Geliebter Tyrann

Rodrigo Duterte
Präsident Rodrigo Duterte genießt Zustimmungs­werte, von denen Donald Trump träumt. Das korrupte poli­tische System auf den Philippinen war der ideale Nährboden für seinen Wahlsieg 2016.

Helena Gamba versichert: „Ich habe ihn nicht gewählt“. Er – das ist Rodrigo Duterte, der seit gut einem halben Jahr mit harter Hand die Philippinen regiert. Doch sie könne verstehen, warum viele Menschen ihm vertrauen, fügt die Leiterin einer Organisation zur Förderung der biologischen Landwirtschaft auf der Insel Mindanao hinzu. Bei den Wahlen im Mai 2016 reichten Duterte nach dem philippinischen Wahlrecht 39 Prozent der gültigen Stimmen für einen Sieg. In Davao, der Hauptstadt von Mindanao, wo er mehr als 20 Jahre lang Bürgermeister war, bekam er 96 Prozent.

Knapp ein Dreivierteljahr nach seiner Vereidigung erfreut Duterte sich weiterhin hoher Popularitätswerte von mehr als 80 Prozent – trotz und zum Teil weil er Drogendealer, Kleinkriminelle und Süchtige schonungslos verfolgen lässt. Mehr als 7500 Menschen sind seit seinem Amtsantritt bis vergangenen Februar teils von Polizisten, teils von maskierten Killern auf Motorrädern umgebracht worden. Viele der Opfer waren nachweislich unschuldig, einige von ihnen Kinder. Sie hatten das Pech, gerade mit ihrem Vater unterwegs zu sein, oder wurden von verirrten Kugeln getroffen. Für Duterte sind das bedauerliche „Kollateralschäden“.

Helena Gamba, die in ihrer Jugend mit der Kommunistischen Partei sympathisiert hat, steht mit ihrer differenzierten Meinung nicht alleine da. Ihr gefallen die Hinrichtungen auch nicht. Aber sie sagt auch: „Ihr in Europa seht nur den Antidrogenfeldzug und überseht andere Menschenrechtsverletzungen.“ Sie nennt Verstöße gegen das Recht auf saubere Luft und trinkbares Wasser – Missstände, um die Duterte sich schon früher gekümmert habe. In seiner Zeit als Bürgermeister von Davao etwa hatte der Stadtrat verboten, dass die umliegenden Bananenplantagen aus der Luft mit hochgiftigen Pflanzenschutzmitteln besprüht werden. Die Vereinigung der Bananenexporteure zog dagegen allerdings vor Gericht und erhielt in zweiter Instanz Recht. Auch beim Bergbau steht Duterte – zumindest in einigen Fällen – auf der Seite der Umweltschützer. Einigen Konzernen, die bei der Ausbeutung von Bodenschätzen wie Nickel Wasser und Umwelt verseuchten, wurde die Lizenz entzogen.

"Mann aus dem Volk" mit vulgärem Slang

Duterte gibt sich in seinen Ansprachen als Mann aus dem Volk. Als er in Manila Jura studierte, soll er unter dem Spott der Kommilitonen gelitten haben, die sich über seinen seltsamen Akzent lustig machten. Heute kultiviert er diesen Provinzakzent und fällt immer wieder aus dem Englischen in die Staatssprache Tagalog, benutzt deftige Schimpfwörter und vulgären Slang. Das spricht viele Menschen an, die sich von der traditionellen Elite nicht verstanden fühlen, die das Land seit der Unabhängigkeit von den USA regiert hat. Der Oppositionelle Benigno Aquino wurde 1983 auf Geheiß von Diktator Ferdinand Marcos ermordet. Seine Witwe Corazon Aquino zog nach einem Volksaufstand und der Vertreibung des Tyrannen 1986 in den Präsidentenpalast ein. Sie war zunächst sehr populär, konnte aber ihr Versprechen nicht einlösen, mehr soziale Gerechtigkeit zu schaffen.

