Unsichtbare Opfer, schamlose Täter

Unsichtbare Opfer, schamlose Täter

Im Kongo wird Vergewaltigung als Waffe eingesetzt

Von Dominic Johnson

In den Kriegen des Kongo ist Vergewaltigung zu einem Herrschaftsinstrument geworden. Milizen und andere bewaffnete Gruppen drangsalieren damit die Bevölkerung, begleitet von Brutalitäten, die weltweit wohl einmalig sind.

Vergewaltigung als Kriegswaffe hat mehrere Funktionen. Unmittelbar befriedigt der bewaffnete Täter seinen Sexualtrieb und vollendet den militärischen Sieg über den Feind durch die „Eroberung" der Frau. Wenn ein Kommandeur seinen Soldaten das Vergewaltigen im besetzten Feindesland erlaubt, ist das zugleich eine Form von Plünderung: die Frau als Kriegsbeute. Und wenn Bürgerkriegsarmeen Vergewaltigungen gezielt und strategisch als Teil ihrer Kampfmethoden einsetzen, dient das der Manifestation von Überlegenheit gegenüber einer wehrlosen Zivilbevölkerung.

Im Kongo nahm diese Form der Kriegsführung ihren Anfang im Jahr 1999. Unzählige Frauen, die brutal vergewaltigt worden waren, strömten aus den Dörfern der Kivu-Provinzen in die Krankenhäuser der Städte. Der „große Krieg" zwischen Rebellen und Regierung im Kongo über die Macht im Land war bereits abgeflaut. Nun tobte im Osten des Landes der „kleine Krieg" zwischen den lokal herrschenden Ruandatreuen Rebellen und Widerstandsmilizen, der ganze Landstriche komplett verwüsten und Millionen Menschen durch Seuchen und Hunger das Leben kosten sollte.

Untersuchungen von Human Rights Watch, „Ärzte ohne Grenzen" und lokalen Gruppen wie dem Pole Institute in Goma aus den Jahren 2002 bis 2004 führen die damals neuartige Kriegsmethode der Vergewaltigung auf etwas zurück,was auch in Bezug auf andere Phänomene dieses endlos erscheinenden Krieges analysiert wurde: Das Aufkommen einer neuen Generation junger Kämpfer, die völlig enthemmt vorging, alte Tabus brach und vor keiner Gewalttat zurückscheute, um ihre Macht zu demonstrieren.

Lokale kongolesische Milizen, genannt Mai-Mai, setzten Vergewaltigung systematisch als Strafe für Familien und Dörfer ein, die sie verdächtigten, mit Ruandas Armee und den von dieser unterstützten Rebellen der „Kongolesischen Sammlung für Demokratie" (RCD) zusammengearbeitet zu haben. Oft reichte es, dass jemand in einer RCD-kontrollierten Stadt auf den Markt gegangen war, um dann bei der Rückkehr in die Mai-Mai-regierten Wälder als Kollaborateur gebrandmarkt zu sein. Die Vergewaltigung der Frauen war dann die einfachste Art der kollektiven Bestrafung des Kollaborateurs und seiner Gemeinschaft, neben der Ermordung der Männer.

Nach kongolesischen Rechtsvorstellungen hat die Frau einen geringeren Status als ihr Ehemann und zählt zu seinem Besitz.Wer die Frau zerstört, hat daher auch dem Mann etwas genommen. Vergewaltigte Frauen sind nichts mehr wert, eine Schande, die oftmals verstoßen wird - auch weil niemand wagt, Sympathie zu zeigen, um nicht ebenfalls Opfer von Übergriffen zu werden.

Frühere Buschmilizen im Kongo, etwa während der lumumbistischen Aufstände der 1960er Jahre, hatten sexuelle Kontakte noch verboten. Frauen galten als unrein und lenkten die Kämpfer ab. Dass die Mai-Mai-Milizen und andere lokale Gruppen im Ostkongo das inzwischen völlig anders sehen, ist auf den Einfluss des ruandischen Genozids zurückzuführen. 1994 töteten die ruandische Armee und Hutu- Milizen in Ruanda binnen weniger Monate über 800.000 Menschen, vor allem Tutsi, in einem Versuch, diese Bevölkerungsgruppe auszurotten. Systematische Vergewaltigungen von Tutsi-Frauen durch Milizionäre wurden damals von Menschenrechtsgruppen dokumentiert. Die Zahl der Betroffenen wurde auf rund 50.000 geschätzt.

