Bleivergiftung: 10 Millionen Euro Entschädigung für Dorfbewohner

Goldman Environmental Prize

Ihr Sohn bekam eine Bleivergiftung, als sie in einer Recyclingfirma arbeitete – das hat Phyllis Omido (Mitte) zur Umweltaktivistin gemacht.
 

Umweltaktivistin
In einem Dorf bei Mombasa waren die Arbeiter und ihre Familien jahrelang schutzlos den giftigen Bleiabfällen einer Recyclinganlage für Autobatterien ausgesetzt. Die Kenianerin Phyllis Omido hat nun vor Gericht eine hohe Entschädigung erkämpft.

#justiceatlast: Mit diesem Hashtag, der so viel bedeutet wie „Am Ende siegt die Gerechtigkeit“, haben das Zentrum für Umweltgerechtigkeit und deren Gründerin Phyllis Omido Mitte Juli ihren Sieg vor dem kenianischen Umweltgericht gefeiert. Vor vier Jahren hatte die Umweltorganisation Center for Justice Governance and Environmental Action im Namen der Dorfbewohner Klage gegen eine Metallraffinerie und gegen untätige Regierungsbehörden eingereicht. Denn die Recyclinganlage für Autobatterien hatte mit Bleidämpfen und kontaminiertem Abwasser jahrelang die Bewohner des Dorfes Owino Uhuru vergiftet. Viele Menschen starben, vor allem Kinder werden ihr Leben lang an den Folgen ihrer Bleivergiftung leiden. 

Umgerechnet zehn Millionen Euro Entschädigung müssen die Fabrik, aber unter anderem auch die zuständige Regierungsbehörde den Dorfbewohnern zahlen. Außerdem muss das ganze Dorf innerhalb von vier Monaten nach dem Urteilsspruch gesäubert werden, ansonsten droht eine weitere Strafe von sieben Millionen Euro. Das Urteil hat einen Präzedenzfall geschaffen, mit dem auch andere Firmen in Kenia für ihre Umweltsünden verklagt werden können. Viele andere Aktivisten hätten sie schon um Rat und Unterstützung gebeten, sagt Phyllis Omido. 

Ihr Sohn bekommt eine Bleivergiftung

Rückblick: Phyllis Omido ist überglücklich, als sie 2007 den Job in der Verwaltung einer Recyclinganlage für Autobatterien nahe Mombasa bekommt. Denn die alleinerziehende Mutter darf ihren damals zweijährigen Sohn mit zur Arbeit nehmen. Während die 28-Jährige also drinnen arbeitet, ist ihr kleiner Sohn mit dem Wachmann auf dem Fabrikgelände unterwegs – und findet alles ganz spannend.

In der Anlage wird Blei aus Autobatterien herausgeschmolzen, recycelt und für den Export vorbereitet. Doch die studierte Betriebswirtin merkt schnell, dass die indischen Manager noch nicht alle notwendigen Papiere für den Betrieb der Anlage zusammenhaben. Also gibt sie bei einem Umweltexperten ein Gutachten in Auftrag.

Nach wenigen Wochen bekommt Phyllis‘ Sohn Fieberschübe und Hautausschlag. Die Ärzte probieren verschiedene Medikamente – aber nichts hilft. Erst als Phyllis sein Blut testen lässt, ist die Diagnose klar: King leidet an einer lebensgefährlichen Bleivergiftung. Der Grenzwert ist um das 35-fache überschritten. Das Blei im Körper könne irreversible Schäden am Gehirn und Organen auslösen, sagen die Ärzte.  

Mit dem Tode bedroht und verhaftet

Mit dieser Hiobsbotschaft beginnt der Kampf von Omido, den sie in ihrem Buch „Mit der Wut einer Mutter“ eindrücklich beschreibt: nicht nur für das Leben ihres Sohnes, sondern auch für die 3000 Bewohner des Dorfs Owino Uhuru. Denn im Umweltbericht steht es schwarz auf weiß: Die Fabrik stößt giftige Dämpfe aus, der Bleistaub lagert sich überall ab und macht krank. Der Gutachter macht deutlich, dass die Fabrik viel zu nah an dem Dorf ist. Doch Omidos Chefs wollen den Bericht verschweigen.

