Die Wunde schmerzt noch

Namibia
Jahrzehntelang wurde in Namibia die schwarze Bevölkerung von Weißen unterdrückt. Die deutschstämmige Minderheit tut sich schwer, dieser Vergangenheit ins Auge zu sehen. Das belastet die Beziehungen der lutherischen Kirchen des Landes.

Weithin leuchtet der rötliche Sandstein der Christuskirche über Windhuk. Die 1910 erbaute neugotische Kirche ist das wichtigste Wahrzeichen und Touristenziel der namibischen Hauptstadt. Der damalige Pfarrer Wilhelm Anz schrieb, sie solle „mit der Wucht ihres Baues die vielen bescheidenen Backsteinkirchlein der Mission überdauern und ein Wahrzeichen von der Würde des siegreichen deutschen Reiches werden“. Ein Zeichen des Sieges der kaiserlichen „Schutztruppe“ über die aufständischen Ovaherero und Nama, die Anfang des 20. Jahrhunderts gegen ihre Unterdrückung, gegen Landnahme, Prügelstrafen und Vergewaltigungen aufbegehrt hatten. Noch während der Bauzeit waren Überlebende des Genozids in Konzentrationslagern nahe der Kirche unter menschenunwürdigen Bedingungen eingesperrt.

Diesen Teil der deutschen Kolonialgeschichte hat die Bundesregierung Mitte 2015 offiziell anerkannt: „Der Vernichtungskrieg in Namibia von 1904 bis 1908 war ein Kriegsverbrechen und Völkermord.“ Knapp zwei Jahre später bekannte sich die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) unter dem Titel: „Vergib uns unsere Schuld“ zur Verantwortung der Kirchen. Deutsche Pfarrer hätten „durch die theologische Rechtfertigung von imperialem Machtanspruch und kolonialer Herrschaft den Boden für den Tod vieler Tausender Angehöriger des namibischen Volks vorbereitet“, heißt es darin. „Das ist eine schwere Schuld und durch nichts zu rechtfertigen.“ Die EKD bittet die Nachfahren der Opfer „wegen des verübten Unrechts und des zugefügten Leids aus tiefstem Herzen um Vergebung“.

Seitdem hat sich jedoch wiederholt gezeigt, dass die Wunden, die Kolonialismus, Rassismus und Genozid im heutigen Namibia hinterlassen haben, noch nicht geheilt sind. Auch aus diesem Grund haben die drei lutherischen Kirchen, die die Hälfte der namibischen Christen ausmachen, bis heute nicht zusammengefunden. Zwar loben Vertreter aller drei Kirchen die gute Zusammenarbeit zur Vorbereitung der zwölften Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Namibia im Mai 2017. Doch danach tat sich mit dem Streit um die Schulderklärung der EKD zum Völkermord ein neuer Graben auf.

Burgert Brand, der amtierende Bischof der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia (DELK), distanzierte sich im Gemeindebrief der Kirchengemeinde Windhuk von der Erklärung. Pfarrer Lorenst Kuzatjike von der überwiegend schwarzen Evangelisch-Lutherischen Kirche der Republik Namibia (ELCRN) sagt dazu, seine Leute habe diese Haltung „bekümmert“. Die Ablehnung der Schuld „ihrer Vorväter“ bedeute, dass die DELK „Teil der Zerstörung unserer Beziehungen“ sei. Kuzatjike: „Und sie wollen immer mehr zerstören. Ich denke, die deutsche Kirche hätte als Erste die Rolle des Versöhners übernehmen sollen.“ Auch Uhuru Dempers vom Sozialdezernat der ELCRN, spricht von Spannungen, weil die „Nachfahren der Deutschen“ ihre Mitverantwortung am Genozid „abwehren“.

Die zweite überwiegend schwarze Kirche, die Evangelisch-Lutherische Kirche in Namibia (ELCIN), ist mit 700.000 Gläubigen, die meisten aus der Bevölkerungsgruppe der Ovambo, die größte Kirche des Landes. Sie ist hervorgegangen aus der Finnischen Mission und im Norden Namibias beheimatet. Die ELCIN hat gute Verbindungen zur heutigen Regierungspartei SWAPO, da die ehemalige Befreiungsbewegung unter den Ovambo die meisten Mitkämpfer rekrutiert hatte. Die kleinere ELCRN geht auf die Rheinische Mission zurück. Zu den 400.000 Mitgliedern zählen viele Ovaherero, Nama und Damara in der Mitte und im Süden des Landes.