Die Täter des Völkermordes flohen im Sommer 1994 in den Kongo, als Ruanda von der bis heute regierenden Tutsi-geführten Rebellenbewegung „Ruandische Patriotische Front" (RPF) erobert wurde. Militärisch traten sie erst im zweiten Kongokrieg ab 1998 wieder in Erscheinung: Kongos Regierung integrierte Hutu-Kämpfer aus Ruanda in die eigene Armee und rüstete die noch im Ostkongo verbliebenen ruandischen Hutu-Milizen auf, damit sie gegen die RCD-Rebellen und Ruandas neue, Tutsi-geführte Armee kämpften.

So kam die während des Völkermordes in Ruanda praktizierte Vergewaltigung im Kongo wieder als Kriegsmittel zum Einsatz, und die lokalen Milizen Ostkongos, die mit den ruandischen Hutu-Kämpfern verbündet waren, griffen sie auf. Ab 2003, als der Kongokrieg offiziell beendet war und die Rebellen und Milizen nach und nach Teil der Streitkräfte wurden, blieben die ruandischen Hutu-Kämpfer als einzige Bürgerkriegspartei intakt im Ostkongo stehen und festigten ihre Macht. Sie kontrollieren heute rund die Hälfte der Kivu-Provinzen direkt oder teilweise.

Seit Kriegsende wird über eine zunehmende Zahl von Vergewaltigungen dort berichtet, die Mehrheit davon begangen von ruandischen Hutu-Kämpfern. Sobald wieder größere Kämpfe im Ostkongo ausbrechen - wie seit September in der Provinz Nord-Kivu zwischen Regierungstruppen, alliiert mit lokalen Milizen, und Tutsi-Rebellen - steigt auch die Zahl von Vergewaltigungen von Seiten anderer bewaffneter Gruppen.

HILFLOSE SCHÄTZUNGEN Die Angaben über die Zahl der Vergewaltigungen gehen weit auseinander. Kongos Regierung registrierte zwischen 2004 und 2006 43.000 Vergewaltigungen im ganzen Land, davon 60 Prozent - rund 26.000 - in den Kivu-Provinzen. Jüngst sprach sie aber von 75.000 Vergewaltigungen allein in der Provinz Süd-Kivu seit 2004. Die UN-Mission im Kongo und andere Stellen der Vereinten Nationen wiederum gehen von sehr viel niedrigeren Zahlen aus, einige hundert im Monat in jeder der beiden Kivu-Provinzen. Im September 2007 sei die Zahl von Vergewaltigungen in Nord-Kivu im Vergleich zum Vormonat kriegsbedingt um 60 Prozent gestiegen - auf 351. „Ärzte ohne Grenzen" spricht von einer Verdoppelung in Nord-Kivu, seit der jüngste Krieg begann, basiert auf den Fällen, die ihre Helfer selbst behandeln, das sind rund 250 im Monat.

Sämtliche Zahlen sind jedoch nur hilflose Schätzungen, denn die meisten Fälle werden nie außerhalb ihres Dorfes bekannt und nur die wenigsten der betroffenen Frauen sind in der Lage, medizinische Versorgung zu erreichen und damit von einem Hilfswerk registriert zu werden. Der Krieg gegen die Frauen entzieht sich weitgehend der Öffentlichkeit. Die Täter setzen auf die Unsichtbarkeit ihrer Opfer und ihre eigene Straf- und Schamlosigkeit.

Dominic Johnson ist Auslandsredakteur der Berliner „tageszeitung" und bereist regelmäßig den Kongo.

welt-sichten 1-2008

 

erschienen in Ausgabe 1 / 2008: Globale Ungleichheit
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