Sie gibt ihren Job auf und kämpft mit den Frauen des Dorfes trotz starken Gegenwinds weiter. Von einem Lokalpolitiker, dem das Firmengelände gehört, wird sie eingeschüchtert, sie wird mit dem Tode bedroht und mehrmals verhaftet. Auch die Männer aus dem Dorf sind gegen sie, denn sie sind froh, einen Job zu haben. Doch immer mehr Kinder werden krank. Im Gespräch mit „welt-sichten“ erklärt Omido, warum sie am stärksten von dem Gift betroffen sind: „Unsere Kinder sind den ganzen Tag draußen, sie buddeln in der Erde und kommen so mit dem Blei in Berührung.“ Abends kommen die Arbeiter mit kontaminierter Kleidung nach Hause und nehmen ihre Kinder auf den Arm, die dann das Blei einatmen. Die Frauen bekommen das Blei beim Waschen der Kleidung ab. Und es gelangt ins Trinkwasser – mit verheerenden Folgen. „Im Jahr 2010 ist einer der Arbeiter einfach tot umgefallen. Das hat den Menschen furchtbare Angst gemacht“, sagt die 41-Jährige. Bis heute sind laut Omido 300 Kinder und 50 Erwachsene an Bleivergiftung gestorben.

Obwohl sich die Frauen immer wieder an die kenianischen Behörden wenden, bekommen sie keine Hilfe. „Nicht ein einziger Beamter ist zur Metal Refinery gefahren und hat sich angeschaut, wie sie arbeiten“, sagt Omido. „Im Prinzip ist die Regierung erst aktiv geworden, als die Fabrik schon geschlossen war.“

Schutzlos giftigen Staub und Säure ausgeliefert

Also protestiert sie weiter und sucht Beweise für die Umweltsünden ihres früheren Arbeitgebers. Dabei bekommt Omido nun auch Hilfe von internationalen NGOs und gründet selbst eine: das Zentrum für Umweltgerechtigkeit (CJGEA). Ein Glücksfall ist schließlich ein Gesetz der ostafrikanischen Gemeinschaft (EAC), das den Export von Blei verbietet. Da habe sich der Betrieb nicht mehr gelohnt, sagt Omido. Insgesamt 17 Recyclingbetriebe für Bleibatterien werden 2015 in Kenia geschlossen. Im gleichen Jahr wird die Aktivistin mit dem Goldman-Umweltpreis ausgezeichnet.

Unsachgemäßes Bleirecycling ist in Afrika kein Einzelfall, sagt Andreas Manhart, Experte für Rohstoffe und Recycling beim Öko-Institut in Freiburg. Ende 2014 startet das Institut mit Partnern in Äthiopien, Tansania, Kamerun und Kenia das „Lead Recycling Africa Project“. Dabei kommt heraus: Nicht nur in Fabriken, auch in Kleinbetrieben werden Autobatterien verarbeitet. Um das Blei herauszulösen, schlagen die Arbeiter sie mit einer Axt auf und sind dabei schutzlos dem giftigen Staub und der Batteriesäure ausgeliefert. In Kamerun werden sogar Kochtöpfe aus Blei hergestellt. Das Öko-Institut geht davon aus, dass weltweit über eine Million Menschen den Gesundheitsrisiken durch unsachgemäßes Bleirecycling ausgesetzt sind, außer in Subsahara-Afrika auch in Indien, Vietnam, den Philippinen oder Südamerika.

