Firmen als Klimaschützer

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Shell wird klimaneutral – dieser Zusage trauen die Demonstranten in London im September nicht.
Privatwirtschaft
Viele große Unternehmen und Investoren verkünden jetzt eigene Klimaschutzziele – mal mehr, mal weniger strenge. Das wird die Erderhitzung kaum deutlich bremsen, erleichtert aber staatliche Schritte dafür.

Auf die Staaten kann man sich im Klimaschutz bisher nicht verlassen: Selbst wenn sie alle nationalen Ziele einhalten, die sie sich infolge des Klimaabkommens von Paris gesetzt haben, wird die Erde sich bis Ende des Jahrhunderts um wahrscheinlich mindestens drei Grad erhitzen. Immer mehr große Unternehmen und Investoren bekennen sich derweil zum Klimaschutz und wollen sogar klimaneutral werden. Bringen nun Private die Verringerung der Treibhausgasemissionen voran?

Jedenfalls sind Zweifel an klimaschädlichen Investitionen nicht mehr auf Vertreter des ethischen Investments beschränkt. Im Januar ist der weltgrößte Vermögensverwalter BlackRock der „Climate Action 100+“ beigetreten. Die Initiative vereint nach eigenen Angaben über 500 Investoren, die in Summe 47 Billionen US-Dollar Kapitalanlagen verwalten – und sie will rund 160 Konzerne, die zusammen fast vier Fünftel der globalen Treibhausgase ausstoßen, dazu bewegen, ihre Emissionen zu senken und klimabedingte Geschäftsrisiken offenzulegen.

Auch Industrie- und Dienstleistungskonzerne geben sich Klimaziele bis hin zu Klimaneutralität. Die wollen zum Beispiel Siemens bis 2030, ThyssenKrupp, Nestlé und der Ölkonzern Shell bis 2050 erreichen. Die Science Based Targets Initiative (SBTi) des United Nations Global Compact und mehrerer nichtstaatlicher Gruppen wirbt dafür, dass Unternehmen ihre Emissionen im Einklang mit jenen Szenarien der Klimawissenschaft senken, nach denen die Erderwärmung unter zwei Grad bleibt. Bei SBTi haben jetzt 1052 Firmen Klimaziele eingereicht; 541 haben bestätigt bekommen, dass ihre Ziele den Anforderungen entsprechen.

Erderwärmung ist ein Geschäftsrisiko

Warum der Trend zu Klimaschutz in Firmen? Ein Grund sind neue Geschäftsrisiken infolge der Erderwärmung. Schäden infolge von Stürmen oder Dürren belasten speziell die Versicherungsbranche direkt, weshalb von dort schon früh Rufe nach mehr Klimaschutz kamen. Verbreiteter sind aber Geschäftsrisiken einer zweiten Art: Sie ergeben sich aus dem wirtschaftlichen Strukturwandel, der mit Klimaschutz und Klimaanpassung einhergeht. Er wird sowohl vom technischen Wandel angetrieben als auch von politischen Vorgaben.

Autor

Bernd Ludermann

ist Chefredakteur von "welt-sichten".
Zum Beispiel ist nach Jahren staatlicher Förderung Strom aus Solar- und Windkraft nun meist billiger als aus Kohle. Neue Kohlekraftwerke werden unrentabel, und aus Gründen des Klimaschutzes könnte wie in Deutschland auch manch bestehender Meiler politisch stillgelegt werden. In Ländern wie Indien dürfte die Kohle noch eine Weile weiterleben. Trotzdem verlieren viele Vorkommen und für Förderung und Verstromung nötige Anlagen an Wert. Ein ähnlicher Umbruch zeichnet sich für die Kraftfahrzeugbranche ab, in der elektrische Antriebe auf dem Vormarsch sind. Investoren wie Unternehmen müssen damit rechnen, dass Regierungen diesen Wandel im Sinne des Klimaschutzes politisch beschleunigen.

