Es geht nicht um Goethe oder Shakespeare

The Guardian / Eyevine/ Laif

Spiegel der Gesellschaft – so möchte die EU Kultur in der Entwicklungs­zusammenarbeit nutzen. Hier schminkt sich ein Schauspieler der transsexuellen Theatergruppe Transformistas in Bogotá in Kolumbien.

 

Kultur als Mittel der Entwicklungspolitik
Theater, Bücher und Musik: Kultur ist erklärtermaßen Teil der europäischen Entwicklungszusammenarbeit. Ihr wird nicht nur zugetraut, die Wirtschaft zu fördern, sondern beispielsweise auch zu den Menschenrechten beizutragen.

Als Komponente des auswärtigen Handelns der EU beziehungsweise der Entwicklungszusammenarbeit ist die Kultur in einschlägigen Dokumenten verankert: in der Globalen Strategie von 2016 ebenso wie im Neuen Konsens über Entwicklungszusammenarbeit (2017) und der Europäischen Agenda für Kultur (2018). Im April 2019 verabschiedete der Ministerrat Schlussfolgerungen „zu einer Strategie der EU für die internationalen Kulturbeziehungen und einem Aktionsrahmen“.

Darin heißt es, dass „kulturelle Vielfalt und interkultureller Dialog“ bei der „Förderung von Menschenrechten, künstlerischer Freiheit, Respekt und Toleranz gegenüber anderen, gegenseitigem Verständnis, Konfliktprävention, Aussöhnung sowie Extremismusbekämpfung eine wichtige Rolle“ spielten. Daneben wird Kultur als Wirtschaftsfaktor gewürdigt.
Dementsprechend ruft der Ministerrat die EU-Mitgliedstaaten, die Kommission und die Außenbeauftragte auf, der Kultur im auswärtigen Handeln eine größere Rolle einzuräumen. Die Mitgliedstaaten sollten beispielsweise ihre Beteiligung an gemeinsamen Kulturprojekten in Drittländern verstärken; Kommission und Außenbeauftragte sollten für ausreichende Kapazitäten in den EU-Vertretungen vor Ort sorgen. Eine wichtige Rolle soll dem Rat zufolge das von der EU kofinanzierte Netzwerk der nationalen europäischen Kulturinstitute EUNIC spielen; ihm gehören etwa das Goethe-Institut, das spanische Instituto Cervantes und Rumäniens Institutul Cultural Român an.

EUNIC startet derzeit beispielsweise ein Projekt in Bolivien, berichtet Direktorin Gitte Zschoch. Zusammen mit der EU-Delegation in La Paz wolle man das Problem des „Machismo“ angehen. „Das Projekt soll zur Geschlechtergleichheit und dazu beitragen, dass alle sexuellen Präferenzen als gleichwertig wahrgenommen werden“, sagt Zschoch. Gestartet werde mit einem „Mapping“, um in jeder Provinz des Landes lokale Kulturinitiativen, Galerien oder kulturelle Kollektive auszumachen, die an dem Thema interessiert seien.

In Ägypten arbeitet EUNIC an einem Projekt, um Rahmenbedingungen für Kulturschaffende zu verbessern, etwa bei Firmengründungen. Hier gehe es eher um technische Hilfe auf Gesetzgebungsebene, erläutert Zschoch. „Am Ende soll es der kulturellen Szene leichter gemacht werden, auf eigenen Beinen zu stehen.“ Im Sudan hat das Institut Français, ebenfalls im Rahmen von EUNIC und gemeinsam mit dem Goethe-Institut und anderen Partnern, finanziert von der EU-Delegation im Sudan, gerade mit einem Projekt begonnen, bei dem „Kamishibai“ – kleine Tischbühnen – im Mittelpunkt stehen. Kinder sollen animiert werden, auf große Tafeln gedruckte Geschichten über diese Bühne nachzuerzählen, erklärt Lilli Kobler, Leiterin des Goethe-Instituts Sudan in Khartum. Das Format diene unter anderem der Leseförderung und dem kreativen Erzählen. Daneben bewahrt es sudanesisches Kulturgut, denn es handele sich ausschließlich um Geschichten aus dem Land.

Dass bei Kulturförderung in der Entwicklungszusammenarbeit nicht Goethe oder Shakespeare importiert werden sollen, bestätigt auch die EU-Kommission. Wichtig in der Entwicklungszusammenarbeit generell seien „lokal geführte Ansätze“. Auf die Kultur bezogen heiße das, „dass lokale Akteure die Führung übernehmen und die Geschichten auswählen, die sie erzählen möchten“, erklärt eine EU-Sprecherin.

Die wirtschaftliche Macht bleibt im Norden

Von den Menschen vor Ort entwickelte Ansätze sind auch für ­Zschoch wichtig. Daher gebe EUNIC beispielsweise bei dem Projekt in Bolivien zwar das Thema Geschlechtergleichheit vor, nicht aber, wie die Kulturszene sich damit befasse. „Es gibt Treffen mit Akteuren in jeder Provinz, um zu bestimmen, was für ein Projekt sie dort angehen wollen.“ Allerdings bleibe „Augenhöhe“ zwischen Europäern und Einheimischen schwierig, sagt Zschoch, denn die wirtschaftliche Macht liege weiter im Norden. „Wie schafft man es da, respektvoll zu arbeiten und nicht zu sagen: ‚Ich habe das Geld, so wird es gemacht‘?“

Die Ausgaben für Kultur in der Entwicklungszusammenarbeit sind schwer zu beziffern. Eine „grobe Schätzung“ der EU-Kommission besagt, dass sie seit 2007 knapp 373 Millionen Euro dafür ausgegeben habe. Da Kultur ein Querschnittsthema sei, komme sie aber auch auf anderen Feldern vor, etwa in Tourismusprogrammen oder der Menschenrechtsarbeit. Kultur sei ein Mittel, „um Geisteshaltungen zu verändern und den Sprachlosen eine Stimme zu geben“, erläutert die EU-Sprecherin.

Kultur als Mittel? Der EU-Ministerrat hat in seinem Grundsatzpapier vom April anerkannt, dass Kultur „zunächst einmal einen Wert an sich darstellt“. Für EUNIC-Direktorin Zschoch ist eine Balance zwischen dem Eigenwert der Kultur und ihrer Rolle für die Entwicklungszusammenarbeit wichtig. Wenn man darauf nicht achte, könne es zu einer oberflächlichen In­strumentalisierung kommen, wenn etwa zur Gesundheitsvorsorge ein Theaterstück über das HI-Virus aus dem Boden gestampft werde. Und das könne dazu führen, dass man sowohl den Eigenwert der Kultur aus den Augen verliere als auch ihren Beitrag zu einer umfassenden nachhaltigen Entwicklung: „Die Selbstbespiegelung und Selbstbefragung einer Gesellschaft.“
 

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erschienen in Ausgabe 12 / 2019: Armut: Es fehlt nicht nur am Geld
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