international beeinflusst, und die Steuern globaler Unternehmen etwa der Rohstoffbranche fließen oft gerade nicht in die betroffenen Entwicklungsländer.

Das ist nicht unbedingt ein Widerspruch, sondern Teil der wichtigen Problematik der Besteuerung von Geldströmen, die international angegangen werden muss. Es ist in der Tat so, dass die Finanzflüsse, welche diese Länder – legal oder illegal – verlassen, bedeutend größer sind als die jeweilige Entwicklungshilfe.

Wie kann man beeinflussen, dass ein Land mehr Steuern generiert, abgesehen von der Schaffung günstiger Bedingungen für den Privatsektor?

Die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit bietet diesbezüglich verschiedenen Partnerländern technische Unterstützung an. Wichtig sind einerseits Fairness und Transparenz des Steuersystems und anderseits die verlässliche Erbringung staatlicher Leistungen. Dadurch wird beim Steuerzahler Vertrauen geschaffen. Fehlt dieses, fehlt auch der Anreiz, Steuern zu zahlen.

Welche Ziele verfolgt die Deza im laufenden Jahr?

Unser augenfälligstes Ziel ist die Milderung der humanitären Krise im Syrien-Konflikt. Das internationale humanitäre System ist den Anforderungen kaum gewachsen, die vorhandenen Geldmittel reichen nirgends hin. In erster Linie braucht es aber politische Lösungen. Die Deza hilft mit direkten Aktionen, etwa in Flüchtlingslagern oder durch die Verbesserung der Bildungsinfrastruktur in Jordanien, und unterstützt in der ganzen Region Partner wie die Vereinten Nationen und das Internationale Komitee vom Roten Kreuz.

Sie haben vor ein paar Wochen ein syrisches Flüchtlingslager in Jordanien besucht. Wie war Ihr Eindruck?

Eindrücklich war für mich vor allem das Gespräch mit einem Jugendkomitee. Auf meine Frage, was ihre größte Sorge sei, nannten die Jugendlichen übereinstimmend die Tatsache, dass viele von ihnen durch den Krieg in ihrer Heimat aus der Lehre oder dem Unistudium gerissen und nun einfach zum Herumsitzen verurteilt worden seien. Das sei nicht nur frustrierend, sondern schüre auch Zukunftsangst.

Welches sind nebst der humanitären Hilfe die Ziele in der Entwicklungszusammenarbeit?

Aktuell stehen wir in der Mitte unserer Vier-Jahres-Strategie 2013-2016. Dabei haben wir das Engagement in fragilen Ländern um 20 Prozent ausgebaut, konkret in Mali, Nepal, Afghanistan, Haiti und Nordafrika. Sorgen macht mir auch die enorme Jugendarbeitslosigkeit, vor allem in ärmeren Ländern. Das wachsende Heer von derzeit rund 80 Millionen Arbeitslosen zwischen 18 und 24 Jahren ist nicht nur ein menschliches Drama, sondern auch mit hohen gesellschaftlichen Risiken und Kosten verbunden. Ich glaube, dass wir da als Schweiz mit unserem erfolgreichen Berufsbildungssystem etwas zu bieten haben.

2015 ist auch das Jahr wichtiger internationaler Konferenzen, darunter zur Entwicklungsfinanzierung und zu den neuen UN-Entwicklungszielen, welche die Millenniumsziele ablösen.

Bei der Entwicklungsfinanzierungs-Konferenz Mitte des Jahres in Addis Abeba geht es darum, die Verantwortlichkeiten bei der Finanzierung der Entwicklung festzulegen. So müssen einerseits die Entwicklungsländer selber mehr Finanzmittel generieren, insbesondere aus Steuern. Auf der anderen Seite müssen die Geberländer nicht nur die Entwicklungszusammenarbeit verstärken, sondern auch dafür sorgen, dass ihre Innen- und Außenpolitik nicht den Zielen der Entwicklungspolitik zuwiderläuft.

Und die neuen UN-Entwicklungsziele?

Bei den nachhaltigen Entwicklungszielen, die im September in New York verabschiedet werden sollen, geht es zum ersten Mal um die Frage, wie wir die Entwicklung fördern und den Wohlstand gerecht verteilen können, ohne dabei unsere natürlichen Lebensgrundlagen noch mehr zu belasten. Dies ist auf globaler Ebene ein Paradigmenwechsel.

Die neuen UN-Entwicklungsziele sind ambitioniert, aber noch nicht unter Dach und Fach. Wie schätzen Sie die Erfolgsaussichten für die Verabschiedung in New York ein?

Es gibt verschiedene Staaten, welche die 17 Ziele und 169 Unterziele reduzieren wollen. Wir hätten auch lieber eine kleinere Zahl von Zielen gesehen, betrachten es aber für das System der internationalen Zusammenarbeit als wichtiger, dass es zu einem Abschluss kommt.

Versucht die Schweiz entsprechend Einfluss zu nehmen?

Ich habe mich beim Weltwirtschaftsforum in Davos in verschiedenen Gesprächen dafür ausgesprochen, das bisher Erreichte nicht wieder in Frage zu stellen.

Die Schweiz ist zwar ein kleiner Player, hat aber international einen guten Ruf. Könnte sie eine stärkere Führungsrolle in der internationalen Zusammenarbeit übernehmen, wie es der OECD-Länderbericht vorschlägt?

Es gibt einige Bereiche, in denen die Schweiz eine Themenführerschaft übernommen hat und sogar für andere Länder Projekte ausführt, weil die Deza dank ihrer Arbeit vor Ort einen guten Ruf hat und eine bewährte Umsetzung anbieten kann. Ein Beispiel dafür sind Projekte der Berufsbildung in Westafrika.

Das Gespräch führten Theodora Peter und Rebecca Vermot.

 

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erschienen in Ausgabe 3 / 2015: Nothilfe: Aus Trümmern Neues schaffen
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