Zum Klimaschutz verurteilt

Prozess in den Niederlanden
Fast zwei Jahre nach Eingabe ihrer Strafanzeige bekam ein Netzwerk von 900 engagierten Niederländern Recht: Ende Juni verurteilte ein Gericht in Den Haag die Regierung dazu, mehr für den Klimaschutz zu tun. In anderen Ländern wird nun an ähnlichen Klagen gearbeitet – mit unterschiedlichen Aussichten auf Erfolg.

Auf den 70 Seiten des Urteils übernahm der Richter die Argumente der Kläger, der Staat habe bislang zu wenig unternommen, erkennbare Gefahren aus dem Klimawandel für seine Bürger abzuwehren. Die Niederlande hätten sich verpflichtet, den Ausstoß von Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 25 Prozent im Vergleich zu 1990 zu vermindern, doch die bisherigen Maßnahmen würden allenfalls 17 Prozent bringen. Die möglichen Mehrkosten einer wirksamen Gefahrenabwehr könne die hochentwickelte Wirtschaft des Landes tragen. Dies sei zumutbar, um größere Schäden als Folge einer zu laschen Klimapolitik abzuwenden.

In verschiedenen Ländern bereiten Umweltorganisationen und Klimaschutzinitiativen ähnliche Klagen vor, etwa in Norwegen, den Philippinen und einigen US-Staaten. In Belgien wurde ein Verfahren im April förmlich in Gang gesetzt, 9000 Bürger und Bürgerinnen beteiligen sich daran. Die britische Umweltorganisation ClientEarth, die sich mit ihrer weniger umfassenden Klage gegen die Londoner Regierung wegen Luftverschmutzung des Verkehrs durch die Instanzen streitet, nannte das Haager Urteil „eine mächtige Stütze“.

Gang vor Gericht als „Notwehr“

In Österreich prüfen die drei großen Umweltorganisationen Greenpeace Österreich, Global 2000 und WWF einen Prozess nach dem Vorbild der Niederlande. Reinhard Uhrig, Energieexperte bei Global 2000, bezeichnet einen solchen Schritt als „Notwehr“, sollte Österreich bei der Pariser Klimakonferenz enttäuschen. Im Herbst soll ein nationaler Klimagipfel stattfinden, von dem sich die Umweltorganisationen erhoffen, dass Wien eine Vorreiterrolle beim Klimaschutz einnimmt. Wenn Österreich den Klimaschutz ernst nehme, müsse man sich ambitioniertere Ziele setzen, als international vorgegeben.

Der Klimawandel, so die drei Organisationen, sei in Österreich in Form von Schneemangel, Waldbränden oder Überschwemmungen längst angekommen; er verursache bereits jährliche Kosten von mehr als einer Milliarde Euro. Gleichzeitig müsse das Land jedes Jahr 15 Milliarden Euro für Importe von Kohle, Öl und Gas auslegen.

In der Schweiz erwägt die Grüne Partei, die Regierung auf höhere Klimaschutzziele zu verpflichten. Das Urteil in den Niederlanden zeige, dass es möglich sei, auf gerichtlichem Weg politische Entscheide zu beeinflussen, sagt Urs Scheuss, der Fachsekretär für Umweltpolitik bei den Grünen. Im vergangenen Jahr hatte der Bundesrat erklärt, den Treibhausgasausstoß bis 2020 um 20 Prozent zu reduzieren. Die Grünen hatten 40 Prozent gefordert. Derzeit analysiere man das Urteil aus Den Haag und prüfe, inwieweit es auf die Schweizer Rechtslage übertragbar sei, sagt Scheuss. Spätestens im Herbst will die Partei über das weitere Vorgehen informieren.

Kaum Chancen in der Schweiz

Die Juristin Astrid Epiney von der Universität Freiburg sagt indes, eine Klage nach niederländischem Muster sei in der Schweiz unzulässig. Ein Kläger müsse in seinen individuellen Interessen betroffen sein; das sei aber nur dann der Fall, „wenn er in besonderer Weise und damit mehr als alle anderen betroffen ist“.

Auch in Deutschland hätte eine Klage gegen die Bundesregierung nach Einschätzung von Klimaschützern keine Chance. Zwar seien vergleichbare Schritte auch im deutschen Rechtssystem gangbar, sagt der Klimaexperte Christoph Bals von der Organisation Germanwatch. Doch solange die Bundesregierung an ihrem Ziel festhalte, die Treibhausgasemissionen bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, sei die Klimapolitik schwer als illegal anfechtbar. Selbst wenn Deutschland nur deutlich über 30 Prozent erreiche, könnte Berlin immer noch argumentieren, man liege gut im Rennen. In den Niederlanden liegt das Ziel mit angestrebten 17 Prozent Emissionseinsparungen weit niedriger. Zudem sei, so Bals, „die direkte Gefährdungslage deutlich größer“. Ein großer Teil des Landes liegt unter dem Meeresspiegel.

Solche direkten Gefahren seien in Deutschland nicht gegeben. Sollten sich jedoch für die Wirtschaft künftig indirekte Risiken als Folge der Klimakrise verschärfen, könnte das die Aussicht einer Klage verbessern. Dazu könnte es kommen, wenn beispielsweise deutsche Energieunternehmen als Mitverursacher der Klimaschäden belangt würden.

(hc/kam/maz/rld)

 

 

 

 

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erschienen in Ausgabe 8 / 2015: Demokratie: Die bessere Wahl
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