Die 5000 überwiegend weißen Mitglieder der dritten lutherischen Kirche im Land, der deutschsprachigen Evangelisch-Lutherischen Kirche in Namibia , leben in Gemeinden über das ganze Land verteilt. Die deutschsprachigen Lutheraner verhielten sich stets loyal gegenüber den Kolonialherren und gegenüber der südafrikanischen Regierung. 1921 hatte der Völkerbund Südwestafrika unter südafrikanische Verwaltung gestellt. Die Apartheid­regimes behandelten das Gebiet wie eine ihrer Provinzen und führten die Rassentrennung ein.

Autorin

Birgit Morgenrath

ist freie Journalistin in Köln und berichtet seit vielen Jahren aus afrikanischen Ländern.
K. R. Sievers, ein ehemaliges Mitglied der DELK-Kirchenleitung, schrieb im Jahr 1995 über die „Namibiadeutschen“: „Der Übergang vom Rassismus der Kaiserzeit und des Nationalsozialismus zum neuen Rassismus der Buren vollzog sich fast nahtlos. Danach gehörte man zur herrschenden Klasse, der es fast 40 Jahre gut ging.“ Mahner seien ignoriert oder „miesgemacht“ worden. Es bestehe ein „erheblicher Nachholbedarf“ bei der Aufarbeitung dieser Vergangenheit.

Eine Art „Hort des Deutschtums“

Mit dem wachsenden Selbstbewusstsein der schwarzen Bevölkerung in den 1950er Jahren konstituierten sich die traditionellen Missionskirchen ELCIN und ELCRN als unabhängige Kirchen. Auch die bis dahin von Missionaren betreuten, relativ autonomen lutherischen Gemeinden gründeten 1960 ihre Deutsche Evangelisch-­Lutherische Kirche. Sie verstand sich als eine Art „Hort des Deutschtums“ und enthielt sich jeglicher Stellungnahme zur Entrechtung und Unterdrückung der schwarzen Bevölkerung – etwa als die beiden schwarzen Kirchen 1964 und 1967 gegen die zwangsweise Umsiedlung der Afrikaner in „Homelands“ genannte Reservate protestierten.

Stattdessen habe die deutsche Kirche jeden Gläubigen lediglich individuell auf „echte Mitmenschlichkeit im Verhältnis zwischen Weiß und Nichtweiß“ verpflichtet, zitiert der Soziologe Guido Jura aus einem Beschluss des Gemeindekirchenrates Swakopmund 1960. Strukturelle Abhängigkeiten und politisch verordnete Unterdrückung habe die DELK hingegen bewusst ausgeblendet.
Ihr Ziel sei gewesen, das „deutsche Luthertum“ sowie den politischen und ökonomischen Status quo zu erhalten. Die DELK blieb auch stumm, als die Vereinten Nationen 1966 Südafrika das Mandat über Namibia entzogen, weil der Apartheidstaat seit 20 Jahren die Aufforderung ignoriert hatte, das Land in die Unabhängigkeit zu entlassen. Daraufhin nahm die Befreiungsbewegung, South West African People’s Organization (SWAPO), den Kampf gegen die Fremdverwaltung auf.

Zum historischen Bruch mit den Schwesterkirchen kam es 1971, als diese in einem Hirtenbrief die Apartheid als grobe Verletzung der Menschenrechte verurteilten. Während die Initiative von katholischer und anglikanischer Seite unterstützt wurde, so der Soziologe Jura, habe der damalige DELK-Landespropst Milk „nichts Dringlicheres zu tun“ gehabt, „als sich im Namen der Kirche, der er vorstand, von dem offenen Brief zu distanzieren.“

Zwar gehörte die DELK 1978 zum Gründungsmitglied des namibischen Kirchenrates (CCN), verließ diesen aber neun Jahre später wegen „politischer Spannungen“. Der Rat hatte eindeutig Partei für den Befreiungskampf der SWAPO ergriffen. 1984 schließlich suspendierte der Lutherische Weltbund die DELK wegen mangelnden Engagements gegen die Apartheid. Zwar befasste sich die DELK in den 1980er Jahren unter Landespropst Wilfried Blank erstmals mit dem Selbstverständnis der schwarzen lutherischen Kirchen, die der Befreiungstheologie nahestanden. Doch zur Unabhängigkeit Namibias 1990 sagte die DELK kein Wort.