Ihr Sohn Benigno Aquino Junior regierte 2010 bis 2016. Beiden gelang es zu keiner Zeit, ähnlich hohe Sympathiewerte zu erzielen wie Duterte heute. Denn auch die Aquinos gehören zur alten Oligarchie und besitzen große Ländereien. Benigno Junior verstörte die Philippiner immer wieder durch seine Realitätsferne. Als sich Opfer des Taifuns Hayan, der im Oktober 2013 die Insel Leyte verwüstete, über den schleppenden Wiederaufbau beklagten, wies er sie zurecht: Sie sollten froh sein, überlebt zu haben, sagte er. Der Friedensprozess mit den muslimischen Rebellen auf Mindanao kam ins Stocken, als bei einem Zusammenstoß mit der Armee mehr als 20 Soldaten getötet wurden. „Statt die Leichen der Soldaten zu empfangen, eröffnete Aquino eine Auto-Show“, erklärt die Soziologin Pilgrim Goyo, die sich gegen außergerichtliche Tötungen engagiert. Diese abgehobene Haltung finden viele typisch für ihn.

Dutertes Verhältnis zur philippinischen Elite ist widersprüchlich. „Er ist der erste, der ohne ihre Unterstützung in den Präsidentenpalast eingezogen ist“, sagt der greise Schriftsteller Francisco Sionil José. In Dutertes Ansprachen sind die raffgierigen Familien der Oligarchie ein beliebtes Ziel von Spott und Verachtung. Der Familie von Ex-Diktator Marcos allerdings ist er offenbar heute noch verpflichtet. Imee Marcos, die älteste Tochter des Langzeitdiktators, soll seinen Wahlkampf mit mehr als einer Million Pesos gesponsert haben. Duterte bestreitet das, doch dass er vergangenen November den Leichnam des 1989 im Exil auf Hawaii verblichenen Diktators auf den Heldenfriedhof von Manila umbetten ließ, beweist, dass er in der Schuld der Familie steht.

Andernfalls hätte er wohl kaum den jüngsten Spross der Dynastie, Ferdinand Junior „Bongbong“ Marcos, zum Kandidaten für die Vizepräsidentschaft ernannt. Auf den Philippinen werden Präsident und Vizepräsident separat gewählt. Marcos scheiterte knapp, gewonnen hat die Liberale Leni Robredo. Duterte hat sie allerdings „wegen unüberwindlicher Meinungsunterschiede“ von den Kabinettssitzungen ausgeschlossen. Marcos Junior will er zum Innenminister machen, sobald die einjährige Unvereinbarkeitsfrist für gescheiterte Kandidaten verstrichen ist.

Außergerichtliche Hinrichtungen

Für den linken Soziologieprofessor Walden Bello ist das Begräbnis für Marcos „ungefähr so, als würden die USA Al Capone auf ihrem Heldenfriedhof in Arlington beisetzen, nur dass Marcos schlimmer war als Al Capone“. Das während der langen Herrschaft zusammengeraffte Vermögen der Familie Marcos, das ihr immer noch ermöglicht, in der Politik heftig mitzumischen, wird auf fünf bis zehn Milliarden US-Dollar geschätzt. In der Millionenstadt Davao, wo Duterte zwischen 1988 und 2015 dreimal insgesamt 22 Jahre als Bürgermeister regierte, verehrt man ihn als den Mann, der aus dem ehemaligen Sündenpfuhl eine der sichersten Städte des Landes gemacht hat. Seine Methoden waren dieselben, mit denen er jetzt landesweit den Drogenhandel und -konsum bekämpft: Tausende außergerichtliche Hinrichtungen. Soweit nicht Familienmitglieder oder Freunde betroffen sind, reagiert die Bevölkerung zustimmend. „Als ich hier aufwuchs, konnte man nach Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straße gehen“, sagt die Sozialarbeiterin Cherry Ann Melancion, „jetzt kann man das rund um die Uhr tun.“ Sie glaubt den Polizeiberichten, in denen die Tötungen regelmäßig damit begründet werden, dass der Verdächtige Widerstand geleistet oder sogar das Feuer eröffnet habe.