1,2 Millionen Tonnen bleisäurehaltige Autobatterien werden laut Schätzungen jedes Jahr in Afrika ausgeschlachtet. Sie stammen überwiegend aus Afrika selbst sowie aus Asien und importierten Gebrauchtwagen aus Europa. Rund 800.000 Tonnen Blei werden pro Jahr in Afrika recycelt. Batteriehersteller aus Europa und den USA kaufen das Blei dann bei Zwischenhändlern ein. Oft könnten die Händler den wertvollen Stoff nur so günstig anbieten, weil die Umwelt- oder Gesundheitsauflagen nicht eingehalten werden, sagt Manhart. In einem Fall habe ein nigerianischer Geschäftsmann mehrere Millionen US-Dollar in eine saubere Bleirecyclinganlage investiert. Dieser konnte danach nicht mehr mit den niedrigen Kosten seiner Konkurrenten mithalten und bekam keine Batterien mehr. „Es gewinnen immer die Dreckigen“, sagt Manhart.

Autoindustrie muss Sorgfaltspflicht einhalten

Doch so muss es nicht bleiben, sagt er. „Wir erwarten, dass sich die Autoindustrie um diese Hochrisikoindustrie kümmert und ihre Sorgfaltspflicht einhält.“ Sie müsste bei ihren Zulieferern mehr Wert auf hohe Umwelt- und Sozialstandards legen. Außerdem könnten Einkäufer stärker mit jenen Fabriken arbeiten, die sich verpflichten, in die Verbesserung ihrer Anlagen zu investieren. Davon würden beide Seiten profitieren: „Der Abnehmer gibt ökonomische Sicherheit und Know-how, während der Zulieferer Rohstoffe bereitstellt und vor Ort den Grundstein für eine moderne Recyclingindustrie legt.“  

Autorin

Melanie Kräuter

ist Redakteurin bei "Welt-Sichten".
Natürlich müssten auch die Behörden in afrikanischen Ländern darin bestärkt werden, strenger zu regulieren – und wenn nötig Fabriken zu schließen und die Verantwortlichen juristisch zur Rechenschaft zu ziehen. Oft halte die Angst vor wirtschaftlichen Einbußen und Arbeitsplatzverlusten sie davon ab, so Manhart. Ein weiterer Schwachpunkt sei die Ausbildung der Kontrolleure, denn die Auditoren wüssten oft gar nicht, auf was sie beim Betrieb der Anlagen achten müssten. „Die Auditberichte strotzen oft vor Hilfslosigkeit“, beklagt Manhart.

Dabei könne man mit einigen Maßnahmen aus einer „dreckigen“ Anlage eine nicht gesundheitsschädliche machen, sagt der Experte. Etwa durch eine richtige Abgasanlage, Filter, Schutzkleidung, Schleusen, Duschen und leicht zu reinigende Werksböden. Diesen Sektor könne man regulieren, zumal die Zahl der beteiligten Firmen überschaubar sei. „Teile der Industrie wachen tatsächlich auf“, sagt Manhart. So habe sich der internationale Bleiverband (ILA) verpflichtet, Umwelt- und Arbeitsschutz beim Bleirecycling zu verbessern. „Das sollte eigentlich ein Thema sein, über das wir in zehn Jahren nicht mehr sprechen müssen.“

Zugang zu Medikamenten

Die letzte Schlacht gegen die inzwischen geschlossene Raffinerie und den kenianischen Staat hat Phyllis Omido nun also auch gewonnen. Von den 13 Millionen Euro, die sie in der im Februar 2016 eingereichten Klage gefordert hatte, sind immerhin 10 Millionen Euro gewährt worden – ebenso wie die geforderte vollständige Entgiftung von Wasser und Land. 90 Tage haben die Fabrik und die Behörden nach dem Urteilsspruch Zeit, die Entschädigung zu zahlen. Das Wichtigste sei nun, sagte Omido CNN, dass alle Kinder getestet werden und sie im Falle einer Bleivergiftung Zugang zu Medikamenten bekommen. Außerdem müsse die Umwelt gereinigt werden, damit die Dorfbewohner wieder an einem sicheren Ort leben können.  

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erschienen in Ausgabe 3 / 2020: Schuften für den Weltmarkt
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