Übergang zu einer klimagerechten Wirtschaft

Klimarisiken für ihr Geschäft sollen Unternehmen künftig transparent machen – das hat eine auf Initiative der G20-Staaten gegründete Arbeitsgruppe 2017 empfohlen. Dem Finanzsektor soll das helfen, diese Risiken in Rechnung zu stellen und Fehlinvestitionen zu vermeiden. Zugleich entspricht es einer Bestimmung im Pariser Klimaabkommen von 2015: Finanzströme sollen so umgeleitet werden, dass sie den Übergang zu einer klimagerechten Wirtschaft fördern. Dazu müssen Geldgeber erkennen können, wie sauber oder schmutzig die Vorhaben sind, die sie finanzieren.

Finanzinstitute, deren Büros relativ wenig Klimagase erzeugen, tragen zum Klimaschutz vor allem bei, wenn sie Firmen in Industrie, Bau, Verkehr oder Landwirtschaft zu Reduktionen bewegen. Dazu haben sie im Prinzip drei Wege: Sie können Kapital aus schmutzigen Firmen abziehen (Divestment), es gezielt in klimafreundliche investieren und als Anleger Einfluss auf Firmenleitungen und deren Entscheidungen ausüben (Engagement).

Als Investor auf Klimaschutz drängen

Die Wirkung der Instrumente wägt das New Climate Institute in einer Studie vom September ab. Demnach nutzen gezielte ökologische Investitionen vor allem dann, wenn sie kleinen Vorreiterfirmen zum Ausbruch aus der Nische verhelfen und Neuerungen verbreiten. Das Divestment, hinter dem eine aus den USA stammende politische Kampagne steht, ist etwas wirksamer: Es konzentriert sich stark auf den Abzug von Kapital aus Kohle und hat es schwieriger und teurer gemacht, neue Kohleminen oder -kraftwerke zu versichern. Es sind auch schon Kohleprojekte am Mangel an Bankkrediten gescheitert, sagt Katrin Ganswindt von der NGO Urgewald, die eine Kampagne gegen Kohlefinanzierung mitträgt.

Wenn die Zinsen so niedrig sind wie aktuell, bewirkt Divestment aber weniger: Denn dann lässt sich leicht ein anderer Investor finden. „Es ist aber problematisch, wenn ein Investment, das ich abstoße, von anderen gekauft wird – im schlimmsten Fall von Investoren, die sich noch weniger um den Klimawandel kümmern“, erklärt Katharina Lütkehermöller vom New Climate Institute. „Engagement“ sei daher meist die stärkste Waffe, um als Investor auf Klimaschutz zu drängen. Es wirkt aber besser, wenn man zugleich mit Divestment droht, sagt Ganswindt.

Strukturwandel, Regulierung oder Imagepflege? 

Die Investorinitiative „Climate Action 100+“ beansprucht, mit Engagement die Klimaziele von Firmen wie Volkswagen, Shell, Nestlé und des Rohstoffkonzerns Glencore befördert zu haben. Glencore hat das bestätigt. Doch es ist selten klar, inwieweit Klimaziele dem Einfluss von Anlegern zu verdanken sind, sagt Lütkehermöller. Sie können auch auf den Strukturwandel oder staatliche Regulierung zurückgehen und der Imagepflege dienen. Dass beides großen Einfluss hat, zeigt sich an der Verteilung der Firmen mit Klimazielen: Sie sind konzentriert in Europa, Amerika und Australien und in Branchen mit Kontakt zu Konsumentinnen und Konsumenten, sagt Lütkehermöller. Sehr ambitionierte Ziele setzen sich manche Hightechunternehmen, die hoffen, von einer ökologischen Transformation zu profitieren, zum Beispiel Microsoft.