Ruth Manansala, die eine Agentur für Projektmanagement leitet, verteidigt das vulgäre Auftreten des Staatschefs: „Was hilft es, wenn jemand wohlerzogen ist, aber die Probleme nicht löst?“ Es sei nicht zuletzt die Folge eines nicht funktionsfähigen Justizsystems, dass mutmaßliche Delinquenten auf der Straße erschossen werden. Die Gefängnisse sind überfüllt mit Beschuldigten, die oft jahrelang auf ihren Prozess warten. Viele, die hinter Gittern sitzen sollten, laufen frei herum – vor allem die dicken Fische. Als im November mit Rolando Espinosa sogar ein amtierender Bürgermeister wegen Drogenhandels in seiner Zelle exekutiert wurde, war das Establishment schockiert. Espinosa hatte sich freiwillig gestellt. Den weniger Privilegierten bewies Duterte damit jedoch, dass sein Feldzug auch vor den vermeintlich Unantastbaren nicht Halt macht.

Duterte habe in Davao sein Herz für die Armen unter Beweis gestellt, betont die Eventmanagerin. „Wenn ich im Rathaus zu tun habe, sehe ich, dass die wirklich Bedürftigen ernst genommen werden.“ Die Dienste des kommunalen Krankenhauses seien verbessert worden. „Man sah dort immer Leute aus der Provinz, die auf der Straße schliefen, solange ihre Angehörigen im Spital waren.“ Duterte habe das gehasst. „Jetzt gibt es eine Einrichtung, wo diese Menschen gratis übernachten dürfen.“ Der Präsident hat inzwischen sogar angekündigt, Schulen und Kliniken sollten landesweit keine Gebühren mehr für ihre Dienste verlangen. Wie das finanziert werden soll, hat er bislang allerdings nicht gesagt.

Während das brutale Vorgehen von Duterte gegen echte und vermeintliche Drogenhändler international auf scharfe Kritik stößt, hält ein Teil der philippinischen und der europäischen Linken den Präsidenten für einen Sozialisten, der die traditionelle Oligarchie entmachten und landlose Bauern und unterbezahlte Arbeiter stärken will. So sieht es jedenfalls Robert Fitzthum in der österreichischen Zeitschrift „International“. Zumindest in seinen Ansprachen macht Duterte Ernst mit sozialistischen Ideen. Er hat zudem mehrere Vertreter der orthodoxen Linken in sein Kabinett aufgenommen und mit sozialpolitischen Aufgaben wie Armutsbekämpfung, soziale Wohlfahrt und Landreform betraut.

Autor

Ralf Leonhard

war bis zu seinem plötzlichen Tod im Mai 2023 freier Journalist in Wien und ständiger Korrespondent von "welt-sichten".
Das Thema Landreform spielte auch eine wichtige Rolle in den – zwischenzeitlich von Duterte unterbrochenen – Friedensgesprächen mit der maoistischen Guerilla New People’s Army (NPA) beziehungsweise deren politischem Arm National Democratic Front (NDF). Beide Seiten waren sich einig, dass sie die Macht der einflussreichen Familien im Land brechen wollen. Per Gesetz, so war es in den Friedensgesprächen geplant, sollten politische Ämter auf zwei Perioden und eine Generation beschränkt werden. Söhne und Töchter könnten damit nicht mehr automatisch die Ämter ihrer Eltern übernehmen. Derzeit ist es so, dass Bürgermeisterämter, Senatorenmandate und andere ebenso einflussreiche wie gut dotierte Posten von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Die Dutertes bilden da allerdings keine Ausnahme. Schon Rodrigo Dutertes Vater bekleidete als Gouverneur der Provinz Davao einen Spitzenposten. In Davao ist das Rathaus seit zwei Generationen in der Hand der Familie. Derzeit regiert dort die Tochter Dutertes, Inday Sara, mit ihrem Bruder Paolo als Vizebürgermeister.

Auf Mindanao, wo Duterte besonders beliebt ist, erwartet man, dass die Insel aufgewertet wird. Schließlich ernährt sie mit ihrem Rohstoffreichtum und ihrer Agrarproduktion einen Großteil der philippinischen Bevölkerung. Bisherige Präsidenten hatten Klientelpolitik auf der Hauptinsel Luzon oder auf den Visayas, den mittelgroßen Inseln in Zentrum des Archipels, betrieben. „Es herrschte Manila-Imperialismus“, sagt Helena Gamba, die Chefin der Organisation für biologischen Landbau: „Mindanao kam immer zum Schluss.“

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erschienen in Ausgabe 4 / 2017: Die Versuchung des Populismus
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