Schwer verdauliche Kost

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Enzyklika "Laudato Si"
Der Papst beklagt den Zustand der Welt und alle finden das großartig. Da stimmt doch was nicht.

„Laudato Si“ ist eine merkwürdige Lektüre. Die Enzyklika von Papst Franziskus „Über die Sorge für das gemeinsame Haus“ ist über weite Strecken wunderbar poetisch und tief schürfend. Ebenso oft ist sie ärgerlich grobschlächtig und vereinfachend. Sie ist atemberaubend in ihrer politischen Radikalität. Dann wieder ist sie so dröge wie eine akademische Ökobilanz.

Umwelt-Enzyklika wurde „Laudato Si“ in Berichten und Kommentaren schnell genannt. Doch das greift viel zu kurz. Und das ist genau das Problem: Alle, die irgendwie mit Umweltschutz und Entwicklung zu tun haben, jubeln, dass jetzt endlich auch die katholische Kirche klar Stellung bezieht für Klimaschutz, gegen Wachstums- und Konsumwahn und für eine gerechte Weltordnung. Aus Sicht umwelt- und entwicklungspolitisch engagierter Katholiken ist das leicht nachvollziehbar: Für sie ist der Stellenwert von „Laudato Si“ kaum zu überschätzen. Die Enzyklika ist eine lange überfällige Bestätigung ihrer Arbeit von höchster Stelle. Ein Befreiungsschlag.

Irritierend ist aber, dass sie auch in der weltlichen Öko- und Entwicklungsszene fast ungeteilt auf Zustimmung stößt. Die Vermutung drängt sich auf, dass viele, die den Papst jetzt für seine klaren Worte feiern, sein 220 Seiten langes Papier gar nicht vollständig gelesen haben. In den meisten Stellungnahmen zu „Laudato Si“ geht es nur um die umwelt- und entwicklungspolitischen Analysen, Mahnungen und Appelle. Das Fundament hingegen, auf dem Papst Franziskus seinen Weckruf baut, sein Menschenbild sowie sein Natur- und Kulturverständnis, werden meistens unterschlagen.

Das ist ein Versäumnis, denn dieses Fundament dürfte bei vielen Widerspruch hervorrufen. Durch das gesamte Schreiben ziehen sich eine erzkonservative Zivilisationskritik und ein trüber Kulturpessimismus. Das wird etwa deutlich, wenn Papst Franziskus die „ständige Beschleunigung in den Ver­änderungen der Menschheit und des Planeten“ beklagt, die „im Gegensatz zu der natür­lichen Langsamkeit der biologischen Evolution“ stünden. Oder wenn er die Stadt als Hort des Chaos und der „vi­suellen und akustischen Belästigung“ beschreibt. Die „großen Weisen der Vergangenheit“, beklagt der Papst in einer Art Medienschelte, würden heute Gefahr laufen, „dass ihre Weis­heit inmitten des zerstreuenden Lärms der Infor­mationen erlischt“. Genügsamkeit und Demut hätten im vergangenen Jahrhundert keine Wertschätzung erfahren, heißt es in „Laudato Si“ pauschal; die „postmoderne Menschheit“ – wer oder was das auch immer sein mag – habe „kein neues Selbstverständnis gefunden, das sie orientieren kann“.

Hier spricht ein Mann, dem es ernst ist und ums Ganze geht

Dem gegenüber stellt Papst Franziskus die fragwürdige Vorstellung einer „natürlichen Wirklichkeit“, über die sich der Mensch nicht hinwegsetzen dürfe. Eine lange Zeit habe der Mensch sich bei seinen Eingriffen in die Natur darauf beschränkt, „zu emp­fangen, was die Wirklichkeit der Natur von sich aus anbietet, gleichsam die Hand reichend“. Jetzt hingegen versuche er, „was irgend möglich ist, aus den Dingen zu gewinnen“. Der Mensch habe „die technische Vernunft über die Wirklichkeit“ gestellt. Wenn er „seinen wahren Platz“ nicht wiederentdecke, widerspreche er „am Ende seiner eigenen Wirklichkeit“. Zu dieser „eigenen Wirklichkeit“ des Menschen gehört für Papst Franziskus auch, dass er ungeborenes Leben nicht abtreiben und den Anspruch nicht erheben darf, „den Unterschied zwischen den Geschlechtern auszulöschen, weil er sich nicht mehr damit auseinanderzusetzen versteht“.

Man spürt es auf jeder Seite: Hier spricht ein Mann, dem es ernst ist, dem es ums Ganze geht, der leidet mit der geschundenen Mutter Erde und den entrechteten Armen. Das hebt „Laudatio Si“ ab von den ungezählten Positions- und Politikpapieren, die die professionellen Umwelt- und Klimaschützer von Greenpeace und Co im Wochenrhythmus ausstoßen. Ihr gewichtiges Fundament verleiht der Enzyklika eine besondere Wucht.

Zugleich macht es das Schreiben zur schwer verdaulichen Kost – zumindest für nicht gläubige Menschen, die Papst Franziskus mit „Laudato Si“ ausdrücklich auch ansprechen will. Über das Welt- und Menschenbild der katholischen Kirche, das auch in dieser Enzyklika das alte ist, muss weiter gestritten werden. Wer dem Papst jetzt unkritisch für seine klaren Worte applaudiert, wird ihm und seinem Schreiben nicht gerecht.

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