Bringen also Unternehmen jetzt den Klimaschutz voran? Skepsis ist da angebracht. Klimaziele sind noch keineswegs die Regel, auch nicht im Finanzsektor. Laut New Climate Institute haben Banken, Versicherungen, Fonds und Vermögensverwalter, die in Summe rund ein Viertel des globalen Finanzmarktes ausmachen, Klimakriterien für ihre Investments – aber nicht für alle. Mehr als drei Viertel des globalen Finanzmarktes unterliegen noch keinen Klimakriterien.

Vor allem aber ist unklar, wie stark Unternehmen über die staatlichen Ziele hinaus Emissionen mindern. Es kann laut New Climate Institute ganz Verschiedenes bedeuten, wenn eine Firma sich Klimaneutralität auf die Fahnen schreibt. Manche wollen das bis 2050 erreichen, manche schon früher oder erst später. Viele haben keine Strategien, um das hehre Ziel zu erreichen. Und nur wenige beziehen über die Emissionen der eigenen Fabrik und denen der eingekauften Energie hinaus auch die ganze Lieferkette ein, sagt Lütkehermöller. Für die Vorprodukte entstehen vorgelagerte Emissionen und dann nachgelagerte beim Gebrauch sowie der Entsorgung oder dem Recycling der Produkte. Sie sind für Firmen viel schwerer zu ermitteln und zu verringern als die eigenen.

Die meisten Klimagase entstehen bei Benutzung 

Siemens zum Beispiel hat 2015 begonnen, seine Geschäftstätigkeit klimaneutral zu machen. Seit dem Geschäftsjahr 2016 berichtet das Unternehmen zusätzlich über vorgelagerte Emissionen, die in der Lieferkette anfallen, so etwa für Maschinen, Kraftstoffe oder Transporte, erklärt eine Sprecherin des Konzerns. Um dort die CO₂-Bilanz zu verbessern, arbeite man mit Lieferanten zusammen. Die nachgelagerten Emissionen helfe man verringern, indem Siemens Technik für Energieeffizienz und erneuerbare Energie verkaufe.

Da Siemens etwa Gebäude- und Energietechnik und Züge herstellt, leuchtet das ein. Bei Ölfirmen, Fluglinien oder Autokonzernen sind aber nachgelagerte Emissionen das entscheidende Problem: Die meisten Klimagase entstehen, wenn ihre Produkte benutzt werden. Wollen solche Firmen klimaneutral werden, dann müssen sie ihr Geschäft komplett umstellen. 

Einige wie Volkswagen und Shell erklären, dass sie dies mittelfristig anstreben und auf Elektroantriebe beziehungsweise alternative Kraftstoffe umstellen wollen. Die Versuchung ist aber groß, Gewinne aus dem fossilen Geschäft mitzunehmen, solange es geht. Shell hat Mitte 2020 einen Vertrag über die Lieferung großer Mengen Erdgas nach China geschlossen – und bezeichnet dieses Gas als klimaneutral, weil Shell Projekte finanziert, die Kohlenstoff binden und die Emissionen ausgleichen sollen, darunter Aufforstungen in Westchina.

Die meisten Firmen, die sich Klimaneutralität vornehmen, planen dazu dieses Offsetting oder behalten es sich vor, sagt Gilles Dufrasne von der NGO Carbon Market Watch (siehe auch die Grafik). Es gibt hier zwei Varianten: Man kann Emissionen anderswo vermeiden, indem man etwa Wind- oder Solaranlagen finanziert, oder aber Kohlenstoff wieder aus der Atmosphäre entnehmen, meist mit natürlichen Senken wie Wäldern. 

Beide Varianten sind mit unterschiedlichen Problemen behaftet. Bei der ersten ist oft kaum zu sagen, ob die Solar- oder Windkraftanlagen nicht auch ohne das Geld aus dem Offsetting gebaut würden, also ob man zusätzlich Klimagase einspart. Bei Projekten der zweiten Art ist oft zweifelhaft, wie viel Kohlenstoff sie binden, wie dauerhaft das ist und ob sie sozial verträglich sind. Zudem beanspruchen natürliche Senken viel Land; das weltweite Potenzial für solche Projekte ist begrenzt. Fachleute fordern, damit mittelfristig nur Emissionen auszugleichen, die man nicht oder nur zu astronomischen Kosten vermeiden könnte. Aber Ölkonzerne und Fluglinien wollen darauf zurückgreifen, um ihr Geschäft „klimaneutral“ fortzusetzen. 