Anfang der 1990er Jahre gab es Zeichen einer zögernden Annäherung – etwa den Beschluss der DELK-Synode 1993, die Förderung der Einheit der lutherischen Kirchen Namibias zu einem Schwerpunkt ihrer Arbeit zu machen. Dennoch dürfte die Einschätzung des von der Herrnhuter Brüdergemeinde entsandten Auslandspfarrers Karl Schmidt von 1994 zutreffen: „Erst das weltweite Drängen lutherischer Kirchen, schließlich auch der EKD, sowie die allgemeine Ächtung der Apartheid führte zu vorsichtiger Öffnung.“

Die Lage zwischen den drei Kirchen ist festgefahren

Praktisch jedoch seien die Gemeinden mit ihrer deutschen Sprache und Tradition unter sich geblieben. Dabei habe es sich nach Ansicht von Schmidt weniger um die Pflege der eigenen Kultur gehandelt, was durchaus nachvollziehbar gewesen wäre. Vielmehr sei es darum gegangen, die Reichen von den Armen, die Weißen von den Schwarzen und von den Opfern des Systems abzugrenzen. Die deutschsprachigen Namibier gehören noch heute zur sehr wohlhabenden Minderheit, die rund ein Prozent der Bevölkerung des Landes ausmacht.

Nach Ansicht von Uhuru Dempers von der ELCRN ist die Lage zwischen den drei Kirchen trotz Gesprächen auch 30 Jahre nach der Unabhängigkeit Namibias festgefahren. „Wir können uns nicht einigen: Wir erkennen den Völkermord an und wir unterstützen die Resolution des namibischen Parlaments, dass Deutschland sich entschuldigen muss. Und wir wollen über Wiedergutmachung diskutieren.“ Die ELCRN habe sogar zwei namibische Historiker eingeladen, um die Deutschen von der Tatsache eines Völkermordes zu überzeugen, sagt Dempers. Ohne Erfolg. Die DELK verzögere auch eine Entscheidung des Kirchenrates, wie sich die Lutheraner zum Genozid verhalten sollen – 1993 hatte der Rat die DELK wieder aufgenommen. „Unsere Kirche hat dann beschlossen, sich allein mit dem Völkermord auseinanderzusetzen und nicht länger auf irgendeinen Konsens zu warten“, sagt Dempers.

DELK-Mitglieder hingegen betonen ihre persönlichen freundschaftlichen und respektvollen Beziehungen zu Gläubigen der anderen Kirchen. Bischof Brand hebt das Gespräch mit den Bischofskollegen hervor, auch über den Genozid: „Für mich ist die Frage, wie wir miteinander reden, viel wichtiger, als einen politisch richtigen Akzent zu setzen“, erklärt er. Bezeichnend für die in der DELK traditionelle Entpolitisierung jeglicher Konflikte ist allerdings, dass sie in ihren Publikationen die Wörter „Völkermord“ oder „Rassismus“ fast nie verwendet.

Die neueste Ausgabe der jährlichen DELK-Zeitschrift „Perspektiven“ setzt sich unter dem Titel „Namibias schwieriger Umgang mit seiner Kolonialzeit – Versuche zu verstehen“ zum zweiten Mal nach 2016 mit der belasteten Vergangenheit auseinander. Henning Melber, deutsch-namibischer Politologe und Professor in Bloemfontein und Pretoria, schreibt darin, die „Schuldfrage“ habe sich zu einem „fast schon glaubensbekenntnisähnlichen Fixpunkt hinsichtlich der historischen Verantwortung“ der deutschstämmigen Minderheit im Lande entwickelt. Sie verweigere sich mehrheitlich der Auseinandersetzung oder weise die Frage deutscher Kolonialverbrechen als ideologische Fehldeutung von Geschichte aus einer heutigen Perspektive zurück. Doch dies löse das Problem nicht. „Im Gegenteil: Statt die Differenzen zu entkräften, werden diese damit weiter geschürt.“

In der Christuskirche fehlen bis heute Hinweise auf die Opfer der Kolonialherrschaft und auf den Genozid an den Einheimischen. Stattdessen hängen an der rechten Kirchenwand drei kolossale Bronzetafeln mit 2000 Namen. Sie erinnern an die „Kameraden“, die „für Kaiser und Reich“ gefallen sowie an die deutschen Bürger, Frauen und Kinder, die „für das Schutzgebiet“ ums Leben gekommen sind. „Gewidmet von der Schutztruppe und der Bevölkerung dieses Landes.“ Über diese Tafeln werde nun intensiv diskutiert, sagt Bischof Brand.

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erschienen in Ausgabe 4 / 2019: Erde aus dem Gleichgewicht
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