China will bis 2060 klimaneutral werden

Dufrasne sieht noch ein grundsätzliches Problem. Über Emissionen führen – mit wenigen Ausnahmen wie beim Flugverkehr – die Staaten Buch und machen Zusagen, sie zu mindern. In ihre Bilanzen gehen alle Emissionen von Firmen auf ihrem Gebiet ein und auch Minderungen sowie der Ausbau von Senken, die Firmen im Land erreichen. Mit Offsetting wird das nur verlagert. „Wenn zum Beispiel eine Fabrik in Deutschland zehn Tonnen ausstößt und das mit Offsett­ing in Peru ausgleicht, meldet Deutschland wie vorher zehn Tonnen und Peru die Minderung“, sagt Dufrasne. 

Auch Peru hat aber wie alle Staaten im Paris-Abkommen zugesagt, die Emissionen in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts auf netto null zu senken. China etwa will das 2060 erreichen. Dazu trägt die Aufforstung in Westchina bei, sie geht in Chinas Emissionsbilanz ein. Mit dem Projekt dort hilft also Shell Chinas Regierung, ihr Ziel zu erreichen – mehr aber nicht. „Deshalb habe ich ein Problem mit der Behauptung, Firmen würden klimaneutral“, sagt Dufrasne. „Sie sollten sagen, dass sie Ländern helfen, ihr Klimaziel zu erreichen.“

Firmen sollten "grüne" Technik entwickeln

Für Firmen, die wie in der Europäischen Union dem Handel mit begrenzten Emissionsrechten unterliegen, kommt hinzu: Senken sie ihre Klimagasemissionen schneller, als ihre Emissionsrechte abnehmen, dann können sie überschüssige verkaufen. Das ermöglicht anderen Firmen entsprechend mehr Emissionen.

Sind Klimaziele von Firmen also nutzlos? Keineswegs. Aber sie helfen vor allem indirekt – etwa wenn Firmen „grüne“ Technik entwickeln oder verbreiten und praktisch zeigen, wie man ohne fossile Energien auskommt. Nicht zuletzt tragen sie dazu bei, dass im Privatsektor die Lobby gegen staatlichen Klimaschutz schwächer und die Lobby dafür stärker wird. Das macht staatlichen Klimaschutz politisch leichter und der bringt wieder mehr Firmen ins Boot, hofft Lütkehermöller. „Diese Rückkopplung funktioniert bisher aber nicht wirklich“, räumt sie ein; Lobbys gegen Klimaschutz seien keineswegs verschwunden. Dass Ölkonzerne klimaneutral werden wollen, kann sogar unterschwellig signalisieren, „dass sie da nicht reguliert werden müssen und wollen“, sagt Dufrasne.

Für den Ausstieg aus fossilen Energien sind verbindliche politische Beschlüsse nötig, die den Umbruch antreiben, lenken und sozial abfedern. Firmen und Investoren können und sollen die Voraussetzungen dafür verbessern. Entscheiden muss die Politik.

LITERATUR
Jörg Haas und Barbara Unmüßig 
Die „Carbon Bubble“: Finanzwirtschaft am Kipppunkt?; in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Heft 9/2020, www.blaetter.de

New Climate Institute:
•    Unpacking the Finance Sector’s Climate-Related Investment Commitments
•    Climate Neutrality Claims
•    Accelerating Net Zero: Exploring Cities’, Regions’, and Companies’ Pledges
alle September 2020, 
www.newclimate.org

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erschienen in Ausgabe 12 / 2020: Auf die Heißzeit vorbereiten
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